Das Amerikanische Reisewerk

Zusammenfassung

Im Jahr 1813 schrieb Alexander von Humboldt in seiner Einleitung zu Vues des Cordillères et monumens des peuples indigènes de l’Amérique (Ansichten der Kordilleren und der Monumente der eingeborenen Völker Amerikas) von einer »glückliche[n] Umwälzung« in der »Art und Weise, die Zivilisationen der Völker und die Gründe für das Stocken oder Fortschreiten ihrer Entwicklung zu betrachten« (Humboldt 2004a, 4). Mit dieser Behauptung bezog er klar Stellung in dem andauernden Streitgespräch über die Neue Welt, das mit der vermeintlichen Entdeckung und der Eroberung Amerikas begonnen hatte und sich im 18. Jahrhundert unter anderem in den Schriften des Comte de Buffon, denen von Cornelis de Pauws und des Abtes Guillaume Raynal deutlich verschärfte. Durch Hegels Arbeiten fand dann diese Debatte im 19. Jahrhundert auch in die Philosophie Eingang. Die Neue Welt (wie auch Afrika) wurde in diesem Disput meist als ein geschichtsloser Kontinent dargestellt. Ihre Einwohner waren kulturlose Horden, die weder eine nennenswerte Vergangenheit noch eine wirkliche Zukunft hatten. Sogar geologisch gesehen war die Neue Welt ›neu‹, ein Festland, das erst kürzlich aus den Wassern riesiger Tiefland-Ströme aufgestiegen war. Indem er Francisco Javier Clavijeros zehnbändige Historia antigua de México (1780–1781; Alte Geschichte von Mexiko) heraufbeschwor, brachte Humboldt seine eigenen Ansichten der Kordilleren, die er in Paris zwischen 1810 und 1813 zuerst auf Französisch veröffentlicht hatte, in den Disput als kritische Beleuchtung der These von Amerikas kultureller Minderwertigkeit ein (Humboldt 1810–1813). Diese Mutmaßung war zum Kennzeichen des Diskurses über Amerika in den Werken von Autoren geworden, die scheinbar selbstverständliche Urteile über den Kontinent fällten, ohne jemals dort gewesen zu sein. Humboldts »glückliche Umwälzung« veranlasste mit ihrer einschneidenden Kritik an der europäischen, insbesondere französischen Aufklärung eine bahnbrechende Veränderung. Es mag als ironisch gelten, dass Humboldt selbst mit seinen Schriften am meisten zu diesem wesentlichen Wandel in der europäischen Auffassung von Kulturunterschieden beitragen sollte.