Zusammenfassung
Wenn das Ästhetische einige der wichtigsten politischen und ökonomischen Kategorien von Marx bestimmt, durchdringt es ebenso auch die psychoanalytischen Lehren von Sigmund Freud. Lust, Spiel, Traum, Mythos, Szene, Symbol, Phantasie und Repräsentation — sie alle gelten nicht länger als bloßer Ersatz, als ästhetisches Beiwerk der eigentlichen Dinge des Lebens, sondern als Grundlagen der menschlichen Existenz. Charles Levin hat sie als »primitive Essenz des Gesellschaftsprozesses« bezeichnet.1 Das menschliche Leben ist für Freud insofern ästhetisch, als es in ihm immer wieder um intensive Körperempfindungen und übersteigerte Vorstellungen geht, die eine besondere symbolische Bedeutung besitzen und die von bestimmten Gestalten und Phantasien nicht zu trennen sind. Das Unbewußte arbeitet nach einer »ästhetischen« Logik, indem es seine Bilder mit dem listigen Opportunismus eines künstlerischen bricoleurs verdichtet und verschiebt. Die Kunst ist daher für Freud kein privilegierter Bereich, sondern setzt direkt die libidinösen Prozesse fort, die das Alltagsleben ausmachen. Wenn sie in bestimmter Hinsicht eigenartig ist, so nur deshalb, weil auch das Alltagsleben selbst überaus merkwürdig ist. Wenn das Ästhetische durch den Idealismus als eine Form der Sinnlichkeit dargestellt wurde, die frei ist von Begehren, dann demaskiert Freud die fromme Naivität dieser Auffassung ihrerseits als libidinöse Sehnsucht. Das Ästhetische ist es, was uns leben läßt; doch für Freud (im Gegensatz zu Schiller) ist dies mindestens ebensosehr eine Katastrophe wie ein Triumph.
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Notizen
Charles Levin »Art and the Sociological Ego: Value from a Psychoanalytic Perspective« in: John Fekete (hg.): Life after Postmodernism, London 1988, S. 22.
Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur, in: Gesammelte Werke, Bd. 14, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1968, S. 441f.
William Empson: Some Versions of Pastoral, London 1966, S. 144 (Hervorhebungen vom Verf.,T.E.).
Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse, in: Werke, Bd. VI 2, Berlin 1968, S. 41.
Fredric Jameson: The Prison-House of Language, Princeton 1972, S. 108.
Paul Ricoeur: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt a.M. 1974, S. 391.
Vgl. Juliet Mitchell und Jacqueline Rose (hg.): Feminine Sexuality Jacques Lacan and the École Freudienne, London 1982, S. 6.
Vgl.Julia Kristeva »Freud und die Liebe. Das Unbehagen in der Kultur«, in: dies.: Geschichten von der Liebe, Frankfurt a.M. 1989, S. 26–60.
Sigmund Freud: Das Ich und das Es, in: Gesammelte Werke, Bd. 13, 6. Aufl., Frankfurt a.M. 1969, S. 262.
Vgl. Leo Bersani: The Freudian Body, New York 1986, S. 97.
Vgl. Sigmund Freud: Trauer und Melancholie, in: Gesammelte Werke, Bd. 10, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1967, S. 427–446.
Sigmund Freud: Das ökonomische Problem des Masochismus, in: Gesammelte Werke, Bd.13, 6. Aufl., Frankfurt a.M. 1969, S. 383.
Norman O. Brown: Zukunft im Zeichen des Eros, Pfullingen 1962, S. 165.
Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion, in: Gesammelte Werke, Bd. 14, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1968, S. 333.
Vgl. Sigmund Freud: Ein Kind wird geschlagen, in: Gesammelte Werke, Bd. 12, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1966, S. 195–226.
Philip Rieff: Freud. The Mind of the Moralist, Chicago und London 1959, S. 159.
Jean Laplanche: Leben und Tod in der Psychoanalyse, Frankfurt a.M. 1985, S. 150.
Sigmund Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, Bd. 11, 5. Aufl., Frankfurt a.M. 1969, S. 322.
Christopher Norris: William Empson and the Philosophy of Literary Criticism, London 1978, S. 86.
Vgl. Sigmund Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse, in: Gesammelte Werke, Bd. 13, 6. Aufl., Frankfurt a.M. 1969, S. 71–161.
Edward Bond: Lear, in: Gesammelte Stücke, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1987, S. 314.
Sigmund Freud: Aus den Anfängen der Psychoanalyse. Briefe an W. Fließ, Abhandlungen und Notizen aus den Jahren 1887–1902, Frankfurt a.M. 1962, S. 326.
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Eagleton, T. (1994). Im Namen des Vaters: Sigmund Freud. In: Ästhetik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03510-3_11
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