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Das Beste für das Kind? Nicht-Identität und Schaden bei reproduktiven Entscheidungen

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Liberale Eugenik?

Zusammenfassung

Schließlich wendet sich die Studie der elterlichen Moral vor dem Hintergrund der liberalen Eugenik zu. Im Zentrum steht hier die Diskussion von Prinzipien der selektiven Reproduktion, die aus dem Kanon der liberalen Eugenik gewonnen werden. Diese Prinzipien halten verschiedene Antworten auf die Frage bereit, was Kinderwunschpaare ihren Nachkommen (moralisch) schuldig sind. Für diesen Zweck ist zuvor allerdings eine vertiefende Analyse der Kategorien ,Wohl‘ und ,Schaden‘ im Zusammenhang mit zukünftigen, nur möglichen Personen notwendig. Denn identitätsbetreffende Handlungen bergen eine weitreichende Herausforderung: selbst offensichtlich falsche Entscheidungen im Zusammenhang mit der selektiven Reproduktion sind die Bedingung für die Existenz der betroffenen Person. Die vermeintlich geschädigte Person kann demnach kaum ihre Eltern für eine Handlung anklagen, die ihr Leben erst ermöglicht hat. Im Ausgang dieser scheinbar paradoxen Implikationen der selektiven Reproduktion beschreibt Kapitel 9 das sogenannte Problem der Nicht-Identität und systematisiert in diesem Zusammenhang stehende Konzepte von Schaden bzw. Schädigung.

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Notes

  1. 1.

    Lübbe 2007.

  2. 2.

    Die geläufige Bezeichnung als Nicht-Identitätsproblem (non-identity problem) zeichnet bereits eine Sichtweise vor, nach der hier tatsächlich ein Problem und nicht etwa nur ein Phänomen vorliegt (vgl. Bennett 2014a, 449). Insofern diese Vorentscheidung vermieden werden möchte, kann das Akronym NIP auch als Nicht-Identitätsphänomen gelesen werden. Daneben wird mitunter auch vom „future individual paradox“ (Kavka 1982) oder „genesis problem“ (Heyd 1992) gesprochen.

  3. 3.

    Klassisch zum NIP: Parfit 1984, 351–379; vgl. Parfit 1976; Parfit 1982; Parfit 2015. Bereits vor Parfits Reasons and Persons wurde auf entsprechende moraltheoretische Paradoxien im Zusammenhang mit zukünftigen Generationen verwiesen: vgl. Narveson 1967; Schwartz 1978; Adams 1979; Kavka 1982.

  4. 4.

    Siehe Abschn. 1.1; vgl. DeGrazia 2005, 254–256.

  5. 5.

    Kavka (1981) spricht in diesem Zusammenhang von der Unsicherheit oder Labilität (precariousness) der Existenz.

  6. 6.

    Mulgan 2006, 7.

  7. 7.

    Siehe hierzu Parfits (1984, 351–355) Time-Dependence Claim sowie die Origin View. Für paradoxe Implikationen, die sich aus der Ablehnung dieser These ergeben: Parfit 1984, 353–355.

  8. 8.

    Kripke 1980, 111–116; vgl. Bernard Williams 1995 Zygotic Principle sowie John Harris 1992, 61–68 Gametic Principle; für eine kritische Diskussion: Persson 1999.

  9. 9.

    Für eine ausführlichere Diskussion: DeGrazia 2005, 245–261. Diese Sichtweise kann aus religiösen oder esoterischen Gründen angezweifelt werden. Wenn ich beispielsweise daran glaube, dass es ein körperloses ‚Ich‘ gibt, das in verschiedenen Ausformungen (wieder-)geboren wird, kann sich das Bild einer kosmischen Warteschlange verschiedener Egos nahelegen, die darauf warten, Materie zu beseelen (Herissone-Kelly 2006a, 169; vgl. Parfit 1984, 352–355). Derartige Gedankengänge werden im Weiteren nicht verfolgt (vgl. Mulgan 2002). Wir werden allerdings auf Ideen zurückkommen, welche die (moralische) Relevanz der numerischen Identität anzweifeln (Wolf 2009; Williams 2013; Holtug 2009).

