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Zusammenfassung

In Gellerts sittlich-humanem Mikrokosmos ist es gewiß das Ziel aller, “sich moralisch so weit zu vervollkommnen, daß sie tatsächlich selber wissen, und zwar jeder für sich, was gut ist und was böse”.1 Laut Koselleck liegt diesem sittlichen Autonomieanspruch privater Subjekte eine “Trennung von Moral und Politik” zugrunde, die sich zwangsläufig gegen den Staat wenden muß, indem die Moralität sich zum Utopismus aufschwingt, die “Aporie des Politischen überspringt” und, unter jahrzehntelanger hypokritischer Verschleierung ihrer politischen Intentionen, schließlich nicht nur die “aktuelle Politik”, sondern “die Politik selbst als ständige Aufgabe menschlichen Daseins” von innen “zermürbt”.2 Diese Auffassung beinhaltet ein Mißverständnis der ’privatisierten’ Moral selbst. Zwar ist nicht abzustreiten, daß dem unpolitischen, ganz ’menschlichen’ Gemeinschaftsidealismus der Schwedischen Gräfin eine Interpretation des politischen Gemeinwesens innewohnt, die gerade durch ihr äußerst wohlmeinendes Bild derselben von der politischen Wirklichkeit abweicht und insofern ein kritisches Potential darstellt. Ebensowenig kann aber übersehen werden, daß die Vorstellung einer im allgemeinen wohlgeordneten ständischen Gesellschaft, die allenfalls an mangelnder moralischer Verantwortlichkeit einzelner krankt, kritisch nur gegen Individuen wird, die mangelnder Pflichterfüllung beschuldigt werden können.

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Anmerkungen

  1. Zu diesem Komplex vgl. meinen Aufsatz: “Der ’empfindsame’ Lessing — kein bürgerlicher Revolutionär. Denkanstöße zu einer Neuinterpretation von Lessings Miß Sara Sampson”, DVjs 58 (1984), 369–390, bes. S. 385 ff.

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  2. “Utopie” nur noch “musterhafte Gedankenexperimente” gemeint sind: so die Definition von Gert Ueding: “Die Wahrheit lebt in der Täuschung fort. Historische Aspekte der Vor-Schein-Ästhetik”, in: ders. (Hrsg.): Literatur ist Utopie, Frankfurt/M. 1978 (= es 935), S. 81–102, Zit. S. 95.

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  3. Johann Michael von Loen: Der redliche Mann am Hofe; oder die Begebenheiten des Grafens von Rivera. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1742, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Karl Reichert, Stuttgart 1966 (= Deutsche Neudrucke. Reihe Texte des 18. Jahrhunderts).

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  4. Johann Heinrich Gottlob von Justi: Die Wirkungen und Folgen sowohl der wahren, als der falschen Staatskunst in der Geschichte des Psammitichus, Königes von Egypten und der damaligen Zeiten, 2 Bde., Frankfurt und Leipzig 1759.

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  5. Johann Bernhard Basedow: Agathokrator oder von der Erziehung künftiger Regenten nebst Anhang und Beylagen, Leipzig 1771.

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  6. Albrecht von Haller: Usong. Eine morgenländische Geschichte in vier Büchern, Göttingen und Bern 1771;

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  7. ders.: Fabius und Cato, ein Stück der Römischen Geschichte, Bern und Göttingen 1774.

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  8. Christoph Martin Wieland: Der goldne Spiegel. Für die Ausgabe letzter Hand, die 1794 in Leipzig erschien, überarbeitete Wieland den Roman und führte dabei vor allem den Schluß aus.

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  9. Christian Friedrich Sintenis: Theodor’s Glücklicher Morgen, 2 Bde, 2. Aufl. Frankfurt und Leipzig 1789. Der angeführten Gruppe von politischen Romanen wären noch die beiden 1790 erschienen Romane von Karl Friedrich Bahrdt hinzuzufügen. Ala Lama oder der König unter den Schäfern, auch ein goldner Spiegel (Frankfurt und Leipzig 1790) lehnt sich, wie der Autor schon in der Vorrede bekanntgibt, an Wielands Staatsroman an, während die Geschichte des Prinzen Yhakampol, lustig und zugleich erbaulich geschrieben von dem Magister Wromschewski, Adrianopel (d.i. Halle) 1790, eher in der Nachfolge von Hallers Usong steht. Friedrich Wilhelm von Meyerns dreibändigen Roman Dya-Na-Sore (Wien/Leipzig 1787–1791) wäre im Hinblick auf dessen schon deutlich ausgeprägten Nationalismus interessant;

