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Vom Generalbass zum „Obligaten Akkompagnement“

Stilistische Entwicklung im kammermusikalischen Werk Carl Philipp Emanuel Bachs

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Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz
  • 31 Accesses

Zusammenfassung

Daß Carl Philipp Emanuel Bach mit seinem Werk eine Brücke zwischen zwei stilistischen Welten geschlagen und wie kaum ein anderer Meister seiner Zeit das musikalische Werden einer neuen Epoche herbeigeführt habe, ist eine nicht selten anzutreffende These im musikhistorischen Schrifttum1. Wird bei dieser Sicht der Dinge Bach zwar als Avantgardist, aber doch als im Einklang mit seiner Zeit stehend begriffen, als Persönlichkeit, die dem stilistischen Wandel einen Weg gebahnt hat, so stoßen wir andererseits auch auf einen sich hiervon abhebenden Topos der Geschichtsschreibung, den schon seine Zeitgenossen ausformulierten, nämlich den vom Originalgenie, den Carl Philipp Emanuel Bach mustergültig verkörpert habe; eine Vorstellung, die die Unabhängigkeit von Kompositionsregeln und Gattungsmerkmalen, von stilistischen Entwicklungen, vom Geschmacksurteil und den Konventionen der Zeitgenossen beinhaltet. Diese Sicht der Dinge läßt sich zusätzlich radikalisieren, wenn wir die Originalität des Komponisten zum Anlaß nehmen, darin die Ursache einer Entfremdung von den Zeitgenossen zu sehen und ihn als „unzeitgemäß“ kategorisieren2. Wenn wir, ausgehend von dieser gegensätzlichen Bewertung durch die Historiographie, das Gesamtwerk Carl Philipp Emanuels betrachten und die einzelnen Gattungen bewerten, so ist auffällig, daß neben der Sonate (Klaviersolosonate) und dem Konzert, eventuell auch neben dem Lied3, die musikalischen Gattungen im Schaffen Bachs entweder größere zeitliche Lükken erkennen lassen oder aber verschiedenen Gattungstraditionen verpflichtet sind, so daß unter einer Gattungsbezeichnung andersartige kompositorische Traditionen gegeben sein können, unterschiedliche kompositionstechnische Verfahren anzutreffen sind, die musikalischen Gattungsnormen mithin nicht so einheitlich und geschlossen ausgebildet erscheinen.

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Notizen

  1. E. F. Schmid, Carl Philipp Emanuel Bach und seine Kammermusi., Kassel 1931, S. 156.

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  2. S. Kunze, Die Sinfonie im 18. Jahrhunder., Laaber 1993 (= Handbuch der musikalischen Gattungen, Bd. 1). Kunze überschreibt das Kapitel der Sinfonien Bachs mit: „Carl Philipp Emanuel Bach, der Unzeitgemäße“.

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  3. Vergleiche hierzu G. Busch, Carl Philipp Emanuel Bach und seine Liede., Regensburg 1957, S. 386 ff. Busch differenziert nach: Klavierode — Singode oder auch: weltliches Lied — geistliches Lied — Kirchenlied.

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  4. C. Mennicke, Hasse und die Brüder Graun als Symphonike., Leipzig 1906, S. 86. Mennicke spricht hier vom „dünnen Klaviersatz“ bzw. von der „Dürftigkeit des Satzes“.

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  5. H. Mersmann, Beiträge zur Aufführungspraxis der vorklassischen Kammermusik in Deutschland, in: Archiv für Musikwissenschaf. 2, 1919/1920, S. 99–143. Ebenda, S. 109: „Ich fasse zusammen: die Notwendigkeit einer Ergänzung des zweistimmigen Klaviersatzes besteht bei der Sonate für Cembalo und einem Melodieinstrument durchaus.“

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  6. E. Stilz, Über harmonische Ausfüllung in der Klaviermusik des Rokoko, in: Zeitschrift für Musikwissenschaf. 13, 1930/1931, S. 11–20. Stilz lehnt eine Ausfüllung des Satzes allgemein ab, macht aber Ausnahmen, so etwa beim Konzert und bei den Ensemblesonaten.