  10. 10.

    Ähnlich: Brock 1995; Feinberg 1992 [1986]; vgl Parfit 2010, 69–70. In einer der Studien zum NIP von Boonin (2015) wird ein vergleichbares Beispiel zur Strukturierung der Debatte genutzt.

  11. 11.

    Auch in der Realität sind Fälle bekannt, in denen eine Virusinfektion einer Schwangeren das Ungeborene im Mutterleib betreffen und zu Fehlentwicklungen führen kann. Im Zuge der Zikavirus-Epidemie im Jahre 2015 und 2016 in Lateinamerika kam der Verdacht auf, dass diese Infektion bei einer Schwangeren zu einer Mikrozephalien ihres Kindes führen kann (Brasil, Pereira & Moreira et al. 2016). Ebenso kann eine Rötelninfektion der Schwangeren zu Fehlentwicklungen des Kindes führen (Rötelnembryofetopathie). Für eine Diskussion dieses Beispiels vor dem Hintergrund der Debatte um die selektive Reproduktion: Parfit 2015, 237; Lübbe 2007; Savulescu 2001a, 417; Liao 2008, 976–977.

  12. 12.

    Wir können hier auch von einer Nicht-Identität zwischen möglichen Welten sprechen (vgl. Holtug 2009).

  13. 13.

    Für unterschiedliche Formulierungen der Problemkonstellation des NIP siehe: Boonin 2015, 1–13; Roberts 2015; im Zusammenhang mit der Ethik reproduktiver Entscheidungen: vgl. Benatar & Archard 2010, 7–8.

  14. 14.

    Vgl. Peters 2004, 11–18.

  15. 15.

    Zur Diskussion des NIP vor dem Hintergrund von Fragen der Nachhaltigkeit: Tremmel 2013; vgl. Ott 2004.

  16. 16.

    Die Rede von ‚Person‘ verweist an dieser Stelle nicht auf ein philosophisches Konzept, sondern referenziert umgangssprachlich auf ‚Irgendjemanden‘.

  17. 17.

    Parfit 1984, 363; Temkin 1993, 248. Wolf (2009, 97) weist auf Mehrdeutigkeiten der P-Sicht hin; zum Verhältnis der P-Sicht und dem Aktualismus: vgl. Hare 2007, 499; Henning 2013. Zur Vereinfachung der Darstellung wird hier eine personalistische Variante der P-Sicht formuliert. In einer allgemeineren Formulierung kann anstelle einer Person auch irgendeine Entität betroffen sein.

  18. 18.

    Dabei ist irrelevant, ‚wer‘ genau diese bestimmte (zukünftige) Person ist (Birnbacher 1995, 58). Entscheidend ist gemäß der P-Sicht, dass diese nicht bloß eine mögliche Person ist, sondern eine aktuale (zukünftige), die also auch entscheidungsunabhängig existieren würde.

  19. 19.

    An dieser Stelle können wir vernachlässigen, ob es gegebenenfalls für die Frau selbst oder dritte Parteien (Familie, Ärzte, Gemeinschaft) besser wäre, wenn sie gewartet hätte (vgl. Solberg 2009).

  20. 20.

    Die diesem Urteil zugrundliegende Prämisse, dernach die Verhinderung einer möglichen Existenz keinen Schaden darstellt, wird in Abschn. 14.4 diskutiert.

  21. 21.

    Zum Kontrast von P-Sicht und N-Sicht: vgl. Heyd 1992, 80–90; Heyd 1995, 295; Meyer 2015, Abs. 1. Für verschiedene Bedeutungen der nicht-personenbezogen Sicht: siehe Abschn. 9.2 sowie dort Anm. 63.

