Zusammenfassung
Unschwer lassen sich Parallelen aufweisen zwischen dem Denken Friedrich Nietzsches und dem Historischen Materialismus. Denn Nietzsche ist auf seine Weise ein Materialist durch und durch, auch wenn er dem Arbeitsprozeß und dessen gesellschaftlichen Beziehungen kaum Beachtung geschenkt hat. Für Nietzsche, so könnte man sagen, wäre alle Kultur im menschlichen Körper verwurzelt, wenn dieser nicht seinerseits nur ein kurzlebiger Ausdruck des Willens zur Macht wäre. In der »Fröhlichen Wissenschaft« fragt Nietzsche sich, ob die Philosophie »bisher überhaupt nur eine Auslegung des Leibes und Missverständ-niss des Leibes gewesen ist«.1 Und in der »Götzen-Dämmerung« bemerkt er mit scherzhaftem Ernst, kein Philosoph habe bisher mit Verehrung und Dankbarkeit von der menschlichen Nase gesprochen.2 An Nietzsche haftet mehr als nur der Anflug eines vulgären, auf Schopenhauer verweisenden Physiologismus, wenn er beispielsweise darüber spekuliert, daß die Verbreitung des Buddhismus »von der übermäßigen und fast ausschließlichen Reiskost der Inder und der dadurch bedingten allgemeinen Erschlaffung« abhängig ist.3 Doch zu Recht sieht er im Körper den ungeheuren blinden Fleck aller traditionellen Philosophie: »Philosoph sein, Mumie sein…Und weg vor Allem mit dem Leibe, dieser erbarmungswürdigen idée fixe der Sinne! behaftet mit allen Fehlern der Logik, die es giebt, widerlegt, unmöglich sogar, ob er schon frech genug ist, sich als wirklich zu gebärden!«4 Nietzsche hingegen wendet sich wieder dem Körper zu und versucht, alles von ihm aus zu durchdenken, die Geschichte, die Kunst und die Vernunft als unverläßliche Hervorbringungen seiner Bedürfnisse und Antriebe zu begreifen.
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Notizen
Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft, in: Werke, hg. G. Colli und M. Montinari, Bd. V 2, Berlin und New York 1973, S. 16.
Vgl. Friedrich Nietzsche: Götzen-Dämmerung, in: Werke, Bd. VI 3, Berlin 1969, S. 69.
Friedrich Nietzsche: Nietzsche contra Wagner, in: Werke, Bd. VI 3, Berlin 1969, S. 416.
Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, Sommer 1886–Herbst 1987, in: Werke, Bd. VIII 1, Berlin und New York 1974, S. 209f.
Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse, in: Werke, Bd. VI 2, Berlin 1968, S. 128.
Friedrich Nietzsche: Zur Genealogie der Moral, in: Werke, Bd. VI 2, Berlin 1968, S. 376 und 313.
Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches I, in: Werke, Bd. IV 2, Berlin 1967, S. 94.
Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, Sommer 1886–Herbst 1887, in: Werke, Bd. VIII 1,S. 210.
Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches II, in: Werke, Bd. IV 3, Berlin 1967, S. 340.
Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, Frühjahr 1888, in: Werke, Bd. VIII 3, Berlin und New York 1972, S. 129.
Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, Juni-Juli 1885, in: Werke, Bd. VII 3, Berlin und New York 1974, S. 312.
Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, Sommer 1886–Herbst 1887, a.a.O., S. 103.
Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse, Frankfurt a.M. 1973, S. 363.
Gilles Deleuze: Nietzsche und die Philosophie, Frankfurt a.M. 1985, S. 94.
Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, November 1887–März 1888, in: Werke, Bd. VIII 2, Berlin 1970, S. 252.
Martin Heidegger: Nietzsche, Bd. I, Pfullingen 1961, S. 150.
Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, Frühjahr 1888, a.a.O., S. 165f.
Alexander Nehamas: Nietzsche. Life as Literature, Cambridge, Mass. 1985.
Vgl. ferner Allan Megill: Prophets of Extremity, Berkeley 1985, Teil I.
Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, Frühjahr 1888, a.a.O., S. 87.
Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, November 1887–März 1888, a.a.O., S. 395.
Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, Frühjahr 1888, a.a.O., S. 39.
Nietzsche: Nachgelassene Fragmente, Frühjahr-Sommer 1888, a.a.O., S. 296.
Vgl. ähnlich Pierre Macherey: A Theory of Literary Production, London 1978,
Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie, in: Werke, Bd. III 1, Berlin und New York 1972, S. 43.
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Eagleton, T. (1994). Wahre Illusionen: Friedrich Nietzsche. In: Ästhetik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03510-3_10
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