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  10. er sprengt aber den hier angelegten Rahmen in sonst jeder Hinsicht. Die dort vorgetragenen Staatsvorstellungen sind in sich so uneinheitlich, daß mit gleichem Recht Arno Schmidt darin die Vorwegnahme des SS-Staats und Wolfgang Harich die Vorwegnahme der revolutionären Demokratie auffinden konnten. Arno Schmidt: “Wilhelm Friedrich von Meyern: Dya Na Sore. Blondeste der Bestien”, in: ders.: Das essayistische Werk zur deutschen Literatur in 4 Bänden, Sämtliche Nachtprogramme und Aufsätze, Bd. 2, Bargfeld 1988, S. 111–138;

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  11. Wolfgang Harich: Jean Pauls Revolutionsdichtung. Versuch einer Deutung seiner heroischen Romane, Berlin (DDR)/Reinbek 1974, S. 167 f.

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I. Loens Redlicher Mann am Hofe: Von der Notwendigkeit des Eingreifens in die Politik

  1. Ernst Beutler: “Goethes Ahne in Mörfelden”, in: ders.: Essays um Goethe, 5. Aufl. Bremen 1957 (= Slg. Dieterich 101), S. 18–26.

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  2. Zu Loens Biographie s. Siegfried Sieber: J. M. v. Loen, Goethes Großoheim. Sein Leben, sein Wirken und eine Auswahl aus seinen Schriften, Leipzig 1922.

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  3. Vgl. Leo Just: “Fénelons Wirkung in Deutschland. Umrisse und Beiträge”, in: Johannes Kraus/Joseph Calvet: Fénelon: Persönlichkeit und Werk, Baden-Baden 1953, S. 35–57.

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  4. Richard Alewyn: J. Beer. Studien zum Roman des 17. Jahrhunderts, Leipzig 1932;

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  5. Arnold Hirsch: Bürgertum und Barock im deutschen Roman. Zur Entstehungsgeschichte des bürgerlichen Weltbildes, Frankfurt/M. 1934;

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  6. Bernard de Mandeville: Die Bienenfabel oder: Private Laster, öffentliche Vorteile (1705), Frankfurt/M. 1968.

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  7. Paul Hazard: Die Krise des europäischen Geistes 1680–1715, Hamburg 1939, S. 341.

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  8. Vgl. auch Walter Euchner: “Versuch über Mandevilles Bienenfabel”, in: ders.: Egoismus und Gemeinwohl. Studien zur Geschichte der bürgerlichen Philosophie, Frankfurt/M. 1973, (= es 614);

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  9. Wolfgang Reinhard: “Vom italienischen Humanismus bis zum Vorabend der Französischen Revolution”, in: Hans Fenske/Dieter Mertens/Wolfgang Reinhard/Klaus Rosen: Geschichte der politischen Ideen. Von Homer bis zur Gegenwart, 2. verb. Aufl. Frankfurt/M. 1987, S. 242–378, hier S. 361 ff.

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  10. Wilhelm Voßkamp: Romantheorie. Von Martin Opitz bis Friedrich v. Blancken-burg, Stuttgart 1973, S. 186.

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  11. So auch Hermann Kurzke: “Die Demut des Aufklärers. ’Der redliche Mann am Hofe’ von Johann Michael von Loen (1740)”, Text & Kontext 13 (1985), 233–243, bes. S. 238. Loen selbst sah den sozialen Ort der Redlichkeit eher im Adel, dem er sie als notwendige, weil einzig standesgemäße Tugend zuschreibt.

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  12. Johann Michael von Loen: Der Adel (1743), repr. Nachdr. d. Ausg. Ulm 1752, Königstein/Ts. 1982, S. 267 f.

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  13. Mit ähnlichen Ausführungen bestreitet schon zehn Jahre früher Nicolas Faret, daß das Landleben die adäquate Existenzform des Redlichen sei. Nicolas Faret: L’honeste-homme ou l’Art de plaire la Court, Edition critique par M. Mayendie, Paris 1925, p.36ff. Allerdings ist für Faret die moralische Persönlichkeit noch sozial auf die hervorragende adlige Persönlichkeit beschränkt.