  22. 22.

    Vgl. Parfit 1984, 360.

  23. 23.

    Mulgan 2009, 119–122; vgl. Narveson 1967.

  24. 24.

    Zur Diskussion von ‚gut‘ und ‚gut für‘: Hurka 1987; für einen Überblick siehe Rønnow-Rasmussen 2013.

  25. 25.

    Vgl. Hoerster 2002, 109–110; Moore 2000 [1903], 133–136; Narveson 1967, 67–68; Smart 1973, 27–28.

  26. 26.

    Parfit 1984, 366–370.

  27. 27.

    Siehe zur Diskussion: Abschn. 14.1. In Reaktion darauf wird von einigen Autoren ein gemischter Ansatz vertreten, der sowohl Merkmale der P- als auch der N-Sicht trägt (Brock 1995; DeGrazia 2005, 268–279; McMahan 1998).

  28. 28.

    Heyd 2009, 3.

  29. 29.

    Henning 2013, 14.

  30. 30.

    Dietrich 2013, 390. Häufig wird die Frage von Unrecht oder Schädigung bei reproduktiven Entscheidung separat von der Frage einer legitimen Beschwerde gegen die Eltern verhandelt (vgl. Feinberg 1992 [1986], 27). Kritisch zum Beschwerde-Argument: Strong 2005, 508; Brock 1995, 274; Buchanan et al. 2000, 254; vgl. Woodward 1986, 810–11; im Zusammenhang mit der Debatte um die liberale Eugenik: vgl. Sparrow 2011a, 37; Harris 2007, 159; Savulescu 2002, 727; Liao 2008, 974; Blackburn 2013, 27; Wilkinson 2010a, 79.

  31. 31.

    Lübbe 2007; mit Blick auf Vertreter der liberalen Eugenik: Gavaghan 2007, insb. 71–100; Wilkinson 2010a, passim; Blackford 2014, 15–30; Bennett 2014a; Malmqvist 2008, 49–60; DeGrazia 2012, 176–186.

  32. 32.

    Herissone-Kelly 2009, 253.

  33. 33.

    Für einen Überblick zu Lösungsvorschlägen zum NIP: Roberts 2015; Roberts & Wasserman 2009a; vgl. Meyer 2015, Abs. 3.1; Ott 2004; im Zusammenhang mit reproduktiven Entscheidungen: DeGrazia 2012, 174–186.

  34. 34.

    Heyd 1992; Heyd 2009; Smajdor 2014; im Zusammenhang mit der liberalen Eugenik: Bennett 2009a; Gavaghan 2007.

  35. 35.

    Vgl. Boonin 2015.

  36. 36.

    Kumar 2003; Woodward 1986; Archard 2004; vgl. Velleman 2008.

  37. 37.

    Wasserman 2005; Wasserman 2009.

  38. 38.

    Siehe hierzu Herissone-Kelly (2006a; 2009) internal perspective; Malmqvist 2008, 57–60; Delaney 2012.

  39. 39.

    Vgl. Birnbacher 2006d, 304; für verschiedene Konzeptionen des Schadensbegriffs: siehe Abschn. 9.2.

  40. 40.

    Harman 2004; Harman 2009; Hanser 2009; Shiffrin 2009; vgl. Gardner 2015; Meyer 2003; Rivera-López 2009; Steinbock 2009.

  41. 41.

    Vgl. Ranisch 2012.

  42. 42.

    Vgl. Holtug 2009; Wolf 2009.

  43. 43.

    Hare 2007; Williams 2013. Zur Unterscheidung von Urteilen de re und de dicto: Henning 2013, 19–24; Boonin 2015, 31.

  44. 44.

    Bayne 2010, 31.

  45. 45.

    Vgl. Feinberg 1984, 31–36.

  46. 46.

    Für weiterführende Analysen: vgl. Meyer 2015; Meyer 2003, 146–148; Rabenberg 2014.

