Zusammenfassung
In den letzten Jahren ist Harry Graf Kessler zu einer festen Figur des Weimarer Nietzsche-Kultes geworden.2 Als Lichtgestalt unter den Dunkelmännern aus dem Familienclan der Försters und Oehlers, als »Guter Europäer« in einer Zeit der nationalen Verengung bietet er sich als Ehrenrettung der Villa Silberblick geradezu an und verleiht dem heutigen Bestreben, Weimar als »Kulturhauptstadt« Geltung zu verleihen, eine historische Perspektive.3 Es wäre jedoch zu bedauern, wenn dadurch eine inflationäre Reproduktion von Klischees entstehen würde, die sein durchaus differenziert zu beurteilendes Verhalten verdecken. Kessler war ein Paradigma des Epigonen; in ihm verdichtet sich ein Zeitgeist, der sich in Nietzsche wiedererkannte, aber der seine Philosophie auch in seiner eigenen Perspektive instrumentalisierte und gefügig machte.
Blinde aus Gehorsam — in der Epigonalität erreicht der Charakter den Nullpunkt. Epigone ist, wer keinen hat, nicht einmal einen schlechten. […] Epigonoi sind Mitläufer, genügsame Trabanten der Sonne, von der sie stammen, Parasiten von deren Leuchtkraft, ewige Nachgeborene, die sich nicht losmachen können von der väterlichen Übermacht.1
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Endnoten
Der Verfasser dankt den Mitarbeitern des Deutschen Literaturarchivs, Marbach, und des Goethe- und Schiller-Archivs, Weimar, für ihre stets hilfsbereite Unterstützung.
Gert Mattenklott, »Epigonalität«; in: Mattenklott, Blindgänger. Physiognomische Essays, Frankfurt am Main 1986, S. 72f.
Siehe Peter Grupp, Harry Graf Kessler 1868–1937. Eine Biographie, München 1994. Ebenfalls Burkhard Stenzel, Harry Graf Kessler, 1868–1937. Eine Biographie, Wien/Weimar/Köln 1995.
Kessler, Tagebuch, 4. November 1891; Deutsches Literaturarchiv, Marbach. Künftig: KTB.
Elisabeth Förster-Nietzsche, Der Einsame Nietzsche, Leipzig 1902. Siehe auch GZ, S. 211, 212. Kessler bezeichnet die Nietzsche-Generation als »lauter damals noch Einsame, Einzelne, Verstreute«.
Raoul Richter, Friedrich Nietzsche. Sein Leben und sein Werk, Leipzig 1903.
Raoul Richter, Nietzsches Stellung zu Entwicklungslehre und Rassetheorie (1906); in: Richter, Essais, Leipzig 1913, S. 150.
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Kostka, A. (2000). Der Epigone als Vollender: Harry Graf Kessler. In: Widersprüche. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03508-0_11
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