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Sprachlose Invaliden — Männlichkeit, Schreiben und Macht in Knut Faldbakkens Der Schneeprinz

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Wann ist der Mann ein Mann?
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Zusammenfassung

»Es geht darum, daß der Mann überhaupt zu Wort kommt«1 — so kommentierte der norwegische Autor Knut Faldbakken in einem Interview seinen Roman Der Schneeprinz (1982, dt. 1986). In diesem Werk und in anderen Romanen (Adams Tagebuch, 1978, dt. 1988, Pan in Oslo, 1986, dt. 1987 und Bad Boy, 1988, dt. 1989) griff er Themen auf, die zuvor durch eine im Zusammenhang mit der neuen Frauenbewegung entstandene Frauenliteratur zu ernstzunehmenden literarischen Sujets avanciert waren. Neu an dieser in Skandinavien sogenannten ›neuen Männerliteratur‹ waren weniger die Sujets — Scheidung, Beziehungs- ¬und Eheprobleme, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern —, sondern der Umstand, daß hier Männer geschildert wurden, die sich selbst als durch ihr Geschlecht geprägte Menschen wahrnahmen und über ihre Geschlechtsidentität reflektierten. Und ebenso wie die skandinavische Frauenliteratur erreichten Faldbakken und andere Vertreter der skandinavischen ›neuen Männerliteratur‹ internationale Geltung. Faldbakkens Romane sind mittlerweile in zahlreichen europäischen Ländern und in den USA erschienen, der deutschen Literaturkritik galt er in den 80er Jahren als der norwegische Autor der Gegenwart.2 Die französische Soziologin Elisabeth Badinter wertet Bad Boy in einem populärwissenschaftlichen Standardwerk zur Männerfrage gar als den eindrucksvollen Prototyp eines Romans über einen von einer übermächtigen Mutterfigur »kastrierten«, nicht erwachsen gewordenen Mann.3

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Anmerkungen

  1. Knut Faldbakken, »Menn er âlreite!«, in: Arve Stensrud (Hrsg.), Myke mann, hva na?, Oslo 1983, S. 58–63, hier: S. 60.

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  2. Elisabeth Badinter, XY. Die Identität des Mannes, München/Zürich 1993, S. 78f.

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  3. Alexander von Bormann, »Abschied von der Männlichkeit? Wandlungen des Konzepts MANN seit den siebziger Jahren«, in: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.), Text und Kritik. Sonderband Bestandsaufnahme Gegenwartsliteratur, München 1988, S. 151–163, hier: S. 153.

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  4. Knut Faldbakken, Bad Boy, München 1989, Klappentext der deutschen Taschenbuchausgabe.

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  5. Darauf hat bereits Otto Hageberg, »Pegasus. Narsissus. Odipus. Retoriske og psykologiske monster i Knut Faldbakkens ›Bryllupsreisen‹«, in: Irene Engelstad (Hrsg.), Skriften mellom linjene. 7 bidrag om psykoanalyse og litteratur, Oslo 1985, S. 150–172, hingewiesen.

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  6. Theorien über narzißtische Störungen, wie sie von Heinz Kohut, Narzißmus. EineTheorie der psychoanalytischen Behandlung narzißtischer Persönlichkeitsstörungen, Frankfurt a. M. 1973,

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  7. und Otto F. Kernberg, Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus, Frankfurt a. M. 1975,

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  8. entwickelt und vor allem von Alice Miller, Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst, Frankfurt a. M. 1979, popularisiert worden sind, legen das Gewicht auf die vorödipalen Entwicklungsstufen und damit auf eine ursprüngliche, symbiotische Beziehung zwischen Mutter und Kind. Ist eine Mutter demnach aufgrund eigener psychischer Defizite nicht in der Lage, dem Kind die Anerkennung und Spiegelung zu geben, die es vor allem in dieser Phase braucht, so kann es kein kohärentes Selbstgefühl entwickeln — man spricht in diesem Zusammenhang auch davon, daß sie das Kind »narzißtisch besetzt«. Es wird, um die lebensnotwendige Zuwendung zu bekommen, danach streben, die projektiven Wünsche der Eltern zu erfüllen, und als Erwachsener von der Anerkennung und ständigen Bestätigung durch andere Menschen abhängig bleiben. Bekommt der narzißtisch gestörte Mensch diese Anerkennung nicht, versinkt er in tiefe Depressionen, die, wenn er die Bestätigung schließlich durch seine Leistungen und sein Wohlverhalten erreicht, plötzlich in euphorische Größenphantasien umschlagen können.