  47. 47.

    Vgl. Meyer 2003, 147–148; Shiffrin 2012, 366–367; Parfit 1984, 487–488. Im Zusammenhang mit reproduktiven Entscheidungen wird ein Standardbegriff von Schaden von Bennett (2009a), Gavaghan (2007), Heyd (2009) und Robertson (2004) vertreten. Für eine neuere Verteidigung eines solchen Schadensbegriffs im Zusammenhang mit der liberalen Eugenik: Purshouse 2015.

  48. 48.

    Shiffrin (2012, 366–367) unterscheidet hier eine counterfactual view und historical view von ‚Schaden‘ (vgl. Meyer 2003, 147–148).

  49. 49.

    Zur Verhältnisbestimmung zwischen ‚Schaden‘ und (verhindertem) ‚Nutzen‘: Feinberg 1984, 136–142; vgl. Shiffrin 1999. Als Kontrastbegriff zum ‚Schaden‘ hat sich in der Debatte der Begriff des ‚Nutzens‘ eingebürgert. Dieses Konzept hat zugleich ökonomische Konnotationen und wird bei der nachfolgenden Verhandlung zumeist als ‚Wohl‘ ausgedrückt.

  50. 50.

    Shiffrin 1999; Strong 2005; Woodward 1986; Harman 2004; Hanser 2008.

  51. 51.

    Bennett 2014b, 33; vgl. Brock 1995, 272.

  52. 52.

    Birnbacher 2006d, 304.

  53. 53.

    Glover 2001, insb. 443; vgl. Ranisch 2012. Die Rede von ‚impersonal harm‘ wird häufig auch abwertend mit Blick auf Maximierungstheorien genannt. Für eine Kritik: Bennett 2009a; Holland 1998; Herissone-Kelly 2012, 450; vgl. DeGrazia 2012, 181–189; Saunders 2015b.

  54. 54.

    Vgl. Broome 2004, 65–66.

  55. 55.

    Vgl. DeGrazia 2012, 181–182.

  56. 56.

    Harris 1992, 90; vgl. Feinberg 1992 [1986], 27. Häufig spricht Harris auch von „harmed states“ (Harris 2007, 91–92; Harris 1992, 89), womit er einen nicht-komparativen Schadensbegriff im Sinne eines Schwellenwertkonzepts von ‚Schaden‘ nahelegt (Williams & Harris 2014, 346–347). Dann wiederum scheint er in utilitaristischer Manier und gleichsam komparativ jede Art von verhindertem Wohl als ‚Schaden‘ zu sehen (Harris 2007, 86–108; vgl. Williams & Harris 2014, 349; Brassington 2010, 397). Für eine Analyse des Schadensbegriffs von Harris: vgl. Sparrow 2011a, 41–42 Anm. 38; Sparrow 2011c; Glover 2006, 24–25.

  57. 57.

    Savulescu 2014, 172; Savulescu 2002, 772; vgl. Rothenfluch 2016, 120; Parker 2010, 64–65. Mitunter spricht auch Savulescu von „wrong“, „wronging“ oder „harmless wrong“, um auf eine Kategorie zu verweisen, die dem Konzept von nicht-personenbezogenen Schäden entspricht (vgl. Savulescu 2007, 529; Savulescu 2001, 418; zur Unterscheidung zwischen harm und wrong: Archard 2004; Strong 2005, 507–508).

  58. 58.

    Savulescu & Kahane 2009, 277; Herv. R.R. An gleicher Stelle schlagen Savulescu und Kahane allerdings noch eine personenbezogene Interpretation ihres Prinzips vor. Zur Diskussion: Kap. 14.

  59. 59.

    Bennett 2009a, 268; ebenso Mills 2011, 70; vgl. Karnein 2013, 216–217; mit Blick auf die Verpflichtungsdimension für Ärzte: Hope & McMillan 2012.

