Zusammenfassung
Auf den Roman des 19. Jahrhunderts hatte die idealistische Thematik nur insofern Einfluß, als ihr bewegendes Moment — der Richtungsfaktor Hoffnung, die Überhöhung alltäglicher Wirklichkeit — erhalten blieb. Ein Programm war damit nicht mehr verbunden. Die Romantik wirkt nach, aber zur Hauptsache mit ihren geistigen Erlebnisschüben. Das Wirklichkeitsverhältnis hatte sich gründlich verschoben, d. h., eine Verlagerung des Wertungssystems ging vor sich — Hauptwirklichkeit ist jetzt nicht mehr eine gedachte Welt. Die Komponenten des Sensuellen, Empirischen, Historischen gewinnen an Dominanz. Die Literatur und damit der Roman des 19. Jahrhunderts konnten also nur bedingt auf den alten literarischen Fundamenten weiterbauen. Stark wirkte Jean Paul nach1, wohl infolge der »Emanzipation der Tatsächlichkeit, des Irdisch-Realen«, die man ihm mit Recht zuschreibt2, noch stärker wirkte Goethe, die Komplexität seines Weltbildes deckte gleichermaßen die realen wie die idealen Forderungen der Zeit. Daß mit Goethe die moderne Kunst beginnt, der moderne, nachromantische Roman, daß also gerade auf diesem Gebiet ein Neuanfang zu sehen ist, zugleich eine Entwicklung, die mit Cervantes begann, diese Erkenntnis vertrat schon Friedrich Schlegel.
Hegels Ästhetik und die romanpoetologische Problematik. Immermanns zeitbezogenes Konzept im Rahmen der Biedermeier-Literatur: die »realistisch-pragmatische« Forderung. Der Roman als »Mischprodukt« (Marggraf) — die Formlosigkeit vor 1850 als Ausdrucksform der Lebensvielfalt. Der historische Roman und seine politische Implikation. Das Junge Deutschland: Kampf der Romantik, der Innerlichkeit, dem Vergangenen; die Dominanz der Tagesfragen. Der »Tendenzroman« (Gutzkow, Laube, Mundt) und seine Kritiker (Wienbarg, Marggraf). Eichendorff und seine späte Ablehnung des Romans. Stifters utopisches Romanprogramm. Gustav Freytag und die falsche Romantik. Realismus: das theoretische Konzept ab 1850 die organische Form, der menschliche Inhalt des Romans als Forderung. Ideelle Überhöhung und empirische Absicherung. Fontane, Otto Ludwig, F. Th. Vischer, Keller, Raabe. Das Programm der Mitte (Ludwig); Innerlichkeit (Schopenhauer) als Fluchtpunkt der Weltbezüge. Schematisierte Theorie und Formkritik: Spielhagen. Rückblick und umfassende Theorie der Geschichtsphilosophie: Georg Lukács.
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Notizen
Vgl. Berthold Emrich, Jean Pauls Wirkung im Biedermeier. Diss. Tübingen 1949 (masch.).
Fritz Martini, Das Problem des Realismus im 19. Jahrhundert und die Dichtung Wilhelm Raabes. In: Dichtung und Volkstum 36 (1935), S. 276.
Vgl. Reinhard Wagner, Die theoretische Vorarbeit für den Aufstieg des deutschen Romans im 19. Jahrhundert. In: ZfdPh 74 (1955), S. 353–363.
Georg Lukács, Die Theorie des Roman S. 3. Aufl., Neuwied, Berlin 1965.
Carl Nicolai, Versuch einer Theorie des Romans. Erster Theil. Quedlinburg, Leipzig 1819, S. 14, 66, 60, 63.
Vgl. Fritz Martini, Der Bildungsroman. Zur Geschichte des Wortes und der Theorie. In: DVjs 35 (1961), S. 44–63.
Immermanns Werke. Hrsg. v. H. Maync. Wien, Leipzig 1906/07. Bd. 2., S. 181.
Friedrich Engels, Immermanns Memorabilien. In: Meisterwerke dt. Literaturkritik. Hrsg. v. H. Mayer. Bd. II. Berlin 1956, S. 256.
Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Prosa III. Frankfurt a.M. 1952, S. 108 f.
Hans Mayer, Von Lessing bis Thomas Mann. Pfullingen 1959, S. 264, 270.
Vgl. Bruno Hillebrand, Immermann und die Geschichte. In: Sprache und Bekenntnis. Festschrift für H. Kunisch. Sonderbd. d. Literaturwiss. Jbs. Berlin 1971, S. 207–233.
