Zusammenfassung
„Hindemith (ist) Stürmer, von wildestem Temperament, von rücksichtsloser Härte der Harmonik, melodisch-thematisch vielleicht minder geschult, oder doch bedacht (Gegensatz: die Schule Schönbergs)“. So kommentierte Paul Stefan 1921 die Donaueschinger Uraufführung des Quartetts op. 16, das mit seinem sensationellen Erfolg dem Komponisten zum Durchbruch verhalf. Weit später jedoch resümierte Heinrich Strobel: „So ungestüm diese Musik auch hinstürzt, sie ist doch niemals willkürlich. Es wirkt, vielleicht unbewußt, ein ordnender Wille“.1 Beide Urteile meinen aus wechselnder Sicht dasselbe Werk, markieren aber auch Eckpunkte der Rezeption, bevor 1962 das definitive Verdikt Adornos wirksam wurde.2 Dem musikantischen „Stürmer“ trat der „ordnende Wille“ eines Meisters gegenüber, dessen Musik nie „willkürlich“ sein durfte. Gerade dies verklärte Bild, das vom späten Hindemith geprägt wurde, veranlaßte Adorno dazu, auch seine ursprüngliche Zustimmung zum einst als radikal neu begriffenen Frühwerk zu widerrufen, doch lastete seine Kritik auf Hindemiths Œuvre, bis eine erneute Prüfung einsetzte.
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Notizen
H. Strobel, Paul Hindemith, Mainz 31948, S. 20;
P. Stefan, Neue Kammermusik in Donaueschingen, in: Musikblätter des Anbruch 3, 1921, S. 294,
zitiert nach: M. Kube, Hindemiths frühe Streichquartette. Studien zu Form, Faktur und Harmonik, Kassel u. a. 1997 (= Kieler Schriften zur Musikwissenschaft 45), S. 134.
T. W. Adorno, Ad vocem Hindemith, in: ders., Impromptus. Zweite Folge neu gedruckter musikalischer Aufsätze, Frankfurt a. M. 31970, S. 51–87.
L. Finscher, Zur Bedeutung der Kammermusik in Hindemiths Frühwerk, in: Hindemith-Jahrbuch (fortan: HJb) 1988/XVII, S. 9–25, besonders S. 9 f.;
R. Stephan, Über Paul Hindemith, in: HJb 1974/IV, S. 45–62, speziell S. 54 f.;
programmatisch zuvor L. Finscher, Paul Hindemith — Versuch einer Neuorientierung, in: HJb I/1971, S. 16–25.
Hervorzuheben sind auch einige ältere Arbeiten, so E. Doflein, Die sechs Streichquartette von Paul Hindemith, in: Schweizerische Musikzeitung 95, 1995, S. 413–421;
C. Mason, Hindemiths Kammermusik, in: Melos 24, 1957, S. 171–177, 255–259;
H. F. Redlich, Paul Hindemith: a Reassessment, in: Musical Review 25, 1964, S. 241–253;
H. C. Wolff, Die Kammermusik Paul Hindemiths, in: HJb 1973/III, S. 80–91,
sowie die Dissertation von W. Pütz, Studien zum Streichquartettschaffen bei Hindemith, Bartok, Schönberg und Webern, Regensburg 1968 (= Kölner Beiträge zur Musikforschung 36), S. 26–75.
M. Kube, Hindemiths frühe Streichquartette..., a. a. O., S. 201–214, besonders S. 202 ff.; P. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz, I Theoretischer Teil, Mainz 21940, S. 187. Bezeichnend sind auch ab T. 7 die Kanonbildungen, deren Linearität jedoch durch die resultierenden Klänge verdeckt wird, vergleiche dazu M. Kube, Hindemiths frühe Streichquartette..., a. a. O., S. 205, sowie W. Pütz, Studien zum Streichquartettschaffen..., a. a. O., S. 40 f. Erstmals wohl begegnet eine solche Technik in Debussys g-Moll-Quartett op. 10 (1893), in dessen Kopfsatz zumal dissonante und konsonante Stimmpaare phasenweise verschränkt werden (T. 39–50).
H. Erpf, Studien zur Harmonie- und Klangtechnik der neueren Musik, Leipzig 1927, S. 120, sowie M. Kube, Hindemiths frühe Streichquartette..., a. a. O., S. 202.
P. Hindemith, Streichquartett C-Dur opus 2 (1915), hrsg. von G. Schubert, Mainz 1994 (Michael Kube bin ich für vorherige Einsicht in eine eigene Spartierung des Werks zu Dank verpflichtet).
Vergleiche die „Dokumentation eines Durchbruchs“ bei M. Kube, Hindemiths frühe Streichquartette..., a. a. O., S. 97–101; ferner D. Rexroth, Tradition und Reflexion beim frühen Hindemith. Analytische und interpretatorische Anmerkungen zu op. 16, in: HJb 1972/11, S. 91–113.
M. Kube, Am Quartettpult. Paul Hindemith im Rebner- und Amar-Quartett, 1.–3. Teil, in: HJb 1991/XX, S. 203–230, 1992/XXI, S. 153–251 und 1993/XXII, S. 45–67.
Ebenda, S. 60 und 58; zusammenfassend M. Kube, Zum Stilwandel in Paul Hindemiths frühen Streichquartetten (1915–23), in: HJb 1996/XXV, S. 56–83.
R. Stephan, Paul Hindemiths Streichquartett op. 32, in: HJb 1995/XXIV, S. 25–41, besonders S. 33;
abgedruckt auch in: C. Ottner (Hrsg.), Kammermusik zwischen den Weltkriegen. Symposion 1994, Wien 1995 (= Studien zu Franz Schmidt XI), S. 117–127.
J. Dorfman, Hindemith’s Fourth Quartett, in: HJb 1978/VII, S. 54–71.
T. W. Adorno, Ad vocem Hindemith, a. a. O., S. 60 f.; R. Stephan, Adorno und Hindemith. Zum Verhältnis einer schwierigen Beziehung, in: HJb 1978/VII, S. 24–53.
Souveräne Kenntnis beweist die Arbeit von G. Metz, Melodische Polyphonie in der Zwölftonordnung. Studien zum Kontrapunkt Paul Hindemiths, Baden-Baden 1976 (= Sammlung musikwissenschaftlicher Abhandlungen 57). Einer strikten Systematisierung fällt jedoch der Zusammenhang der Werke zum Opfer, wie sich auch die Herkunft zahlloser Beispiele nur über ein Register erschließt. Die hier erörterte Satztechnik kommt zwar als „Ostinatobildung“ zur Sprache (S. 194–222), doch wird ihre Funktion dabei nicht kenntlich.
T. W. Adomo, Ad vocem Hindemith, a. a. O., S. 83; vergleiche: G. Schubert, Paul Hindemith und der Neubarock. Historische und analytische Notizen, in: HJb 1983/XII, S. 40–60.
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Krummacher, F. (1998). Concordantia Dissonans. In: Wagner, G. (eds) Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03756-5_10
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