  60. 60.

    Vgl. Mackie & Jago 2013.

  61. 61.

    N. J. Williams 2014, 371; vgl. Mahans (1997) Impersonal Comparative Principle sowie Parfits (1984, 360) Q (siehe hierzu Abschn. 14.1).

  62. 62.

    Insbesondere bedürfte es einer überzeugenden Theorie über Counterpart-Relations (hierzu: Meacham 2012; vgl. Williams 2013; Višak 2015).

  63. 63.

    Mitunter wird hervorgehoben, dass diese Position gerade nicht nicht-personenbezogen sei, da sie immerhin irgendeine Person betreffe (etwa: Brock 1995, 273). Alternativ wird eine solche Sichtweise auch als weite personenbezogene Sichtweise bezeichnet.

  64. 64.

    Vgl. hierzu die de re/de dicto Interpretation von ‚besser‘ bei Višak (2013, 99).

  65. 65.

    Bei der Begriffsbestimmung von ‚Enhancement‘ zeigt sich bereits bei Savulescu und Harris (Abschn. 6.4), dass eine unterlassene ‚Verbesserung‘ zuweilen als Schaden (oder Unrecht) gewertet wird (exemplarisch: Savulescu 2005, 38; zur weiteren Diskussion: Abschn. 14.5).

  66. 66.

    Für entsprechende nicht-komparative Vorschläge eines Konzepts von Schaden: Shiffrin 1999; Shiffrin 2012; Harman 2004; Harman 2009; Gardner 2015; Meyer 2003; zur Kritik: Boonin 2015, 71–102; im Kontext der liberalen Eugenik: vgl. Harris 1992, 89; Jacob 2015.

  67. 67.

    Harman 2004, 93.

  68. 68.

    Nicht-komparative Schadensbegriffe müssen demnach keineswegs personenbezogen (im de re Sinne) sein (vgl. Williams 2013).

  69. 69.

    In der gegenwärtigen Diskussion wird überwiegend von ‚wrongful life‘ gesprochen. Mitunter wird ‚harmful life‘ auch als Oberkategorie verwendet, die jeden absoluten Schaden (s. u.) bezeichnet, ob dieser nun die Folge von Handlungen oder ‚natürlichen‘ Ursprungs ist. Ein ‚wrongful life‘ wäre dagegen eine Form von absolutem Schaden, der einen (menschlichen) Verursacher hatte (Pluhar 1995, 152; vgl. Peters 2004, 45–60).

  70. 70.

    Wir werden im nächsten Abschnitt auf zwei mögliche Bedeutungen von ‚wrongful life‘ eingehen, die mit einem solchen Urteil in Verbindung stehen.

  71. 71.

    Gavaghan 2007, 92; ebenso: Bennett & Harris 2002, 328; Robertson 1994, 75.

  72. 72.

    Aus Ermangelung einer adäquaten Übersetzung von ‚wrongful life‘ wird im Nachfolgenden die englische Terminologie verwendet. Die mitunter vorgeschlagene Übersetzung ‚Kind als Schaden‘ ist irreführend, da mit diesem Ausdruck zugleich auch ein (behauptetes) Unrecht bezeichnet wird, das den Eltern durch die Geburt ihres Kindes widerfahren könne (und nicht dem Nachkommen). Fälle, in denen aus elterlicher Sicht argumentiert wird, dass ein entsprechendes Kind nicht hätte gezeugt oder nicht hätte zur Welt gebracht werden sollen, werden auch als ‚wrongful birth‘ oder ‚wrongful pregnancy‘ bezeichnet (Feinberg 1992 [1986], 13; Mor 2014, 117–118; Bayne 2013; Harris 1992, 80).

  73. 73.

    Bayne 2013.

  74. 74.

