Zusammenfassung
Die Frage nach der rechten Ordnung des Zusammenlebens — nach seiner »natürlichen« Ordnung, nach dem Naturrecht — drängt sich angesichts der herrschenden Anarchie jedem Unbefangenen auf. Der Mut zu ihrer Beantwortung ist freilich nach den entmutigenden Erfahrungen, die man mit den naturrechtlichen Bestrebungen gemacht hat, gering. Diese Erfahrungen haben schon seit geraumer Zeit Viele zu gänzlicher Verwerfung der Idee des Naturrechts geführt. Scheint doch die Erfahrung gelehrt zu haben, dass in der Wissenschaft vom Naturrecht keine geringere Anarchie besteht als im Zusammenleben selbst. Seitdem das traditionelle Naturrecht vor allem durch den Angriff des Hobbes erschüttert worden ist, sind sich die gegensätzlichsten naturrechtlichen Doktrinen in schnellem Wechsel gefolgt; das Naturrecht erschien als so willkürlich wie jede individuelle Überzeugung, die, wenn mit der erforderlichen Kraft vertreten und auf schon vorhandene »reale« Tendenzen gestützt, wohl zur Bildung einer Partei, aber niemals zur Gründung und Festigung des Staats führen kann. Dies ist in der Tat das Ergebnis, zu dem eine neuere Kritik am Naturrecht kommt. »Wenn schon der einzelne Mensch seine jeweiligen Interessen naiv als ›Recht‹ erlebt, um wieviel mehr will jede Interessengruppe zur Durchsetzung ihrer Forderungen sich auf die Gerechtigkeit (sc. auf das Naturrecht) berufen können« (Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, 77).
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Notizen
Wer soll der Hüter der Verfassung sein? Berlin 1931, S. 30.
Der Marxismus Kelsen[s] wird offenbar in seiner Polemik gegen Carl Schmitts Idee des »totalen Staats«; er erklärt: »In diesem Sinne: einer die Gesellschaft völlig absorbierenden Zwangsordnung kann nur der sozialistische Staat ein totaler Staat sein … Mit der Wendung zum totalen Staat soll der Gegensatz von Staat und Gesellschaft seinen Sinn verloren haben. Aber vom Standpunkt des Proletariats und einer proletarischen Sozialtheorie hat dieser Gegensatz heute durchaus die gleiche Bedeutung wie ehemals vom Standpunkt des Bürgertums und einer bürgerlichen Staats- und Gesellschaftslehre, und ist darum heute ebenso aktuell und richtig wie je.« Wer soll der Hüter der Verfassung sein?1S. 34.1
Solange das positive Recht »ganz bejaht wird, thut es die Vernunft allein (sc. als kritischer Maßstab des positiven Rechts) auch und bedarf es keines Vernunftrechts, genügt die sittliche Tadellosigkeit und ist die Billigung durch ein ethisches Recht nicht erforderlich …« Bergbohm 401.
»Sodann ist die auffällige Tatsache zu beherzigen und daraus der Schluss auf die Leerheit des Naturrechtsbegriffes zu ziehen, dass derselbe bei allen, unter sich doch so verschiedenartigen rechtsphilosophischen Hauptrichtungen der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts eine Haupt- oder Nebenrolle spielt« (Bergbohm 176).
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Strauss, L. (2001). Vorwort zu einem geplanten Buch über Hobbes. In: Meier, H., Meier, W. (eds) Hobbes’ politische Wissenschaft und zugehörige Schriften — Briefe. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03542-4_3
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