Ebd., S. 379f. Zum Realismus in Immermanns Dichtung vgl. Fritz Rumler, Realistische Elemente in Immermanns Epigonen. Diss. München 1964. Zur »Bestimmung des programmatischen Realismus« in der Biedermeierzeit, vgl. Friedrich Sengle, Biedermeierzeit. Dt. Lit. im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848. Bd. I. Stuttgart 1971, S. 257–291.
Vgl. Richard Brinkmann, Wirklichkeit und Illusion. Studien über Gehalt und Grenzen des Begriffs Realismus für die erzählende Dichtung des 19. Jahrhundert S. 2. Aufl. Tübingen 1966.
Brief an Devrient, 11. März 1840. K. Immermann, Briefe. Hrsg. v. P. Hasubek. Zweiter Band: 1832–1840. München, Wien 1979, S. 1061.
Brief an Amalie v. Sybel, Mai 1838. K. Immermann, Briefe, S. 836.
Hermann Marggraff, Die Entwicklung des deutschen Romans, besonders in der Gegenwan. In: Deutsche Monatsschrift für Litteratur und öffentliches Leben. Hrsg. v. C. Biedermann, Jg. 1844, H. 8, S. 101f.
Carl Julius Weber, Democritos oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen. C. J. Weber, S. W. Bd. 20. Stuttgart 1838, S. 366; 371.
Charles Sealsfield, Morton oder die große Tour. Zuschrift des Herausgebers an die Verleger der ersten Auflage. Ges. Werke. Teil 7. 3. Auflage. Stuttgart 1846, S. 5f.
Heines Sämtliche Werke. Hrsg. v. O. Walzel. Bd. 8, Leipzig 1913, S. 142f.
Arnold Ruge, Zur Charakteristik von Sealsfield. A. Ruge. Sämtliche Werke. Bd. 3, 2. Aufl. Mannheim 1847, S. 309.
Marx/Engels, Über Kunst und Literatur. Bd. II. Frankfurt a.M., Wien 1968, S. 14f.
Vgl. Walter Dietze, Junges Deutschland und deutsche Klassik. Zur Ästhetik und Literaturtheorie des Vormärz. 3. Aufl., Berlin 1962, S. 128f. (Die jungdeutschen Positionen. Das Bewußtsein der Zeitenwende: S. 121–133.)
Friedrich Engels, Alexander Jung und das Junge Deutschland. In: F.E., Schriften der Frühzeit. Berlin 1920, S. 194.
Otto Ludwig, Ges. Schriften. Hrsg. v. A. Stern. Bd. VI, Leipzig 1891, S. 79. Selbst in der Literaturgeschichte der Zeit findet diese Auffassung schon ihren Niederschlag: »Die socialen Zustände Deutschlands eignen sich weniger zur romantischen Darstellung, als die der Engländer und Franzosen, weil sie durch den Mangel einer großen nationalen Concentration in kleinstädtische Misèren verkümmert sind.« (Julian Schmidt, Geschichte der Dt. Lit. im 19. Jh. Bd. 3, 2. Aufl. Leipzig, London, Paris 1855, S. 318).
Adalbert Stifter, Ges. Werke. Bd. VI: Kleine Schriften. Wiesbaden 1959, S. 427 (Es handelt sich um den einzigen ausführlichen Aufsatz Stifters zur Dichtungsästhetik: Über die Behandlung der Poesie in Gymnasien S. 420–437.
Vgl. Joachim Müller, Adalbert Stifter (Kap. VIII: ›Das Göttliche im Kleide des Reizes‹). Halle (Saale) 1956, S. 178–189.
An J. Mörner, Linz, 26. Sept. 1851. Ebd., S. 269f.
Gustav Freytag, Ges. Werke. Bd. I. Leipzig 1887, S. 179 und S. 181 f.
Theodor Fontane, Sämtliche Werke. Hist.-Krit. Ausgabe. Hrsg. v. K. Schreinert. Bd. XXI/1. München 1963, S. 226f.
Wenn es dennoch »abgegriffenes» sentimentales, motivisches Kleingeld der Marlitt- und Gartenlaubenzeit« geben sollte, so bleibt dies doch entschieden die Ausnahme. (Vgl. Peter Demetz, Formen des Realismus. Theodor Fontane. München 1964, S. 64).
Vgl. Walter Müller-Seidel, Gesellschaft und Menschlichkeit im Roman Theodor Fontanes. In: Heidelberger Jahrbücher 4 (1960), S. 108–127.
