Zusammenfassung
In der geschichtsphilosophischen Architektur stellt der Grieche die heikelste Gestalt dar. Innerhalb der konstituierenden Differenz »[e]inig mit sich selbst« / »uneinig mit uns selbst« (NA 20, 431) ist er es, der gegenüber einer problematisch gewordenen Moderne die Einheit in die Konstruktion einbringt. Das nötigt dazu, ihn vor dem ›Sündenfall‹ der Selbstreflexion zu situieren. [1] Aufgrund seines aufklärerisch geformten und durch Fichte geleiteten Bildungsbegriffs liegt jedoch für Schiller das Telos in der Kultur und nicht in den Wäldern. Der Grieche muß daher zugleich in der Geschichte verortet, d.h. im Unterschied zur rückwärtsgewandten Utopie des guten Wilden vergesellschaftet sein. Als Grundpfeiler der Geschichtsphilosophie ist dieses Konstruktionsteil daher stets umstritten und gefährdet gewesen, sei es durch die Ekstasen des destruktiven griechischen Charakters bei Kleist, die archäologischen Befunde von Hittorff und Semper, daß der lichte Marmor griechischer Tempel und Plastiken bunt bemahlt war, oder die nachhaltige Schattierung und Schwärzung des Griechenbildes durch Burckhardt und Nietzsche. So verkörpert der Grieche der Klassik den zweideutigen Versuch, menschliche Kontinuität ohne ihre dionysischen Kosten denken zu wollen. Spätestens mit der Hervorkehrung weniger idealer und sympathischer Züge im Bild der Griechen — mit dem Eingedenken ihres Pessimismus und ihrer ›tigerartigen Vernichtungslust‹ in der Kulturtheorie Nietzsches (und fast gleichzeitig in der anthropologisch orientierten Altertumswissenschaft der ›Cambridge- schooh‹) — mußte die geschichtsphilosophische Normkonstruktion zerbrechen.
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Notizen
Vgl. Peter L. Oesterreich: Ironie. In: Romantik-Handbuch. Hg. Helmut Schanze. Stuttgart 1994, 351–365, bes. 362ff.
Roland Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe [frz. 1977]. Frankfurt/M. 1984, 21.
Vgl. Helmut Schanze: Friedrich Schlegels Kölner Enzyklopädie. Zur enzyklopädischen Begründung der historischen Methode in Philosophie und Literaturtheorie. In: Athenäum. Jb. f. Romantik 3 [1993], 259–271.
Vgl. Hilde Marianne Paulini: August Wilhelm Schlegel und die Vergleichende Literaturwissenschaft [Diss. 1978]. Frankfurt/M., Bern, New York 1985.
Oskar Walzel: Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe. Berlin 1917, 28 und 32ff.
Das folgende nach Annelen Grosse-Brockhoff: Das Konzept des Klassischen bei Friedrich und August Wilhelm Schlegel. Köln, Wien 1981, 132ff.
Hilmar Frank: Nachwort. In: Wilhelm Worringen: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie [Diss. Bern 1907]. Leipzig, Weimar 1981, 118–134, hier: 119.
Wilhelm Worringen: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie [Diss. Bern 1907]. Neuausgabe. München 21981, 150.
Die Ambivalenz von Heines Romantikrezeption erarbeitet Karl Heinz Bohrer: Die Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne. Frankfurt/M. 1989, 97–137, hier: 122.
Karl Eibl: Die Entstehung der Poesie. Frankfurt/M., Leipzig 1995, 194.
Fritz Strich: Deutsche Klassik und Romantik oder Vollendung und Unendlichkeit. Ein Vergleich [1922]. 3., veränderte Aufl. München 1928.
Wilhelm Worringen: Formprobleme der Gotik [1911]. 13.–17. Tsd. München 1922, Kap. »Psychologie der Scholastik«, 114.
W. Wolfgang Holdheim: Die doppelte Ästhetik Victor Hugos. In: Teilnahme und Spiegelung. Festschrift für Horst Rüdiger. Hg. Beda Alleman, Erwin Koppen. Berlin, New York 1975, 360–380, bes. 380.
Franz Norbert Mennemeier: Les premiers romantiques allemands et la Préface de Cromwell de Victor Hugo: Un exemple de rapport littéraire franco-allemand. In: Francofonia 8 (Firenze 1988), 75–86, hier: 86.
vgl. Heinz-Peter Endress: La théorie dramatique Hugolienne et le théâtre romantique espagnol. In: La rayonnement international de Victor Hugo. Ed. François Claudon. New York, Bern, Frankfurt/M., Paris 1989, 37–50, bes. 39f.
Vgl. Rolf Grimminger: Aufstand der Dinge und der Schreibweisen. Über Literatur und Kultur der Moderne. In: Funkkolleg Literarische Moderne. Europäische Literatur im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. Rolf Grimminger, Jörn Stückrath, Jurij Murasov. Studienbrief 1. Tübingen 1993, 1–53, der jedoch an der konventionellen Datierung der literarischen Moderne festhält (s.o.). Hugo wird freilich nicht thematisiert.
Wolfgang Kayser: Das Groteske in Malerei und Dichtung [1957].
Vgl. Suzanne Guerlac: The Impersonal Sublime. Hugo, Baudelaire, Lautréamont. Stanford CA 1990, bes. 15–20.
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Zelle, C. (1995). Der Antagonismus zwischen Klassischem und Romantischem. In: Die doppelte Ästhetik der Moderne. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03632-2_11
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