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„Das Brandmal“ — Lebensbeschreibung der Frau

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Das gezeichnete und ausgezeichnete Subjekt
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Zusammenfassung

Das Jahr 1920 bildet für das Paar Ball/Hennings ein Jahr der Wende, in welchem sowohl das private als auch das berufliche und öffentliche Leben neue Gestalt annimmt. Nachdem in den Jahren zuvor die Bindung zwischen ihnen nicht immer gefestigt erschien,1 erfolgt im Februar 1920 die Eheschließung. Eine turbulente, anstrengende Lebensphase soll offenbar in geordnete Lebensverhältnisse überfuhrt werden. Beruflich kommt es zu einem Rückzug aus bisher vertrauten künstlerischen Verbindungen und zum Aufbau neuer, religiös geprägter Lebens- und Arbeitsbezüge. Dem politischen Aufbruch hat das Scheitern der Revolution in Deutschland Einhalt geboten, und die veränderte Situation fordert auf, den eigenen Handlungsspielraum neu zu sondieren. Biographische Wendepunkte legen es nahe, eine Bestandsaufnahme des bisherigen Lebens und eine Revision bisher gewonnener Ansichten zu leisten. Die jetzt zur Kirche sich bekennende Emmy Hennings präsentiert sich verändert und will auch anders gesehen werden. Daß die neue Identität auch akzeptiert wird, aber ist selbstverständlich nicht, denn der Wandel von der Vagabundin und dem Varieté-Star zur Ehefrau, Katholikin und religiösen Schriftstellerin erscheint kraß und bedarf der Erklärung. Den beabsichtigten Bruch zu vermitteln, die neue Identität nachzuweisen und ihr Anerkennung zu verschaffen, dient das Schreiben.

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Literatur

  1. Daß Hennings zur Darstellung ihrer Wandlung die Prostituierte wählt, fügt sich in expressionistische Haltungen. Als Heilsbringer und Umwerter aller Werte erschien im Expressionismus der „neue Mensch“. In weiblicher Gestalt übernimmt die Prostituierte diese Rolle. Sie wird eingesetzt als Mittel der Erkenntnis, Gesellschaftskritik und Wahrheitsfindung. Die „Dirne“ den „neuen Menschen“ zur Seite stellt in einer Untersuchung: Christiane Schönfeld, Dialektik und Utopie. Die Prostituierte im deutschen Expressionismus, Würzburg 1996. Zum utopischen Gehalt des Expressionismus und der damit verbundenen Idee vom „neuen Menschen“ vgl. auch: Otto F. Best, Theorie des Expressionismus, Stuttgart 1994, S. 5–8

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  3. Zur Bewertung der Passivität bei Emmy Hennings vgl. auch: Christa Bürger, Diese Hoffnung, eines Tages nicht mehr allein zu denken. Lebensentwürfe von Frauen aus vier Jahrhunderten. Stuttgart/Weimar 1996, S. 148

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  8. Die soziale und berufliche Situation, in die Emmy Hennings im „Brandmal“ ihre Protagonistin stellt, findet sich ausführlich dargestellt und untersucht in einer Sozialgeschichte der Prostitution von: Regina Schulte, Sperrbezirke. Tugendhaftigkeit und Prostitution in der bürgerlichen Welt, Hamburg 1994, einleitend S. 7–9

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  9. Daß die Integration der Frau in den Produktionsprozeß Selbstverwirklichung nicht gewährleistet, thematisieren u.a. Untersuchungen zum Verhältnis von Frau und Arbeit in der ehemaligen DDR. Sie machen aufmerksam auf den Widerspruch zwischen der Identität als Produzentin und der Identität als Frau. Besonders anschaulich wird dies in einer von Helen Fehevary vorgenommenen Besprechung eines Porträts einer Arbeiterin von Wolfgang Mattheuer mit dem Titel „Die Ausgezeichnete“ in: Reinhold Grimm/Jost Hermand (Hrsg.), Arbeit als Thema in der deutschen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Königsstein/Ts.l979, S. 182–184

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Süllwold, E. (1999). „Das Brandmal“ — Lebensbeschreibung der Frau. In: Das gezeichnete und ausgezeichnete Subjekt. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04309-2_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04309-2_6

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-45216-0

  • Online ISBN: 978-3-476-04309-2

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