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Einleitung: Plädoyer für eine Schule des Sehens

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Zusammenfassung

In Ägypten existierte einst der Gott Theut, ein großer Gott, ein Gott der großen Erfindungen. Zahl und Rechnen hatte er erfunden, dann die Meßkunst und die Sternkunde, ferner das Brett- und Würfelspiel, nicht zuletzt auch die Buchstaben. Dieser Gott Theut nun ging eines Tages zum König Thamus von Ägypten, um ihn über seine Erfindungen zu unterrichten und um sodann alle Ägypter in diesen Künsten unterweisen zu lassen. Der König hörte sich alle Erläuterungen aufmerksam und geduldig an, stellte Fragen, erhob Einwände, lobte und tadelte, was der Gott ihm an Wissenswertem zur Nachahmung und zum Lernen anbot. Als er nun zu den Buchstaben kam, sagte der Gott Theut: »Diese Kunst, o König, wird die Ägypter weiser machen und gedächtnisreicher, denn als ein Mittel für Erinnerung und Weisheit ist sie erfunden.« Worauf der König Thamus erwiderte: »O kunstreichster Theut, einer weiß, was zu den Künsten gehört, ans Licht zu bringen; ein anderer zu beurteilen, wieviel Schaden und Vorteil sie denen bringen, die sie gebrauchen werden. So hast auch du jetzt, als Vater der Buchstaben, aus Liebe das Gegenteil dessen gesagt, was sie bewirken. Denn diese Erfindung wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessen einflößen aus Vernachlässigung der Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden. Nicht also für die Erinnerung, sondern für das Erinnern hast du ein Mittel erfunden, und von der Weisheit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst. Denn indem sie nun vieles gehört haben ohne Unterricht, werden sie sich auch allwissend zu sein dünken, obwohl sie größtenteils unwissend sind, und schwer zu behandeln, nachdem sie dünkelweise geworden statt weise.« (Platon: Fhaidros, S. 55).

»Man müßte die Geschichte des Sehens zeigen, das sich mit dem Kino, das die Dinge zeigt, entwickelt hat, und die Geschichte der Blindheit, die daraus entstanden ist.«

Jean-Luc Godard, Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos

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Schnell, R. (2000). Einleitung: Plädoyer für eine Schule des Sehens. In: Medienästhetik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03617-9_1

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03617-9_1

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-01331-6

  • Online ISBN: 978-3-476-03617-9

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