Zusammenfassung
Am Ende seiner großen Abhandlung über Oper und Drama (1851) stellt Wagner die Gretchenfrage, ob das Drama in seiner Fülle, also in der Vereinigung und wechselseitigen Durchdringung von Wort- und Tonkunst, von zwei Schöpfern oder bloß einem einzigen hervorgebracht werden wird, die Frage also, ob wir uns den Dichter und den Musiker als zwei verschiedene Personen oder bloß als eine einzige vorzustellen haben. Wagner hat diese Frage bekanntlich theoretisch wie philosophisch und praktisch beantwortet. Spätestens seit Oper und Drama steht für ihn jedenfalls fest, daß das Musikdrama nur von einer einzigen Person geschaffen werden kann. Nur die ungeteilte Schöpferpersönlichkeit, nur ein einziger Schöpfer wäre imstande, die Trennung von Dichtung und Musik aufzuheben. Denn jede dieser künstlerischen Kräfte muß, für sich genommen, nach Selbstvervollkommnung streben. Der Dichter kann sich unmöglich selbst verleugnen, um seine Kunst der Musik zu opfern. Und auch der Musiker hat seinem eigenen Genius zu folgen, statt der Dichtung zur Geltung verhelfen zu können. Nur durch eine Einzelperson, die unwiderstehlich von beiden künstlerischen Kräften getrieben wird, deren Liebe zur Wort- und Tonkunst also gleichsam eine ungeteilte ist, kann „das Unmögliche“, wie Wagner sagt, verwirklicht werden: die Überwindung der Spaltung der Künste in ihrer Vereinigung zu einem Kunstwerk.
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Link-Heer, U. (2000). Der “androgyne Wagner” und die Dramaturgie des Blicks. In: Vill, S. (eds) »Das Weib der Zukunft«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04310-8_7
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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