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Personale Identität als narrative Identität

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Book cover Narrative Identität
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Zusammenfassung

Die Ausgangsfrage meiner Arbeit lautete, ob und wie sich die Redeweisen von ‚personaler Identität‘ oder von der ‚Einheit eines menschlichen Lebens‘ sinnvoll rechtfertigen lassen. Mein Vorgehen bestand im wesentlichen darin, einen sinnvollen Begriff von Identität insgesamt vorzuschlagen. Identität läßt sich, so kann man die Argumente zusammenfassen, nur verstehen, wenn man zugleich auf Begriffe wie Sinn, Prozessualität, poiesis, Strukturbildung, Symbolisierung, Narrativität, und Individualität verweist. Die Identität einer Person bildet hierzu keine Ausnahme. Der Zusammenhang eines Lebens muß als ein narrativer Zusammenhang verstanden werden. Die Einheit eines menschlichen Lebens entspricht in ihren Strukturen bzw. Organisationsprinzipien der Einheit einer erzählten oder erzählbaren Geschichte. Die eigene Identität ist, wie Ricoeur sagt, eine „narrative Identität“ (ZuE-3, 395). Auf die Frage nach der Identität einer Person muß man „die Geschichte eines Lebens erzählen (ZuE-3,395). Dies ist der zentrale Gedanke, der allen narrativen Ansätzen zum Problem der personalen Identität gemeinsam ist.1

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Notizen

  1. Dies tut ausführlicher David Carr; cf. Time, Narrative, and History, op.cit., pp.74–80; auch Ricoeur verweist einmal kurz auf Dilthey in Narrative Identity, in Philosophy Today 35/1 (1991), pp.73–81,77. Demgegenüber erwähnt MacIntyre Dilthey in Verlust der Tugend überraschenderweise an keiner Stelle, worauf wiederum Ricoeur hinweist; cf. Paul Ricoeur, The Teleologicai and Deontological Structures of Action: Aristoteles and/or Kant, in Archivio di filosofia (1987), pp.205–217,209

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  2. Zu Diltheys Konzept der Einheit eines menschlichen Lebens genauer cf. Hans Michael Baumgartner, Kontinuität und Geschichte: Zur Kritik und Metakritik der historischen Vernunft (Frankfurt 1972), bes. pp. 100–103.

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  3. Cf. Wilhelm Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt, op.cit., p. 196. Die Bedeutungsaspekte dieser Formel sind außerordentlich komplex und können hier nicht nachgezeichnet werden. So unterscheidet Dilthey eine ganze Reihe von Zusammenhängen: Wirkungszusammenhang, psychischer Zusammenhang des Seelenlebens, Strukturzusammenhang des Wissens, des Gefühls, des Wollens, Bedeutungszusammenhang, Auffassungszusammenhang, Zweckzusammenhang; cf. hierzu genauer Hans Ulrich Lessing, Die Idee einer Kritik der historischen Vernunft: Wilhelm Diltheys erkenntnistheoretisch-logisch-methodologische Grundlegung der Geisteswissenschaften (Freiburg/München 1984), p.212.

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  4. Dilthey, Texte zur Kritik der historischen Vernunft (ed. Hans-Ulrich Lessing, Göttingen 1983), p.198

