Zusammenfassung
Walter Benjamin hat in seiner Schrift Ursprung des deutschen Trauerspiels, mit der er sich 1925 an der Frankfurter Universität habilitieren wollte1, einen funktionalen Melancholiebegriff entworfen, der die diskursive, eine lange Traditionsgeschichte in ihren Dienst nehmende Konstitution der Melancholie in paradigmatischer Weise konfigurativ umbesetzt. Die enge Korrelierung von Allegorie und Melancholie, die Benjamin dabei vornimmt, greift einen für die Melancholiegeschichte fundamentalen, aber zuvor nicht explizierten Repräsentationszusammenhang auf. Indem Benjamins Rekonstruktion den Spuren der auch in der vorliegenden Untersuchung nachgezeichneten melancholiegeschichtlichen Traditionslinie folgt, trägt sie zu deren Kohärenzbildung bei und reiht sich ihr selbst als abschließende Position ein. Nicht zufällig wurde Benjamin daher zum Kronzeugen der postmodernen Faszination durch das Thema ›Melancholie‹.2
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Notizen
vgl. Peter Gay, Freud. Eine Biographie für unsere Zeit, Frankfurt a. M. 1989, 501 ff.
Rainer Nägele, »Das Beben des Barock in der Moderne. Walter Benjamins Monadologie«, MLN, 106/3 (1991), 501–527, spricht von einer »eigentümliche[n] Konjunktion« (503) zwischen Barock und Moderne.
Vgl. auch Ferruccio Masini, »Allegorie, Melancholie, Avantgarde«, Text + Kritik, 31/32 (1979), 94–102.
Vgl. Gerhard Kurz, »Benjamin. Kritischer gelesen«, Philosophische Rundschau, 23 (1976), 161–190, 183.
Heinz Schlaffer, Faust Zweiter Teil Die Allegorie des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1981, 186 ff., kritisiert Benjamins Rekonstruktion der barocken Melancholie als von der spezifisch modernen Perspektive des 19. Jahrhunderts geprägt.
Das Verhältnis der germanistischen Barockforschung zu Benjamins Rekonstruktion des barocken Trauerspiels beschreibt kritisch Klaus Garber, »Benjamin und das Barock. Ein Trauerspiel ohne Ende«, Euphorion, 84 (1990), 207–212.
Vgl. auch Karlheinz Stierle, »Walter Benjamin und die Erfahrung des Lesens«, Poetica, 12 (1980), 227–248.
Vgl. Walter Benjamin, Briefe, hrsg. und mit Anm. vers, von Gershom Scholem und Theodor W. Adorno, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1966, I, 346, 372.
Marianne Schuller, »Freud, Warburg, Benjamin. Eine Konstellation«, Internationale Zeitschrift für Philosophie, 1 (1993), 73–95, 88.
Vgl. auch Gunter Gebauer und Christoph Wulf, »Unsinnliche Ähnlichkeit: zur Sprachanthropologie W. Benjamins«, in: dies., Mimesis. Kultur — Kunst — Gesellschaft, Reinbek 1992, 374–388, 375
Vgl. Winfried Menninghaus, Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, Frankfurt a. M. 1980, 85 f.
Es gibt, so Bettine Menke, Sprachfiguren. Name — Allegorie — Bild nach Walter Benjamin, München 1991, 18, »kein Mittleres […] zwischen der Aussprechlichkeit des ›Geistigen‹ und der Ausdruckslosigkeit dieses Aussprechens«.
Vgl. Jochen Hörisch, »Objektive Interpretation des schönen Scheins«, in: Walter Benjamin. Profane Erleuchtung und rettende Kritik, hrsg. von Norbert W. Bolz und Richard Faber, Würzburg 1982, 37–55, 55, Anm. 46, 49f.
vgl. Bernd Witte, »Allegorien des Schreibens. Eine Lektüre von Walter Benjamins Trauerspielbuch«, Merkur, 46/2 (1992), 125–136, 131.
Vgl. Harald Steinhagen, »Zu Walter Benjamins Begriff der Allegorie«, in: Formen und Funktionen der Allegorie, hrsg. von Walter Haug, Stuttgart 1979, 666–685, 670 f.
Kritisch hierzu Hans-Jürgen Schings, »Consolatio Tragoediae. Zur Theorie des barocken Trauerspiels«, in: Reinhold Grimm (Hrsg.), Deutsche Dramentheorien I. Beiträge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland, Wiesbaden 31980, 19–55, der in der Tragödie des Barock eine consolatio gegen die Melancholie erkennt.