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  14. Friedrich Karl von Moser: Der Herr und der Diener, Frankfurt 1761, S. 157. Eine ähnliche Tendenz läßt sich dem Gegensatz zwischen Appiani und Marinelli in Lessings Emilia Galotti entnehmen. Die ersten Pläne zu dem 1772 vollendeten Drama faßte Lessing im Jahre 1757.

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  15. Hildegard Emmel: “Politisches Konzept als strukturbildendes Element der Romanfiktion. Von Loen und der Roman des 18. Jahrhunderts”, in: Wolfgang Paulsen (Hrsg.): Der deutsche Roman und seine historischen und politischen Bedingungen, Bern und München 1977, S. 147–157, bes. S. 147 f.

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  16. Vgl. Karl Reichert: “Utopie und Satire in J. M. von Loens Roman ’Der redliche Mann am Hofe’ (1740)”, GRM N.F. 15 (1965), 176–194. “Damit der Staat gedeihen kann, darf keines seiner Glieder krank oder untätig sein. Zunächst muß in den oberen Ständen Ordnung herrschen, da von ihnen die Wohlfahrt des Staates abhängt.” (S. 184).

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  17. im Sinne dieser Staatsziele erzwingt der Staat durch ’äußerliche Zucht’ diejenige Pflichterfüllung, welche die Moral aus inneren Gründen gebietet. Christian Wolff: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschafftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen… (1721), 4Aufl. Frankfurt und Leipzig 1736. Zu Aufbau und Argumentationsweise von Wolffs politischer Theorie s. Diethild Maria Meyring: Politische Weltweisheit. Studien zur deutschen politischen Philosophie des 18. Jahrhunderts, Diss. Münster 1964, S. 61–97;

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  18. Werner Frauendienst: “Christian Wolff als Staatsdenker”, Historische Studien, Heft 171, Berlin 1927;

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  19. Günter Namslau: “Rechtfertigung des Staates bei Christian Wolff”, Internationalrechtliche Abhandlungen, hrsg. v. Herbert Kraus, 10, Berlin 1932.

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  20. So die jüngste Machiavelli-Kritik von Frank Deppe: Niccolò Machiavelli. Zur Kritik der reinen Politik, Köln 1987;

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  21. ebenso, aber eher positiv wertend: Herfried Münkler: Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt/M. 1982. Vgl. auch Dolf Sternberger: Machiavellis ’Principe’ und der Begriff des Politischen. Sitzungsberichte der wissenschaftlichen Gesellschaft an der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/M., Bd. VII, Nr.2, Wiesbaden 1974, sowie Reinhold Zippelius: Geschichte der Staatsideen, München 1971, S. 82 f. Habermas bespricht Machiavellis Perspektive der “realpolitisch entzauberten […] Welt” im kontrastierenden Vergleich zu Morus’ Utopie: Jürgen Habermas: Theorie und Praxis, 4. Aufl. Frankfurt/M. 1971, S. 56. Gegen die moralisierende Kritik an Machiavelli hat Horkheimer gezeigt, daß dieser selbst durchaus über ein historisch bedingtes Ideal eines bonum commune verfügte. Max Horkheimer: Anfänge der bürgerlichen Geschichtsphilosophie, a.a.O.

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  22. “Bemerkenswert realitätsfreudiger Roman” und “panoramatischer Realismus” sind die Prädikate, die Schings für Loens Erzählweise findet. Hans-Jürgen Schings: “Der Staatsroman im Zeitalter der Aufklärung”, in: Helmut Koopmann (Hrsg.): Handbuch des deutschen Romans, Düsseldorf 1983, S. 151–169, Zit. S. 159.

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  23. Max Wieser: Der sentimentale Mensch. Gesehen aus der Welt holländischer und deutscher Mystiker im 18. Jahrhundert, Gotha/Stuttgart 1924, S. 186–218.

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  24. Hugo Friedrich: Abbé Prévost in Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Empfindsamkeit, Heidelberg 1929 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte N.F. 12), S. 86–94.

