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Die Gelehrte als Zwitterwesen in Schriften von Autorinnen des 18. und 19. Jahrhunderts

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Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung 1996
  • 96 Accesses

Zusammenfassung

In Anlehnung an Silvia Bovenschens bahnbrechendes Werk1 geht die Forschung zum Thema Frau und Gelehrsamkeit im 18. Jahrhundert generell davon aus, daß das „gelehrte Frauenzimmer” in der Frühaufklärung noch eine anerkannte oder zumindest geduldete Erscheinung gewesen sei. Erst mit dem Erfolg des empfindsamen Frauenbildes Rousseauscher Prägung, einer Begleiterscheinung ökonomischer und juristischer Entwicklungen, die die Frau zunehmend ins Haus verwiesen, habe die gelehrte Frau an Status verloren: Spätestens seit 1790 wird die „Gelehrte” zum Schlag- und Schreckenswort, vor dem sich jede Frau, die auf ihren Ruf hielt, hüten mußte.2 Nun gibt es aber in Quellen der Frühaufklärung — z. B. in den Moralischen Wochenschriften — nur wenige Hinweise auf eine wie immer geartete Vorbildfunktion der „Gelehrten” für zeitgenössische Leserinnen; ebenso vergeblich sucht man nach Anzeichen für eine ausgeprägte Toleranz gegenüber diesem Frauentypus. Im Gegenteil entsteht hier, trotz anhaltender Forderungen nach einer besseren Bildung der Frau, der Eindruck, daß die „züchtige Hausfrau”, die ca. 70 Jahre später in Schillers berühmtem Gedicht „waltet”,3 das Ideal auch der Frühaufklärung darstellte und daß von einer wahrhaft „gelehrten” Frau nie die Rede war. Die Diskrepanz zwischen den Aussagen des Quellenmaterials und den inzwischen etablierten Trends der Forschung basiert m. E. auf einem semantischen Mißverständnis: Der Terminus „Gelehrsamkeit” bedeutet im Diskurs der Frühaufklärung etwas anderes als in dem des späten 18. und des 19. Jahrhunderts, und er bedeutet für Frauen — gemeint sind hier ausschließlich bürgerliche Frauen, mit denen sich dieser Diskurs auch nur befaßt — prinzipiell etwas anderes als für Männer.

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Anmerkungen

  1. Bovenschen, Silvia : Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt/M. 1979.

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  13. Ich beziehe mich auf die folgenden Texte: Butler, Judith: Contingent Foundations. Feminism and the Question of »Postmodernism’. In: Judith Butler, Jean W. Scott (Hg.): Feminists Theorize the Political. New York 1992, S. 3 – 21; dies.: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. New York 1990 (zit. als 1990a); dies.: Gender Trouble, Feminist Theory, and Psychoanalytic Discourse. In: Linda J. Nicholson (Hg.): Feminism/Postmodernism. New York, London 1990, S. 324 – 340 (zit. als 1990b); dies.: Imitation and Gender Insubordination. In: Diana Fuss (Hg.): Inside/ out. Lesbian Theories, Gay Theories. New York 1991, S. 13 – 31; dies.: Performative Acts and Gender Constitution. An Essay in Phenomenology and Feminist Theory. In: Sue-Ellen Case (Hg.): Performing Feminisms. Feminist Critical Theory and Theatre. Baltimore, London 1990, S. 270 – 282 (zit. als 1990c). In diesem Band vgl. auch den Aufsatz von Teresa de Lauretis: Sexual Indifference and Lesbian Representation, S. 17–39. Das Deutsche bietet leider keine Möglichkeit zur Differenzierung zwischen gender und sex, so daß in der folgenden Diskussion, wo nötig, die englischen Termini beibehalten werden. Sex wird dabei als anatomisches Geschlecht verstanden, gender als die kulturelle und soziale Interpretation der Tatsache sex. Dazu gehören u. a. Begriffe wie „Weiblichkeit“ bzw. „Männlichkeit“ in allen ihren schillernden Bedeutungen, soziale Erwartungshaltungen („gute Mutter“) und Klischees („das schwache Geschlecht“).

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  14. Vgl. dazu besonders Miller, Nancy K.: Getting Personal. Feminist Occasions and Other Autobiographical Acts. New York 1991, hier S. 63 f. Vgl. auch ihre Einleitung zu: Nancy K. Miller (Hg.): The Poetics of Gender. New York 1986, S. XI – XV; außerdem Joan DeJeans und Nancy K. Millers Einleitung zu: Joan DeJean, Nancy K. Miller (Hg.): Displacements. Women, Tradition, Literatures in French. Baltimore 1991, S. X f.

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Kord, S. (1996). Die Gelehrte als Zwitterwesen in Schriften von Autorinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. In: Ebrecht, A., von der Lühe, I., Pott, U., Rapisarda, C., Runge, A. (eds) Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung 1996. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03647-6_8

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03647-6_8

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