Vgl. auch Heiner Weidmann, Flanerie, Sammlung, Spiel. Die Erinnerung des 19. Jahrhunderts hei Walter Benjamin, München 1992, 27.
Vgl. Samuel Weber, »Genealogy of Modernity. History, Myth and Allegory in Benjamin’s Origin of the German Mourning Play«, MLN, 106/3 (1991), 465–500, 478, Anm. 17: »The Baroque is theatrical to the very extent that it does not and cannot be self-reflective.«
(Jakob) Ayrer, Dramen, hrsg. von Adelbert von Keller, Stuttgart 1865, I, 4 (zit. n. Benjamin).
Vgl. Giehlow, »›Melencolia I‹ und der maximilianische Humanistenkreis«, Nr. 2 (1903), 34 ff.
Vgl. Giehlow, »›Melencolia I‹ und der maximilianische Humanistenkreis«, Nr. 2 (1903), 37. Vgl. S. 64 f.
Giehlow, »›Melencolia I‹ und der maximilianische Humanistenkreis«, Nr. 1/2 (1904), 16.
Gieholw, »›Melencolia I‹ und der maximilianische Humanistenkreis«, Nr. 4 (1904), 71 ff.
Giehlow, »›Melencolia I‹ und der maximilianische Humanistenkreis«, Nr. 4 (1904), 77.
Giehlow, »›Melencolia I‹ und der maximilianiasche Humanistenkreis«, Nr. 4 (1904), 76 f.
vgl. auch Georg Braungart, »Mythos und Herrschaft. Maximilian I. als Hercules Germanicus«, in: Traditionswandel und Traditionsverhalten, hrsg. von Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübingen 1991, 77–95.
Vgl. Giehlow, »›Melencolia I‹ und der maximilianische Humanistenkreis«, Nr. 2 (1903), 34.
Vgl. Giehlow, »›Melencolia I‹ und der maximilianische Humanistenkreis«, Nr. 1/2 (1904), 8.
Giehlow, »›Melencolia I‹ und der maximilianische Humanistenkreis«, Nr. 4 (1904), 57.
Vgl. Giehlow, »›Melencolia I‹ und der maximilianische Humanistenkreis«, Nr. 4 (1904), 71, 74.
Giehlow, »›Melencolia I‹ und der maximilianische Humanistenkreis«, Nr. 4 (1904), 68.
Daher sieht Jürgen Naeher, Walter Benjamins Allegorie-Begriff als Modell. Zur Konstitution philosophischer Literaturwissenschaft, Stuttgart 1977, 200, Benjamins Allegoriker als ›gesteigerten Melancholiker‹.
Helen Watanabe-O’Kelly, Melancholie und die melancholische Landschaft, Bern 1978, 40, sieht in Tschernings Gedicht »ein Kompendium zeitgenössischen Wissens über die Melancholie«.
Winfried Schleiner, Melancholy, Genius and Utopia in the Renaissance, Wiesbaden 1991, 214;
Klara Obermüller, Melancholie in der deutschen Barocklyrik, Bonn 1974, 59, interpretiert den Wechsel der Perspektive von der Melancholiepersonifikation zur Betroffenheit von Melancholie als »ein erstes, noch ungewolltes Zeichen der Einfühlung«.
(Ludwig Völker, »›Melancholey redet selber‹. Überlegungen zum melancholischen Rollenspiel in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit«, in: Die Affekte und ihre Repräsentation in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit, Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, Bd. 42, Bern u.a. 1996, 29–47, 34).
Vgl. Werner Kohlschmidt, Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. II: Vom Barock bis zur Klassik, Stuttgart 21981, 47;
Volker Meid, Barocklyrik, Stuttgart 1986, 79.
Vgl. hierzu Ralf Zschachlitz, »Waren, Zeichen, Warenzeichen, Allegorien, Huren. In den Pariser Passagen Walter Benjamins«, Études Germaniques, 46/2 (1991), 179–201, 183, 187f.
Martin Opitz, Buch von der deutschen Poeterey (1624), nach der Edition von Wilhelm Braune neu hrsg. von Richard Alewyn, Tübingen 1963, 20.
Vgl. Fred Lönker, »Benjamins Darstellungstheorie. Zur ›Erkenntniskritischen Vorrede‹ zum ›Ursprung des deutschen Trauerspiels ‹«, in: Urszenen. Literaturwissenschaft als Diskursanalyse und Diskurskritik, hrsg. von Friedrich A. Kittler und Horst Turk, Frankfurt a. M. 1977, 293–322, 318.
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Wagner-Egelhaaf, M. (1997). Der melancholische Blick. Zu Walter Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928). In: Die Melancholie der Literatur. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03696-4_9
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