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  5. Georg Misch, Vorbericht des Herausgebers, zu Wilhelm Dilthey, Gesammelte Schriften Bd.V, p.LXXXII. Dilthey wendet sich vor allem gegen Auffassungen, die eine rein formale Konstruktion des sinnhaften Erlebniszusammenhanges nahelegen, wie etwa die erklärende Assoziationspsychologie. Die innere Struktur des Zusammenhanges sei vielmehr sowohl „ganz unabhängig von der Aufeinanderfolge in der Zeit“ als auch von den „direkten Beziehungen des Sichbedingens“; Der Aufbau der geschichtlichen Welt, op.cit., p. 72. Dilthey unterscheidet sich damit übrigens auch von Husserl, der die Einheiten des Bewußtseinsstromes (Urimpressionen, Retentionen und Protentionen) letztlich nur über ihre intentionalen Bezüge ‚jetzt‘, ‚soeben vergangen‘ und ‚gleich eintretend‘ bestimmen kann. An einer berühmten Stelle in den Cartesianischen Meditationen, op.cit., p.109, spricht allerdings auch Husserl davon, daß das Ego sich für sich selbst „sozusagen in der Einheit einer Geschichte“ konstituiert. Zum Verhältnis zwischen Dilthey und Husserl cf. auch Elisabeth Ströker, Systematische Beziehungen zwischen der Husserlschen Philosophie zu Dilthey, in dies., Phänomenologische Studien, (Frankfurt 1987), pp. 160–186.

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  6. Cf. Jochen Rehbein, Biographisches Erzählen, in Eberhard Lämmert, Erzählforschung: Ein Symposion (Stuttgart 1982), pp.51–73, der eine Reihe von empirisch gewonnenen Charakteristika alltäglicher biographischer Identitätspräsentationen und -konstruktionen aufführt, etwa daß der „Sprecher zumeist nicht vorplant, welches Wissen er wiedergibt, sondern sich vom Erzählen mitreißen läßt“ (p.53). Weiterhin scheinen besondere „Übergangsoder Anknüpfungsstellen“ relevant zu sein bzw. „problematische Punkte bruchhafter Erfahrungsverarbeitung, sprunghafter thematischer Assoziationen, […] Punkte zusammenprallender Widersprüche“, die dann im biographischen Erzählen neu und anders bewertet werden: „Kein Typus des Erzählens steckt so voll von bewertenden Prozeduren wie gerade das biographische Erzählen“ (p.55), wobei diese Bewertungen eine biographische Geschichte produzieren, „in der den Ereignissen eine Handlungsidentität abgewonnen wird“ (p.61).

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  7. Carr, Time, Narrative, and History, op.cit., p.97. Hier könnte man auf Positionen innerhalb von Psychologie und Psychoanalyse hinweisen, die ebenfalls die Auffassung vertreten, die eigene Identität bestehe in der Produktion einer narrativ-poietischen Einheit. Roy Schafer etwa hat Psychoanalytiker als Leute beschrieben, „who listen to the narratives of analysands an help them to transform these narrations into others that are more complete, coherent, convincing, and adaptively useful than those they have been accustomed to constructing“; The Analytic Attitude (New York 1983), p.240; cf. auch ders., A New Language for Psychoanalysis (New Haven 1976). Auch Ricoeur verweist auf diese „narrative Deutung der psychoanalytischen Theorie“ (ZuE-1, 118). Die Identität einer Person, eines Individuums setzt sich nach dieser Auffassung also ebenfalls aus einer Vielzahl von Geschichten zusammen, in denen sich eine mehr oder weniger kohärente und sinnhafte Lebensgeschichte repräsentiert. Der zentrale eigene Gedanke besteht dann darin, daß diejenigen Geschichten, die unsere tatsächliche Identität bestimmen, nicht nur solche sind, die für unser bewußtes Selbstverständnis unsere Identität repräsentieren, also diejenigen, die wir uns selbst und anderen explizit erzählen, sondern zu einem großen Teil unbewußte und nicht erzählte, möglicherweise verdrängte Geschichten. Dies kann, folgt man der psychoanalytischen Theorie, zu unterschiedlichen Neurosen mit entsprechendem Leidensdruck führen. Daher sollen die unbewußten und verdrängten Geschichten hervorgeholt und in solche überfuhrt werden, die das Individuum akzeptieren und als Teil seiner personalen Identität übernehmen kann. Zu einer narrativen Deutung psychoanalytischer und psychologischer Phänomene cf. Theodore R. Sarbin (ed.) Narrative Psychology: The Storied Nature of Human Conduct (New York/Westport/London 1986); Polkinghorne, Narrative Knowing and the Human Sciences, op.cit., pp. 101–123, sowie Jerome Bruner, Acts of Meaning, op.cit., pp.33–65. Man könnte weiterhin auf bestimmte Konzepte der Lebenskunst verweisen, wie sie in letzter Zeit vor allem im Zusammenhang mit dem Spätwerk Michel Foucaults diskutiert werden. Foucault versucht im Anschluß an antike Selbstverständnisse menschliches Sichzusichverhalten als eine ‚ästhetische Sorge um sich‘ zu charakterisieren; darunter sind bestimmte „gewußte und gewollte Praktiken zu verstehen, mit denen sich die Menschen nicht nur die Regeln ihres Verhaltens festlegen, sondern sich selber zu transformieren, sich in ihrem besonderen Sein zu modifizieren und aus ihrem Leben ein Werk zu machen suchen, das gewisse ästhetische Werte trägt und gewissen Stilkriterien entspricht“; Der Gebrauch der Lüste: Sexualität und Wahrheit 2, (Frankfurt 1989), p.18. An einer anderen Stelle spricht Foucault von der „Aufmerksamkeit auf sich selber“, die nicht nur auf die Erkenntnis dessen, was man ist, abzielt, sondern auch die „Notwendigkeit“ einschließt, „tatsächlich an sich zu arbeiten und sich zu üben und sich umzuformen“ (p.97). Ohne auf die eigene Perspektive Foucaults einzugehen, kann man sagen, daß seine Auffassung, nach der die Ausarbeitung des eigenen Lebens darin besteht, ein ästhetisches Werk herzustellen, sich in das hier vorgeschlagene narrative Modell von personaler Identität integrieren läßt, nach der die eigene Identität verstanden werden muß als die immer wieder neu zu leistende Aufgabe der poietischen Produktion einer narrativen Einheit.

