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Rhetorisch-ritualisierendes Erzählen in der Schwarzen Spinne. 1. Problemstellung und texttheoretischer Exkurs

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Jeremias Gotthelf — der »Dichter des Hauses«
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Zusammenfassung

Über die Schwarze Spinne wurde im 20. Jahrhundert viel geschrieben. Klaus Lindemanns Buch (1983)1 faßte das Wesentliche zusammen und erweiterte die Perspektive der Werkinterpretation um allgemeinere Ergebnisse der literarhistorischen Forschung, wie sie vor allem in Friedrich Sengles Biedermeierzeit (1971–80) vorliegen. So entstand eine umfangreiche »Modellanalyse«, die das Werk als Repräsentanten restaurativer Literatur darstellte. Wozu eine erneute Auseinandersetzung mit der Schwarzen Spinnel Wenn die Diskussion der Interpreten einen Ruhepunkt erreicht hat, wird der Blick frei für die literaturtheoretischen Voraussetzungen, unter denen sie sich vollzogen hat, und es beginnt die Überlegung, ob auf theoretischer Ebene die nötige Reflexion stattgefunden habe, um den Text nicht nur zu verstehen, sondern im System literarischer Kommunikation zu begreifen. Wohl hatte es eine wichtige Auseinandersetzung gegeben um die ›ästhetische‹ oder ›rhetorische‹ Interpretation Gotthelfs, — eine Auseinandersetzung, die mit dem Sieg der letzteren endete. Uns scheinen allerdings die gängigen Vorstellungen von den Funktionen rhetorischen Sprechens allgemein zu eng. Der persuasive und lehrhafte Aspekt wird stark betont, der gestalthafte aber wird — wohl wegen seiner Nähe zur ›ästhetischen‹ Kunstanschauung — vernachlässigt. Dabei gibt es Ästhetisierung nicht nur gegen die, sondern auch innerhalb der Rhetorik. Im folgenden soll nach dieser Richtung hin die Kenntnis der Möglichkeiten rhetorischen Sprechens erweitert werden, und zwar so, daß der Interpretation der Schwarzen Spinne gedient ist, aber auch so, daß die Interpretation beispielhaft werden kann für die Analyse rhetorischen Sprechens.

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Literatur

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Hahl, W. (1994). Rhetorisch-ritualisierendes Erzählen in der Schwarzen Spinne. 1. Problemstellung und texttheoretischer Exkurs. In: Jeremias Gotthelf — der »Dichter des Hauses«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03499-1_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03499-1_6

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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