Zusammenfassung
Francis Bacon (1561–1626), der »Vater des modernen Materialismus« (Engels) und Begründer der modernen Experimentalphilosophie, für den »alle Bäche der Empirie sich in den Ozean der Philosophie ergießen müssen« (Feuerbach), war auf dem Höhepunkt der Renaissance der erste, der ein modernes enzyklopädisches System der Wissenschaften begründete. Es basierte auf der antiken und mittelalterlichen Tradition der Fakultätenpsychologie und klassifizierte die Wissenschaften durch ihre Zuordnung zu voneinander abgegrenzten Seelenvermögen. Dieses Klassifikationssystem, das in seiner Grundstruktur bis zu Diderots und d’Alemberts Enzyklopädie erhalten blieb, nahm die Einteilung der Wissenschaften nicht durch Klassifikation von Gegenstandsbereichen vor, sondern durch »Unterscheidung dreier verschiedener Zugangsweisen oder Methoden der Wissensgewinnung« (R. Stichweh 1984, S. 5). In Bacons triadischem System werden drei Grundvermögen (Fakultäten, Seelenvermögen) jeweils bestimmte Wissensbereiche zugeordnet: dem Gedächtnis (Memory) die Geschichte, der Vernunft (Reason) die Philosophie und der Imagination die Poesie. Das System ist hierarchisch strukturiert, d. h., an der Spitze stehen Philosophie und Vernunfterkenntnis:
»The Parts of human learning have reference to the three parts of Mans understanding, which is the seate of learning: History to his Memory, Poesie to his Imagination, and Philosophy to his Reason.« (F. Bacon 1605, 1970, S. 7)
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Notizen
Cf. die klassische Darstellung von Murray Wright Bundy, The Theory of Imagination in Classical and Medieval Thought, Illinois 1927 (Univ. of Illinois Studies in Language and Literature, vol. XIII, Nos. 2–3). Darin insbesondere die Darstellung der durch Dantes Divina Commedia ausgelösten Debatte über die poetische Imagination. Für Dante sind die Grenzen der alta fantasia identisch mit denen der Poesie: “All’aita fantasia qui manco passa. “ (Paradiso XX-XIII, 142). — Zu Dante vgl. auch das noch immer unübertroffene Buch von Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, Berlin-Leipzig 1929. Eine knappe begriffsgeschichtliche Skizze der Imagination seit der Antike gibt Jean Starobinski, Grundlinien für eine Geschichte des Begriffs der Einbildungskraft. In: J. Starobinski, Psychoanalyse und Literatur, Frankfurt/M. 1973, S. 3–23.
J. Roh beck, Die Fortschrittstheorie der Aufklärung, Frankfurt/M. — New York 1987, S. 147.
Der Verf. differenziert mit dieser These die “Theoriegeschichte der Arbeit als Entwicklungsmodell des Fortschritts”. Der inventio-Begriff habe nicht die Manufakturperiode zur Erfahrungsgrundlage. “Im Übergang vom Prinzip der ’imitatio ’ zur ’inventio ’ kam die Erfahrung mit einer anderen Arbeitsweise, die zwischen der handwerklichen und der manufakturellen Produktion lag, zum Ausdruck. Dies war die Arbeit des Ingenieurs. “ — Über Bacons Trennung von natural history und civil history Cf. H. Dieckmann, Naturgeschichte von Bacon bis Diderot: Einige Wegweiser. In: R. Koselleck/W. D. Stempel (Hg), Geschichte — Ereignis und Erzählung, München 1973 (Poetik u. Hermeneutik V), S. 95–114. Vgl. auch Paolo Rossi, Francesco Bacone, Torino 1974.
W. Rösier, Schriftkultur und Fiktionalität. Zum Funktionswandel der griechischen Literatur von Homer bis Aristoteles. In: A. u. J. Assmann/Chr. Hardmeier (Hg.), Schrift und Gedächtnis. Archäologie der Kommunikation I, München 1983, S. 118.
— Die von den Forschungen der amerikanischen Altphilologen Milman Parry, Albert B. Lord und Eric Havelock erzielten Ergebnisse über den frühgeschichtlichen Übergang von oraler zu schriftlicher Kultur haben nicht nur die Homer-Philologie auf völlig neue Grundlagen gestellt; sie haben auch die kulturgeschichtlichen Forschungen über das Verhältnis von Ora-lität und Literalität (Schriftlichkeit) angeregt. Mit Verspätung sind sie jetzt auch in einer Reihe deutscher Übersetzungen zugänglich. Vgl. insbesondere: Entstehung und Folgen der Schriftkultur. Von Jack Goody, Ian Watt u. Kathleen Gough. Mit einer Einleitung v. Heinz Schlaffer, Frankfurt/M. 1986.
Albert B. Lord, Der Sänger erzählt (The Singer of Tales, 1960), München 1965. — Über den neuen Stand der Homer-Forschung informiert zusammenhängend anhand einer Dokumentation einschlägiger Texte J. Latacz, Homer. Tradition und Neuerung, Darmstadt 1979 (Wege der Forschung, Bd. CDL-XIII). — W. Rösier gebührt das Verdienst, die Entstehung des poetischen Wahrheitsbegriffs der antiken europäischen Tradition als eine Folge der Einführung der alphabetischen Schrift in Griechenland erklärt zu haben
W. Rösier, “Die Entdeckung der Fiktionalität in der Antike “. In: Poetica, 12. Jg. (1980), H 3–4, S. 283–319.
— Auf diesen Forschungen aufbauend, hat der Schweizer Romanist und Mediavist Paul Zumthor eine neue (universale) Theorie oraler Poesie begründet: Introduction à la poésie orale, Paris 1983, deren deutsche Übersetzung 1990 im Berliner Akademie-Verlag erschienen ist. — Vgl. weiterhin Walter J. Ong, Orality and Literacy. The Technologizing of the Word, New York 1982.
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Barck, K. (1993). Das »Theater der Imagination« und der »Palast der Philosophie«: Francis Bacons Artikulation von Poesie und Imagination. In: Poesie und Imagination. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03497-7_2
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