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  9. Mit der Klage über den Autoritätsverlust des Vaters schließt der Erzähler an kulturkritische Theorien der 70er Jahre an, welche den modernen westlichen Industrienationen insgesamt einen »zügellosen Narzißmus« zuschreiben. Das »Fehlen oder der Autoritätsverlust des Vaters« (Jessica Benjamin, Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht, Frankfurt a. M. 1993, S. 132)

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  10. gilt Autoren wie Christopher Lasch, Das Zeitalter des Narzißmus, München 1980, als Ursache fur die Übel der modernen Kultur.

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  11. Ähnlich wie die Narzißmustheorie betont auch die Theorie der Objektbeziehungen die Bedeutung der vorödipalen Mutter-Kind-Beziehung für die Entwicklung. Ihre Ansichten sind von feministischer Seite aufgegriffen worden, um Erklärungsmodelle für die unterschiedliche Entwicklung von männlicher und weiblicher Identität zu entwickeln.Vgl. dazu Benjamin (Anm. 10); Nancy Chodorow, »Family Structure and Feminine Personality«, in: Michelle Z. Rosaldo, Louise Lamphere (Hrsg.), Woman, Culture & Society, Stanford 1974, S. 43–66,

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  12. sowie Nancy Chodorow, Das Erbe der Mütter. Psychoanalyse und Soziologie der Mütterlichkeit, München 1985. Vertreterinnen der Objektbeziehungstheorie halten das Aufgeben der Identifizierung mit der ersten Bezugsperson, in der Regel der Mutter, für grundlegend bei der Entstehung der männlichen Identität. In Gesellschaften, in denen die Kindererziehung fast ausschließlich in den Händen von Frauen liege, führe die notwendige Identifikation des Kindes mit der Mutter in den ersten Lebensmonaten zu unterschiedlichen Ausprägungen von (Geschlechts-)Identität bei Jungen und Mädchen. Während Mädchen die primäre vorsprachliche Identifikation aufrechterhalten könnten und dazu durch die von der Mutter ausgehende Identifikation ermutigt würden, sähen Mütter in ihren männlichen Kindern von Anfang an einen »Anderen«, »an unfamiliar object« —

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  13. vgl. Jonathan Rutherford, Men’s Silences. Predicaments in Mas¬culinity, London 1992, S. 36. So provozierten sie eine vorzeitige Trennung des Sohnes von der Mutter; der Prozeß der Individuation bleibe unvollständig. Männlichkeit wird hier durch das Anderssein vom mütterlichen Körper definiert. Daraus und aus der unvollständigen Individuation resultiere das zentrale Dilemma der heterosexuellen Männlichkeit: »the paradoxical desire for women and the need to be separate from them« (Men’s Silences, S. 41), das sich im Erwachsenenalter in einer gleichzeitigen Idealisierung und Ablehnung des Frauenkörpers fortsetzt: »It represents the good maternal object men have lost and still long for, but it also mirrors and represents the bad, persecutory elements of the mother, which threaten to overwhelm men’s boundaries of self.« (Men’s Silences, S. 78)

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  14. Peter Middleton, The Inward Gaze. Masculinity and Subjectivity in Modern Culture, London 1992, S. 71.

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  15. Jonathan Rutherford, »Who’s That Man?«, in: Rowena Chapman, Jonathan Rutherford (Hrsg.), Male Order. Unwrapping Masculinity, London 1988, S. 21–67, hier: S. 127.

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Walter Erhart Britta Herrmann

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von Schnurbein, S. (1997). Sprachlose Invaliden — Männlichkeit, Schreiben und Macht in Knut Faldbakkens Der Schneeprinz. In: Erhart, W., Herrmann, B. (eds) Wann ist der Mann ein Mann?. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03664-3_14

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03664-3_14

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-01456-6

  • Online ISBN: 978-3-476-03664-3

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

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