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Von »heidnischer Nazionalität« zu »christlicher Fraternität« und »allgemeiner Völkerliebe«

Heines Überlegungen zur polnischen Frage und zum europäischen Nationalismus

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Aufklärung und Skepsis
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Zusammenfassung

Heines frühe politische Schrift »Ueber Polen« (1822)1 stellt die Entwicklung der modernen Nationalität auf eine Weise dar, die in der Folgezeit sein Denken über Nationalismus, nationale Identität und die politische Bedeutung von Volkstum oder Ethnizität bis zu seinem Tode bestimmte. Im Rahmen einer umfassenden Ideologie des aufgeklärten Liberalismus hoffte der junge Heine auf eine Umwandlung der Nationen von völkischen oder ethnisch-kulturellen Gemeinschaften zu freiheitlich-kosmopolitischen Gesellschaften. Wie die Menschheit insgesamt, befanden sich auch die Nationen mitten in einer Entwicklung, die sie für neue und höhere Sendungen befreien sollte. Später erkannte Heine, daß der historische Prozeß ein zweites Befreiungsproblem hervorgerufen hatte, nämlich das des schnell im System des Kapitalismus entstehenden Proletariats. Bemüht um eine einheitliche Vorstellung vom Verlauf der Geschichte und um eine entsprechende politische Ideologie, versuchte Heine, die wechselseitigen Beziehungen zwischen der nationalen und proletarischen Problematik zu begreifen. Gleichzeitig setzte Heine sich mit dem unerwarteten Phänomen des anscheinend unaufhaltbaren Aufstiegs des nicht-liberalen deutschen Nationalismus auseinander, dessen Bekämpfung eine immer zentralere Rolle in Heines politischem Denken spielte.

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Anmerkungen

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Hagen, W.W. (1999). Von »heidnischer Nazionalität« zu »christlicher Fraternität« und »allgemeiner Völkerliebe«. In: Kruse, J.A., Witte, B., Füllner, K. (eds) Aufklärung und Skepsis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03751-0_14

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