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  25. Naivität meint hier nicht das Stilmittel bzw. Stilideal, wie es sich vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zu Winckelmann und Schiller herausbildet (vgl. Claudia Herrn: Simplizität, Naivetät, Einfalt Studien zur ästhetischen Terminologie in Frankreich und Deutschland 1674–1771, Diss. Heidelberg 1974), sondern eher die durch keinen Zweifel getrübte Geradlinigkeit, mit der Loen sein Ideal als er-eignetes Geschehen episch präsentiert. Eher also im folgenden Sinn: “Es ist sonderbar, jung zu sein. Der eine träumt nur und bleibt in sich. Der Bessere handelt, schafft, schlägt um sich und geht nach außen. Aber wenn er gut handelt, hat er ebenfalls seinen Traum. Er setzt, was innen gewonnen ist, seine Wünsche, sein Geheimnis, naiv nach außen um, nach außen ein.” Ernst Bloch: Geist der Utopie, Gesamtausgabe Bd. 16, Frankfurt/M. 1971 (Faksimile d. Ausg. v. 1918), S. 55. Die Stelle findet sich am Anfang zu Blochs Ausführungen zum Don Quixote. Sie paßt auf den Grafen von Rivera, weil auch er sein moralisches Ideal “innen gewonnen” hat und, mit nicht mehr als diesem “Traum” ausgestattet, diesen “nach außen” umsetzt.

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  26. Klaus Uhlig: Hofkritik im England des Mittelalters und der Renaissance: Studien zu einem Gemeinplatz der europäischen Moralistik, Heidelberg 1975;

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  27. Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters, Tübingen 1982.

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  28. Karl Reichert: “Utopie und Satire”, a.a.O., S. 181. Diese Interpretation geht zurück auf Egon Cohn: Gesellschaftsideale und Gesellschaftsroman des 17. Jahrhunderts. Studien zur deutschen Bildungsgeschichte, Berlin 1929, Nachdr. Nendeln 1967, S. 212–224.

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  29. Max Weber: “Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus”, a.a.O. Vgl. auch das von Werner Sombart zur geistesgeschichtlichen Unterstützung von Webers Kategorie des Bürgerlichen zusammengetragene Material: Werner Sombart: Der Bourgeois. Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen, 2. Aufl. München und Leipzig 1920, S. 137 ff.

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  30. Carl Friedrich Bahrdt: Handbuch der Moral für den Bürgerstand, reprograph. Nachdr. Frankfurt/M. 1972. Das 1789 an mehreren Druckorten gleichzeitig erschienene Handbuch faßt unter die “erwerbenden Volksklassen” alle zum Gelderwerb produktiv Tätigen, vor allem aber die Kaufleute und Fabrikanten (S. 210).

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  31. Wilhelm Hennis: “Zum Problem der deutschen Staatsanschauung”, in: Hanns Hubert Hofmann: Die Entstehung des modernen souveränen Staats, Köln/Berlin 1967, S. 73–96,

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  32. Zit. S. 78. So auch Otto Brunner: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. verm. Aufl. Göttingen 1968, S. 336:

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  33. Helen Liebel hat darauf aufmerksam gemacht, daß auch die naturrechtliche Begründung der fürstlichen Macht im Prinzip nur eine neue “Erläuterung” der traditionellen Legitimation des Königtums darstellt. Helen Liebel: “Der aufgeklärte Absolutismus und die Gesellschaftskrise in Deutschland im 18. Jahrhundert”, in: Walther Hubatsch (Hrsg.): Absolutismus, Darmstadt 1973 (= Wege der Forschung Bd. 314), S. 488–544.

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  34. daß er nicht Forderungen auf Forderungen mache, Abgaben auf Abgaben häufe, sondern für das Vermögen der Unterthanen Achtung und Schonung beweise.” Johann Jacob Engel: Der Fürstenspiegel. Schriften, III.Band, Berlin 1802, S. 9 f. Man vergleiche damit den nicht viel später entstandenen Hessischen Landboten von Georg Büchner, in dem der junge Revolutionär die herrscherliche Gnade, den Untertanen die Existenzfristung zu gestatten, als Zynismus der Macht brandmarkt: “Dafür sitzen die Herren in Fräcken beisammen, und das Volk steht nackt und gebückt vor ihnen;

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  35. sie legen die Hände an seine Lenden und Schultern und rechnen aus, wie viel es noch tragen kann, und wenn sie barmherzig sind, so geschieht es nur, wie man Vieh schont, das man nicht so sehr angreifen will […]”. Georg Büchner: Der Hessische Landbote, zit. n. Gerhard Schaub: Georg Büchner: “Der hessische Landbote”. Texte, Materialien, Kommentar, München 1976 (= Reihe Hanser Literatur-Kommentare Bd. 1), S. 14.