    Zu einschlägigen Positionen: Archard 2004; Benatar 2000; Buchanan et al. 2000, 222–257; Feinberg 1992 [1986]; Harris 1992, 79–97; Heyd 1992, 21–38, passim; McMahan 1998; Roberts 1998, 135–177; Shiffrin 1999; Steinbock & McClamrock 1994.

  75. 75.

    Vgl. Feinberg 1984, 101.

  76. 76.

    Diese Konstellation wird in den Rechtswissenschaften unter dem Schlagwort ‚Kind als Schaden‘ diskutiert (exemplarisch: Picker 1995). In der deutschen Rechtsprechung wird erklärt, dass es zwar kein ‚Recht auf Nichtexistenz‘ gibt und ein Kind keinen Schaden darstellen kann. Schadensersatzfähig können allerdings die durch ein behindertes Kind entstehenden Unterhaltskosten sein, eine Auslegung, die bisweilen als widersprüchlich kritisiert wird (Di Fabio 2017, Rn. 221–222).

  77. 77.

    Heyd 1986; Ahuja 2011. Seit 2012 sind nach Entscheidung des israelischen Supreme Courts (Hamer et al. v. Prof. Amit et al.) nur noch wrongful birth- aber keine wrongful life-Klagen mehr zulässig (Mor 2014).

  78. 78.

    Shiffrin 1999, 118. Kavka (1982, 105) spricht in diesem Zusammenhang von „restricted life“, Bennett (2009a, 266) von „unworthwhile lives“, Gavaghan (2007, 92) von „worse than nothing“ und Pennings (1999, 1145) von „worse than death“. Die ethische und erkenntnistheoretische Problematik eines solchen Urteils wurde im Zusammenhang mit der prognostischen Lebensqualitätsbewertung in Abschn. 8.2 verhandelt.

  79. 79.

    Benatar 2000, 75; vgl. Bayne 2010; Feinberg 1992 [1986], 26; Buchanan et al. 2000, 224; Roberts & Wasserman 2009b, xxxvi; Wilkinson 2010a, 75.

  80. 80.

    Wenn die Lebensqualität einer Person so gering ist, dass sie nicht existieren will, scheint a fortiori die Lebensqualität zu gering, als dass sie ihr Leben (kontrafaktisch) hätte beginnen wollen.

  81. 81.

    In der Literatur findet sich eine Reihe von meist narrativen Umschreibungen, was einen solchen Zustand unterhalb der Schwelle minimaler Lebensqualität auszeichnet. David Heyd (1992, 121–122) zieht eine Verbindung zwischen dem Konzept der minimalen Lebensqualität und dem (nachvollziehbaren) Wunsch nach Selbsttötung. Buchanan und Kollegen (2000, 224) beschreiben ein solches Leben als so belastend oder ohne Freuden, dass der Tod vorzuziehen sei. Bennett (2009a, 266) spricht von einem Leben, das unterm Strich mehr Leid als Freude aufweist. Steinbock (2009, 155) benennt ein Leben „filled with suffering that cannot be ameliorated or empty of all the things that make life worth living“. Gavaghan (2007, 99) und Brock (1995) sehen ein solches Leben als schlechter als die Nichtexistenz. Strong (2005, 510–511) spekuliert über die Vorstellung eines ‚Schadensnettos‘ (net harm): ein Leben, welches in toto mehr Leid als Freude aufweist. Ähnliches meint Robertson (1994, 112; vgl. Glannow 1998, 192) mit „net burden“ sowie Wilkinson (2010a, 70) mit „negative quality of life“.

  82. 82.

    Feinberg 1992 [1986], 16; vgl. Parfit 1984, 487; Steinbock & McClamrock 1994, 16; Benatar 2010, 82–83.

  83. 83.

    Vgl. DeGrazia 2012, 145.

  84. 84.

    Kipke 2013, 119–121. Insbesondere auch bei Fragen der ‚Sterbehilfe‘ für Neugeborene, d. h. der Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen bei schwerstens geschädigten Neugeborenen, zeigen sich derartige Fragen (vgl. Wilkinson 2011).

