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Vom »treulos treuesten Freund«

Eine Einführung in das produktive Dilemma des Regietheaters

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Oper und Werktreue

Zusammenfassung

Das Reizwort ›Werktreue‹, das auf diesem Symposium zur Debatte steht, verknüpft einen Terminus der Poetik mit einem Tugendbegriff. Wortbildungen dieser Art verleiten zur Unduldsamkeit, weil sie Begründungen ästhetischer Urteile mit moralischen Vorhaltungen nahelegen und daher so recht geeignet sind, die Gemüter zu erhitzen. Das Reizwort, das ›Werktreue‹ entgegengesetzt ist, — ›Bearbeitung‹ — scheint nur weniger verfänglich; denn auf dem Theater ist nicht nur jeder Eingriff in einen Text, sondern auch jede Aufführung letzten Endes eine Bearbeitung, und die Frage, ob der Unterschied nur gradueller Art sei oder prinzipieller Natur, weil ein Eingriff in den Text das Werk verfälsche, führt mit Notwendigkeit zur Argumentationsstruktur des Gegenbegriffs zurück. Die Probleme, die das Publikum heute mit dem Musiktheater hat, resultieren zu einem guten Teil aus einem Verstehen, das von diesen Schlüsselwörtern gelenkt, aber auch fehlgeleitet wird. In diesen Wörtern ist ein Denken über das Verhältnis von Text und Aufführung aufbewahrt, das in zweifachem Sinne historisch ist: Seine Wurzeln reichen ins 19. Jahrhundert zurück und es reflektiert eine historische Distanz zwischen Werk und Interpret.

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Notizen

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Horst Weber

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© 1994 Springer-Verlag GmbH Deutschland

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Weber, H. (1994). Vom »treulos treuesten Freund«. In: Weber, H. (eds) Oper und Werktreue. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03569-1_1

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03569-1_1

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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