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Liebeszerstückelung

›Penthesilea‹ mit Shakespeare gelesen

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Kleist-Jahrbuch 1999

Part of the book series: Kleist-Jahrbuch ((KLJA))

  • 179 Accesses

Zusammenfassung

Läßt man sich auf den Versuch ein, Kleist mit Shakespeare im Hinblick auf den Kampf der Geschlechter zu lesen, kommt man unwillkürlich auf die Verbindungslinie, die von Penthesileas Zerstückelung ihres Gegners Achilles zurückführt zu der in Erwartung der Hochzeitsnacht formulierten tödlichen Liebesphantasie Juliets. In der berühmten Balkonszene im dritten Akt, in der Juliet ungeduldig und gleichzeitig furchtsam ihren verbotenerweise und deshalb heimlich geheirateten Geliebten Romeo erwartet, beschreibt sie einerseits den so sehnsuchtsvoll antizipierten Beischlaf wie ein Duell, von dem sie im vorhinein weiß, daß sie nur verlieren kann, um zu gewinnen. In diesem Sinne ruft sie die Nacht als schützende Bedeckung dieser Niederlage an: »Come, civil night, / Thou sober-suited matron, all in black, / And learn me how to lose a winning match / Play’d for a pair of stainless maidenhoods« (III.ii, 10–13).1 Sie deutet andererseits aber auch auf die Nähe von erotischem Genuß und Selbstverschwendung hin, jedoch in Form einer auf den Geliebten projizierten Zerstückelungsphantasie: »When I shall die / Take him and cut him out in little stars, / And he will make the face of heaven so fine / That all the world will be in love with night, / And pay no worship to the garish sun« (III.ii, 21–25).2 Sich der eigenen Verausgabung sicher, will sie nicht nur den Geliebten als einen ebenso der Liebesgewalt geopferten Tribut wissen. Sie will seinen Leichnam ganz im Sinne der Rhetorik des Barocks auch in eine allegorische Heimat eingehen lassen. Hatte Walter Benjamin doch für die Dramen dieser Zeit festgestellt: »Produktion der Leiche ist, vom Tode her betrachtet, das Leben«; »das Toddurchdrungensein des […] barocken Menschen wäre ganz undenkbar, wenn nichts als die Erwägung ihres Lebensendes sie beeindruckt hätte.«3

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Notizen

  1. William Shakespeare, Romeo and Juliet, hg. von Brian Gibbons, The Arden Shakespeare, London 1980, S. 169.

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  2. Walter Benjamin, Gesammelte Schriften I, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schwep-penhäuser, Frankfurt a.M. 1980, S. 392. den für die unsterbliche Kraft einstehen, die von diesem Liebesduell ausging, wie auch die Wichtigkeit dieser nächtlichen Liebe gegenüber einer sonnengesteuerten gesetzmäßigen Trauung sicherstellen.4

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  3. Für eine Diskussion der Lesbarkeit von Achilles Leiche als Emblem, wodurch ihr sowohl eine materielle als auch eine repräsentatorische Bedeutung zugewiesen wird, siehe Bettine Menke, Körper-Bild und -Zerfällung, Staub. Über Heinrich von Kleists ›Penthesilea‹. In: Körper — Gedächtnis — Schrift. Der Körper als Medium kultureller Erinnerung, hg. von Claudia Öhlschläger und Birgit Wiens, Berlin 1977, S. 122–156. Für eine Darstellung davon, wie in ›Penthesilea‹ auf ähnliche Weise die Opferung des Geliebten als ein Voraugenstellen des Unbenennbaren des Todes fungiert, siehe Gabriele Brandstetter, ›Penthesilea‹. »Das Wort des Greuelrätsels«. Die Überschreitung der Tragödie. In: Kleists Dramen, hg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1997, S. 75–115.

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  4. Siehe auch Wolf Kittlers Ausarbeitung des Verhältnisses zwischen totaler Liebe und totalem Krieg, in: Wolf Kittler, Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege, Freiburg 1987.

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  5. Siehe auch Eva S. Poluda, Widersprüche geschlechtlicher Identität in Heinrich von Kleists ›Penthesilea‹. In: Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Band 17, Würzburg 1998, S. 73–88. Poluda bespricht im Kontext einer psychoanalytischen Lektüre die katastrophale Liebe der Penthesilea als eine Verwirklichung der weiblichen Angst, zur Beute gemacht, statt geliebt zu werden, wie auch der männlichen Angst, statt geliebt, gefressen zu werden.

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  6. Stanley Cavell, Pursuit of Happiness. The Hollywood Comedy of Remarriage, Cambridge (Ma.) 1981, S. 145.

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  7. Judith Butler, Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York und London 1990.

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  8. Marianne Schuller macht an dem Verfehlen des Treffens dieser Blicke auch die ambivalente Auflösung der Textgestalt fest. Marianne Schuller, Den »Übersichtigkeiten« das Wort geredet Oder: ›Verrückte Rede‹? Zu Kleists ›Penthesilea‹. In: Theorie — Geschlecht — Fiktion, hg. von Nathalie Amstutz und Martina Kuoni, Frankfurt a.M. 1994, S. 61–73.

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  9. Walter Benjamin, Zur Kritik der Gewalt, In: Ders., Gesammelte Schriften, II.1, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M. 1977.

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  10. Für eine Ausarbeitung dessen, wie Achilles in Penthesileas Phantasiearbeit die Stelle der Mutter einnimmt und somit die Fragilität der Gemeinschaft der Amazonen zum Vorschein bringt, siehe auch Chris Cullens und Dorothea von Muecke, Love in Kleist s ›Penthesilea‹ and ›Käthchen von Heilbronn‹. In: DVjs 63 (1989), S. 461–493, sowie Brandstetter, ›Penthesilea‹ (wie Anm. 4).

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  11. Helga Gallas, Kleists ›Penthesilea‹ und Lacans vier Diskurse. In: Kontroversen, alte und neue: Akten d. VII. Internationalen Germanisten-Kongresses, Göttingen 1985, hg. von Albrecht Schöne, Tübingen 1986, S. 203–212, sieht in Penthesileas gespaltener, haltloser Rede die Subjektposition der Hysterie vertreten, von der Lacan erklärt, »sie will einen Herrn, über den sie herrscht: sie herrscht, und er regiert nicht« (S. 211).

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Bronfen, E. (2000). Liebeszerstückelung. In: Blamberger, G. (eds) Kleist-Jahrbuch 1999. Kleist-Jahrbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03787-9_13

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03787-9_13

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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