Zusammenfassung
Kants rigoroser Gegensatz von ästhetischem Urteil und Erkenntnis enthält, wie einige seiner Zeitgenossen rasch begriffen hatten, den Keim seiner eigenen De-konstruktion. Denn wenn das Ästhetische die Referenz eines Objekts auf ein Subjekt bezeichnet, dann muß es, wie Kant einräumt, als Moment in all unserer Erkenntnis gegenwärtig sein. Es ist eine notwendige Voraussetzung jeder Erforschung der Natur, daß die Natur unseren Erkenntnisvermögen entsprechend strukturiert ist und ihnen insofern entgegenkommt. Kants »kopernikanische Wende« zentriert die Welt auf das menschliche Subjekt. Damit überantwortet sie sich dem Ästhetischen, denn sie läßt dessen Art von Erfahrung jetzt weniger marginal, grundlos oder nachträglich erscheinen, als sie sonst erscheinen würde. Die Harmonie der Vermögen, die ästhetische Lust bereitet, ist in der Tat eine der Voraussetzungen jeder empirischen Erkenntnis. Wenn das Ästhetische in gewisser Hinsicht gegenüber den anderen Tätigkeiten unseres Geistes als »supplementär« erscheint, so ist es aber von einer Supplementarität, die sich nach Art der Logik Derridas eher als Grundlage oder Vorbedingung dieser anderen Tätigkeiten erweist. Gilles Deleuze schreibt: »Niemals übernähme ein Vermögen eine gesetzgebende oder bestimmende Rolle, wenn alle Vermögen zusammen nicht zunächst zu dieser freien, subjektiven Harmonie [des Ästhetischen] fähig wären.«1
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Notizen
Gilles Deleuze: Kants kritische Philosophie, Berlin 1990, S. 105f.
Vgl. John MacMurray: The Self as Agent, London 1969, Kap. 1.
Friedrich Schiller »Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen« in: Schillers Werke Nationalausgabe, Bd. 20, hg. Lieselotte Blumenthal und Benno von Wiese, Weimar 1962, S. 344.
Friedrich Schiller »Über den moralischen Nutzen ästhetischer Sitten« in: Schillers Werke Nationalausgabe, Bd. 21, hg. Helmut Koopmann und Benno von Wiese, Weimar 1963, S. 34.
Friedrich Schiller »Über die nothwendigen Grenzen bei Gebrauch schöner Formen« in: Schillers Werke Nationalausgabe, Bd. 21, hg. Helmut Koopmann und Benno von Wiese, Weimar 1963, S. 17.
Vgl. Howard Caygill: Aesthetics and Civil Society: Theories of Art and Society 1640–1790. Unveröff. Ph.D. thesis, University of Sussex 1982.
Friedrich Schiller »Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen« in: Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. 8: Theoretische Schriften, hg. Rolf-Peter Janz u.a., Frankfurt a.M. 1992, S. 647f.
Vgl. etwa Georg Lukács: Goethe und seine Zeit, in: Werke, Bd. 7, Neuwied und Berlin 1964, S. 89–163, Kap. 3 und 4;
Fredric Jameson: Marxism and Form, Princeton 1971, Kap. 2, Teil 11;
Margaret C. Ives: The Analogue of Harmony, Louvain 1970.
vgl. S.S. Kerry: Schiller’s Writings on Aesthetics, Manchester 1961
und L.P. Wessell »Schiller and the Genesis of German Romanticism« in: Studies in Romanticism, vol. 10, no. 3 (1971).
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Eagleton, T. (1994). Schiller und die Hegemonie. In: Ästhetik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03510-3_5
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