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  8. Zu diesem Beispiel cf. auch Dietrich Schwanitz, Zeit und Geschichte im Roman — Interaktion und Gesellschaft im Drama: zur wechselseitigen Erhellung von Systemtheorie und Literatur, in Dirk Baecker et.al. (edd.), Theorie als Passion: Niklas Luhmann zum 60. Geburtstag (Frankfurt 1987), pp. 181–213.

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  9. Time, Narrative, and History, op.cit., p.85. Man müßte hier allerdings genauer in eine Diskussion literaturwissenschaftlicher Theorien einsteigen, als Carr dies tut. Weder beim Erzähler noch beim Autor sind Funktion und Status geklärt; cf etwa Michel Foucault, What is an author?, in Vassilis Lambropoulos/David N. Miller (edd.), Twentieth Century Literary Theory: An Introductory Anthology (Albany 1987), pp. 124–142

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  10. Cf. Alois Hahn, Soziologische Relevanzen des Stilbegriffs, in Hans Ulrich Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer (edd.), Stil: Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselementes (Frankfurt 1986), pp.603–611, 604. Merleau-Ponty hat dem Begriff des Stils eine noch grundlegendere Bedeutung zugesprochen als die der nachträglichen ‚Färbung‘ von bereits schematisierten Handlungs- und Wahnehmungsmustern; der individuelle Stil liegt vielmehr vor jeder schematisierten Form, er ist das, „was jede Bedeutung ermöglicht“; Prosa der Welt, op.cit., p.79. Im Stil manifestiert sich ein individueller Ausdruckswille, er markiert „jenen fruchtbaren Augenblick“, in dem einer „Erfahrung Form gegeben“ wird (79). Manfred Frank hat diesen Gedanken aufgegriffen und daraus eine „generelle Bedeutungstheorie“ abzuleiten versucht, die besagt, „daß die universellen Bedeutungen der sprachlichen Typen in der individuellen Ausdifferenzierung des Stils entspringen“; Stil in der Philosophie (Stuttgart 1992), p.56.

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Meuter, N. (1995). Personale Identität als narrative Identität. In: Narrative Identität. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04229-3_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04229-3_7

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-45133-0

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