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  7. F. Oberdörffer, Der Generalbaß in der Instrumentalmusik des ausgehenden 18. Jahrhundert., Kassel 1939, S. 94: „Der Gattung Kammermusik mit obligatem Cembalo war in den obligaten Partien ebenso wie der Klaviersolomusik der Generalbaß nicht zugehörig. Dieser beschränkte sich auf die mit der Zeit sehr schnell in den Hintergrund tretenden bezifferten Stellen (nämlich dort, wo die rechte Hand pausierte) und wurde auch hier bald, wie oben bereits angeführt, über Bord geworfen.“

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  13. A. Staier, „…einen ganz anderen Gebrauch der Harmonie, als vordem…“ Der Generalbaß bei Carl Philipp Emanuel Bach, in: Basler Jahrbuch für Historische Aufführungspraxi. 19, 1995, S. 189–219.

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  16. Heinrich Christoph Koch als zeitgenössischer Theoretiker geht anläßlich der Besprechung des „Quattuors“ auf dieses satztechnische Verfahren ein. Zunächst konstatiert er, daß es sich dabei um eine Vermischung des freien mit dem gebundenen Stil handelt. Darüber hinaus stellt er fest, daß die Stimmen „wechselweise herrschend“ sein müssen. Er fährt fort: „Während aber sich eine dieser Stimmen mit dem Vortrage der Hauptmelodie beschäftiget, müssen die beyden andern, in zusammenhängenden Melodien, welche den Ausdruck begünstigen, fortgehen, ohne die Hauptmelodie zu verdunkeln.“ (H. C. Koch, Versuch einer Anleitung zur Compositio., dritter Teil, Leipzig 1793, S. 326).

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  17. Vergleiche auch: J. G. Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künst., 3. Theil, Leipzig 1793, S. 536 (Artikel: Obligato): „Man nennt in gewissen mehrstimmigen Tonstüken die Stimmen obligat, welche mit der Hauptstimme so verbunden sind, daß sie einen Theil des Gesanges, oder der Melodie führen, und nicht blos, wie die zur Ausfüllung dienenden Mittelstimmen, die nothwendigen zur vollen Harmonie gehörigen Töne spielen.“

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  18. Daß diese satztechnischen Voraussetzungen dem Originalitätsstreben Bachs entgegen kamen, seiner Vorliebe für Überraschungen, für das Unvorhergesehene, ist leicht nachvollziehbar. Vergleiche hierzu H. Danuser, Das imprévu in der Symphonik. Aspekte einer musikalischen Formkategorie in der Zeit von Carl Philipp Emanuel Bach bis Hector Berlioz, in: Musiktheori. 1, 1986, S. 61–81.

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  19. Vergleiche hierzu H. Mersmann, Ein Programmtrio Karl Philipp Emanuel Bachs, in: Bach-Jahrbuc. 1917, S. 137–170.

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  20. Peter Benary spricht in diesem Zusammenhang von einer „Entmündigung“ des Basses (P. Benary, Die deutsche Kompositionslehre des 18. Jahrhundert., Leipzig 1961, S. 74).

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  21. Es ist davon auszugehen, daß mit diesem Gattungstyp die Vorform für das Klaviertrio gegeben ist. Vergleiche hierzu W. Fischer, Mozarts Weg von der begleiteten Klaviersonate zur Kammermusik mit Klavier, in: Mozart-Jahrbuc. 1956, S. 16–34, hier insbesondere S. 18 f.

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  22. Ludwig Finscher erklärt diesen Trend zur Homogenität und Ausgeglichenheit beim Streichquartett unter anderem instrumentenbedingt. Die deutliche, aber gleichmäßige Abstufung hinsichtlich Tonhöhe und Ambitus der vier Streichinstrumente, vergleichbar dem vierstimmigen Vokalsatz (Baß, Tenor, Alt und Sopran), ermöglicht oder erleichtert die gleichwertige Beteiligung. Vergleiche L. Finscher, Studien zur Geschichte des Streichquartett., Kassel 1974 (= Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft.3), S. 120 ff.

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  23. Vergleiche hierzu F. Krummacher, Kontinuität im Experiment: Die späten Quartette von Carl Philipp Emanuel Bach, in: Carl Philipp Emanuel Bach und die europäische Musikkultur des mittleren 18. Jahrhundert., Göttingen 1990, S. 245–267; hier insbesondere S. 266.

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  24. Joseph Saam spricht in seiner Dissertation hinsichtlich der Quartette von „Klavierkonzerten mit 3 begleitenden Instrumenten“. J. Saam, Zur Geschichte des Klavierquartetts bis in die Romanti., Diss. München 1932, S. 12.

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Wagner, G. (1997). Vom Generalbass zum „Obligaten Akkompagnement“. In: Wagner, G. (eds) Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03722-0_4

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