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Auf der Suche nach dem sicheren Geschlecht: die Briefe Heinrich von Kleists und Männlichkeit um 1800

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Wann ist der Mann ein Mann?

Zusammenfassung

Heinrich von Kleist war ›chauvinistisch‹ und frauenfeindlich, sein Geschlechterbild schematisch-starr, sein Liebesbegriff vollkommen rationalistisch fundiert — zugegeben, zu einem solchen Urteil könnte man sich wohl durch den Briefwechsel mit Kleists Verlobter Wilhelmine von Zenge und durch einige wenige der frühen Schreiben an die Halbschwester Ulrike leicht verfuhren lassen. Und tatsächlich hat die Kleist-Forschung anhand dieser auch zeitlich begrenzten Brief-Auswahl (1799 bis 1802) bereits seit langem und einigermaßen kontinuierlich immer wieder die männliche Selbstüberhebung kritisiert, eine Entindividualisierung der Frau sowie ihre Degradierung zur bloßen Funktionsträgerin registriert und gerade im Vergleich zur übrigen Korrespondenz einen besonders emotionslosen Ton festgestellt.1

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Anmerkungen

  1. Zur Öffentlichkeit des Privatbriefes im 18 Jahrhundert und zur Konstitution von Briefrollen vgl. etwa Peter Bürgel, »Der Privatbrief. Entwurf eines heuristischen Modells«, Deutsche Viertel)ahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 50 (1976), S. 283,

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Herrmann, B. (1997). Auf der Suche nach dem sicheren Geschlecht: die Briefe Heinrich von Kleists und Männlichkeit um 1800. In: Erhart, W., Herrmann, B. (eds) Wann ist der Mann ein Mann?. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03664-3_10

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03664-3_10

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