Georg Lukács, Deutsche Realisten des 19. Jahrhunderts. Berlin 1953, S. 306.
Vgl. Hermann Kunisch, Zum Problem des künstlerischen Realismus im 19. Jh. In: Festschrift H. de Boor. Tübingen 1966, S. 216ff.
Vgl. Albert Meyer, Die ästhetischen Anschauungen Otto Ludwigs. Winterthur 1957 (Vorbemerkung).
Vgl. Heinrich Reinhardt, Die Dichtungstheorie der sogenannten poetischen Realisten. Würzburg-Aumühle 1939, S. 37.
Schellings Werke. Hrsg. v. M. Schröter. Bd. 3. München 1927, S. 368.
Vgl. Fritz Martini, Deutsche Literatur in der Zeit des ›bürgerlichen‹ Realismus. Ein Literaturbericht. In: DVjs 34 (1960), S. 581–666.
Vgl. Richard Brinkmann, Illusion und Wirklichkeit. Studien über Gehalt und Grenzen des Begriffs Realismu S. 2. Aufl. Tübingen 1966 (i.Aufl. 1957), S. 3–82.
Fritz Martini, Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismu S. 1848–1898. Stuttgart 1962 (vgl. Vorwort).
Otto Ludwig. Ges. Schriften. Hrsg. v. A. Stern. Leipzig 1891. Bd. VI, S. 188.
Vgl. u. a. Hermann Glockner, Fr. Th. Vischers Ästhetik in ihrem Verhältnis zu Hegels Phänomenologie des Geistes. Diss. Leipzig 1920. Ders., Fr.Th. Vischer und das 19. Jahrhundert. Berlin 1931, S. 122.
Julian Schmidt, Geschichte der Dt. Literatur im 19. Jahrhundert. Bd. 3. 2. Aufl. Leipzig, London, Paris 1855, S. 318.
Karl Gutzkow, Der Roman und die Arbeit. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Bd. 3. Nr. 44. 1855, S. 702f.
Arthur Schopenhauer, Sämtliche Werke. Hrsg. v. A. Hübscher, Bd. VI: Parerga und Paralipomena, 2. Bd. 2. Aufl. Wiesbaden 1947, S. 469.
F. Th. Vischer, Altes und Neue S. 2. Heft. Stuttgart 1881, S. 186 und S. 156.
Vgl. Bruno Hillebrand, Der Garten des Grünen Heinrich. In: DVjs 45 (1971), S. 567–582.
Günther Müller, Die Bedeutung der Zeit in der Erzählkunst. In: G. M., Morphologische Poetik. Darmstadt 1968, S. 252.
Vgl. Hubert Ohl, Bild und Wirklichkeit. Studien zur Romankunst Raabes und Fontanes. Heidelberg 1968, S. 140ff.
Herman Meyer, Raum und Zeit in Wilhelm Raabes Erzählkunst. In: DVjs 27 (1953), S. 260.
G. Lukács, Deutsche Realisten, vgl. S. 12 f. E.Auerbach, Mimesis, vgl. S. 460ff. H. Mayer, Der deutsche Roman im 19. Jahrhundert. In: H. M., Dt. Lit. und Weltlifteratur. Berlin 1957, vgl. S. 268 ff. Roy Pascal, The German Novel. Studies. Manchester 1956, vgl. S. 178 ff.
Wolfgang Preisendanz, Humor als dichterische Einbildungskraft. Studien zur Erzählkunst des poetischen Realismus. München 1963.
Wolfgang Preisendanz, Voraussetzungen des poetischen Realismus in der deutschen Erzählkunst des 19. Jahrhunderts. In: Formkräfte der deutschen Dichtung. Vom Barock bis zur Gegenwart. Hrsg. v. H. Steffen. 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 204.
Walther Killy, Wirklichkeit und Kunstcharakter. Neun Romane des 19. Jahrhunderts. München 1963.
Friedrich Spielhagen, Beiträge zur Theorie und Technik des Romans. Faks. Druck der x.Aufl. von 1883. Göttingen 1967, S. 40 f.
Friedrich Spielhagen, Neue Beiträge zur Theorie und Technik der Epik und Dramatik. Leipzig 1898, S. 55.
Georg Lukács, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. 3. Aufl. Neuwied 1965, S. 35.
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Hillebrand, B. (1993). Dais 19. Jahrhundert: Der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft. In: Theorie des Romans. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03470-0_7
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