  85. 85.

    Beauchamp 2002, 44.

  86. 86.

    Siehe hierzu die Ausführungen in Kap. 11 sowie in Abschn. 8.4.

  87. 87.

    Exemplarisch: Peintinger 2008, 127; im Hinblick auf einen möglichen Dammbruch: Wyatt 2005; vgl. Wilkinson 2010a, 72–73; Bayne 2010, 54.

  88. 88.

    Die Kritik an der externen Bewertung von Lebensqualität wird häufig von Autoren der Disability Studies vorgebracht (zur Diskussion: Abschn. 8.3). Mit Blick auf wrongful life-Fälle: Mor 2014, 119–122; vgl. Wendell 2006, 243; Goering 2008.

  89. 89.

    Für weitere Ausführungen: siehe Abschn. 8.2. Die Frage, wie eine solche Entscheidung von Dritten getroffen werden soll, ist zentral für Vertreter der These eines wrongful life. Exemplarisch hierzu Feinberg (1992 [1986], 20–23): „A disinterested, fully informed and rational proxy adult choosing on behalf of the prospective child would prefer that the child should not be born rather than endure the life in question.“ (vgl. Archard 2004, 407; Williams & Harris 2014, 348–349).

  90. 90.

    McMahan 2009, 49. Es ist hier wiederum zu beachten, dass das Urteil, es wäre besser, wenn ein solches Kind nicht geboren wird, keine Aussage über das Lebensrecht dieses Kindes macht, wenn es dennoch geboren wird.

  91. 91.

    Siehe hierzu: Anm. 99 in diesem Kapitel sowie die Diskussion in Kap. 12.

  92. 92.

    Vgl. Velleman 2008, 266–268.

  93. 93.

    Kamm 1992, 125.

  94. 94.

    Vgl. Steinbock 2011, 85–86; Cohen 1996; Archard 2004.

  95. 95.

    Für eine Kritik der Unterscheidung von S1 und S2: vgl. DeGrazia 2012, 143–145.

  96. 96.

    Benatar 2000, 176–177; vgl. Bayne 2010; Bayne 2013; Cohen 1996, 25; Steinbock 2009, 165; Harris 1995, 210–212.

  97. 97.

    Bennett 2009a, 266.

  98. 98.

    Bayne 2013, 4–5; vgl. McMahan 1999; Buchanan et al. 2000, 225; DeGrazia 2012, 186.

  99. 99.

    Exemplarisch: Bennett 2009a, 269; Buchanan et al. 2000, 222–257; Glannon 1998, 192; Glover 2006, 57; Harris 1992, 79–97; Herissone-Kelly 2006a, 169; Savulescu & Kahane 2009, 280; Williams & Harris 2014. Daneben finden sich Autoren wie Heyd (1992), Solberg (2009) und Smajdor (2014), die aufgrund einer radikal personenbezogenen Sicht auf die Moral meinen, wrongful life-Fälle seien widersprüchlich. Wie im Folgenden noch gezeigt wird, versuchen aber selbst sie, entsprechenden Fällen auf indirektem Wege ein moralisches Gewicht beizumessen (Solberg 2009, 374; Heyd 2009, 23; siehe hierzu die Diskussion in Kap. 12).

  100. 100.

    Karnein 2013, 240.

  101. 101.

    Bayne 2010, 3; vgl. Cohen 1996, 25.

  102. 102.

    Singer 2013, 291; vgl. Kuhse & Singer 1993.

  103. 103.

    Vgl. Scott 2007a, 306.

  104. 104.

    Feinberg 1992 [1986], 17; Glover 2006, 59–60; Strong 2005; Singer 2011, 161.

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Ranisch, R. (2021). Das Beste für das Kind? Nicht-Identität und Schaden bei reproduktiven Entscheidungen. In: Liberale Eugenik?. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04739-7_9

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