Zusammenfassung
Selten hat unsere Zeit die Wertung des 19. Jahrhunderts und darüber hinaus bis 1945 so widerrufen wie im Falle des ›Prinzen von Homburg‹. Für das 19. Jahrhundert stellte Hebbel die gültige Diagnose:
Kleist stieß mit dem Prinzen von Homburg nun noch obendrein gegen einen Fleck, der zu seiner Zeit, wo Theodor Körner die Leute in seinen Trauerspielen ordentlich darum um die Wette laufen ließ, wer zuerst sterben soll, zu den allerempfindlichsten gehört. Todesfurcht und ein Held! Was zu viel ist, ist zu viel! Es war eine Beleidigung für jeden Fähnrich. »Ein Butterbrot verlangen Sie von mir? Das geb’ ich Ihnen nicht! Aber mein Leben mit Vergnügen!«1
Im späteren 19. Jahrhundret sah es oft nicht viel besser aus als zu Körners Zeiten. Die gründung des deutschen Kaiserreichs nach dem siegreichen 70er Krieg ließ selbst Fontane, der doch bald Preußen sehr kritisch analysierte, im Jahre 1872 über Kleists Vetstoß gegen Preußens Helden-Ideal folgendermaßen urteilen:
[…] eitle, krankhafte, prätentiöse Waschlappen, aber keine Helden, Kerle, die in Familie, bürgerlicher Gesellschaft, staatlichem Leben immer nur Unheil gestiftet haben und die immer nur in kranker Zeit von kranken Gemütern gefeiert worden sind. Ein Prinz, ein Reiterführer, ein Held, wenn das Vaterland einem übermächtigen Feinde gegennübersteht, der 50 Jahre lang Europa mit seinem Kriegsruhm gefüllt hat, und der nächste Tag die blutige Entscheidung bringen soll, ein solcher Prinz und Held knöpft die Ohren auf, wenn der Feldmarschall die Dispositionen fär den Angriff gibt, und steht nicht schlafwandelnd, geistesabwsend dneben, bloß weil eine Prinzessin, Für die er eine Neigung empfindet, in der Nähe steht und einen verlorengegangenen Handschuh sucht.2
Vortrag, gehalten am 19. Juni 1992 auf der Jahrestagung der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft in Regensburg.
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Literatur
Heinrich von Kleists Nachruhm. Eine Wirkungsgeschichte in Dokumenten. Hg. von Hel-mut Sembdner, Bremen 1967, Nr. 565, S. 540f. (im folgenden zitiert als ›Nachruhm ‹).
Rudolf Ibel, Der Staat und das Mysterium des Todes. Zu Kleists ›Prinz Friedrich von Homburg‹. In: Die Literatur, April 1939, S. 402.
Zitiert nach: Rolf Busch, Imperialistische und faschistische Kleist-Rezeption 1890–1945. Eine ideologiekritische Untersuchung, Frankfurt/ M. 1974, AnhangS. 90.
Zitiert nach: Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe in 4Bdn., Bd. 2: Dramen 1808–1811. Hg. von Ilse-Marie Barth und HinrichC.Seeba, Frankfurt/M. 1987, S.1220f. Nach dieser Ausgabe wird auch im folgenden zitiert.
Paul Fleming, Deutsche Gedichte. Hg. von Volker Meid, Stuttgart 1986, S. 112.
Ich weise für das folgende auf die Aufsätze: Gerhard Oestreich, Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaates. In: Historische Zeitschrift 181, 1956, S. 31–78;
ders.: Gerhard Oestreich, Der römische Stoizismus und die Oranische Heeresreform. In: Historische Zeitschrift 176, 1953, S. 17–43;
ders.: Gerhard Oestreich, Calvinismus, Neustoizismus und Preußentum. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 5, 1956, S. 157–181.
Kant, Werke in 6 Bdn. Hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1966, hier Bd. IV, S. 209.
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Schmidt, J. (1993). Stoisches Ethos in Brandenburg-Preussen und Kleists ›Prinz Friedrich von Homburg‹. In: Kreutzer, H.J. (eds) Kleist-Jahrbuch 1993. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03502-8_10
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