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Agonalität und Theatralität

Kleists Gedankenfigur des Duells im Kontext der europäischen Moralistik

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Kleist-Jahrbuch 1999

Part of the book series: Kleist-Jahrbuch ((KLJA))

Zusammenfassung

Kleist war bekanntlich kein theoretischer Kopf, seine Reflexion auf die Möglichkeiten und Grenzen des Wissens in der Kant-Krise begründet denn auch eine Entscheidungssituation, deren Resultat nicht überrascht. Die Alternative heißt: Durchdringung des Scheins hin auf das wahre Sein oder Verzicht auf diesen Versuch und Anerkennung des Scheins bzw. Erprobung der Möglichkeiten eines Denkens, das die Unerreichbarkeit des wahren Seins voraussetzt. Kleist läßt sich auf die zweite Alternative ein, verliert allerdings nie den Blick auf die erste, aus dieser Schwellenposition resultieren die produktiven Paradoxien seines Schreibens. Von 1801 an vollzieht er, wenn auch widerwillig, die Kehrtwende von den idealistischen Hinterwelten zur Empirie. Aus dem theoretischen Optimisten und Moralphilosophen der Jugendzeit wird nach der Kant-Krise ein skeptischer Moralist, der sich nicht mehr dafür interessiert, wie unter Menschen gehandelt werden soll, sondern wie unter Menschen gehandelt wird. Das ist meine zentrale These. Es geht mir darum, in Kleists Essays Ausgangsfragen skeptischen Denkens zu bezeichnen, die Kleist mit den europäischen Moralisten teilt, mit Machiavelli, Gracián, Castiglione, Montaigne oder La Rochefoucauld, und damit Zündstoff in Reinform zu gewinnen, Incitamenta, Gedankenfiguren, die in seinen fiktionalen Texten Beziehungen stiften und Unruhe bis heute. Eine solche Gedankenfigur ist die des Duells. Die soziale Praxis des Duells um 1800 soll zunächst skizziert werden, um den Abstand zu Kleists Texten ermessen können.

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Notizen

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Blamberger, G. (2000). Agonalität und Theatralität. In: Blamberger, G. (eds) Kleist-Jahrbuch 1999. Kleist-Jahrbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03787-9_4

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