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  36. Daß der Unterschichtenprotest bis weit ins 19. Jahrhundert hinein traditionelle Herrschaftslegitimationen als Titel der Kritik anführte, zeigt die Untersuchung von Arno Herzig: Unterschichtenprotest in Deutschland 1790–1870, Göttingen 1988 (= Kleine Vandenhoeck-Reihe Bd. 1534).

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II. Die politischen Romane Albrecht von Hallers: Das sittliche Subjekt als staatstragende und verfassunggebende Instanz

  1. Mit diesem von keinem Problembewußtsein getrübten affirmativen Verhältnis zur Ständegesellschaft befindet sich Haller auch noch ganz auf dem Boden der weltanschaulichen Prinzipien des frühen ’empfindsamen’ Humanismus, die an Gellerts Gräfin von G*** analysiert wurden, so daß eine Reihe von Interpreten ihn in die Nähe der Frühaufklärung rückte (vgl.Ulrich im Hof: “Albrecht v. Haller, Staat und Gesellschaft”, in: Albrecht v. Haller. Berner Symposion 1977. Sonderdruck aus den Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft, Bd. 1977, Basel o. J., S. 43–66, bes. S. 46;

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  2. dort weitere Angaben). Daß Geliert mit Person und Werk für die meisten von Hallers eigenen weltanschaulichen Prinzipien steht, hat dieser selbst in einer 1775 in den Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen (GGA) erschienen Rezension von Gellerts Sämmtlichen Schriften (Bd. I-X, 1769–1774) bekundet: “Hier ist bey Weidmann und Reich eine artige Auflage der sämmtlichen Werke des beliebten Christ. Fürchtegott Geliert herausgekommen, die zehn Bände ausmacht. Wir machen uns ein Vergnügen, die Auflage anzuzeigen, wenn es auch nur wäre, eine Gelegenheit zu haben, von einem Manne nochmahls zu sprechen, den wir Heben und ehren.” Die Rezension ist abgedruckt in Karl S. Guthke (Hrsg.): Hallers Literaturkritik, Tübingen 1970 (= Freies Deutsches Hochstift, Reihe der Schriften Bd. 21, Zit. S. 166). Guthke gibt ca. 300 von den über 1000 Rezensionen, die Haller zwischen 1746 und 1778 in den GGA publizierte.

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  3. Ich zitiere nach folgenden Ausgaben: Albrecht von Haller: Usong. Eine morgenländische Geschichte in vier Büchern, 4. verb. Aufl. Karlsruhe 1778 (im Text = U);

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  4. ders.: Alfred, König der Angelsachsen, Göttingen und Bern 1773 (im Text = A);

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  5. ders.: Fabius und Cato, ein Stück der Römischen Geschichte, Bern und Göttingen 1774 (im Text = C). Die verbesserte Auflage des Usong ist wichtig vor allem wegen der erweiterten Vorrede.

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  6. Vgl. Christoph Siegrist: Albrecht v. Haller, Stuttgart 1967 (= Slg. Metzler), S. 48 f.;

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  7. Christian Wagenknecht: “Haller der Dichter”, in: Albrecht v. Haller 1708–1777. Katalog der Ausstellung in Göttingen 12.12.1977 – 7.1.1978, Göttingen 1977, S. 31 f. Der Romanautor Haller blieb lange Zeit nur durch das Zitat aus dem Usong, das Goethe dem Götz als Motto voranstellte, im Gedächtnis der Nachwelt.

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  8. Guthke: Vorwort zu Hallers Literaturkritik, a.a.O., S. 8. Zu Hallers Literaturkritik s. auch Karl S. Guthke: Literarisches Leben im 18. Jahrhundert, Bern/München 1975, S. 333 f.

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  9. Vgl. Eric Wolf: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte (1939), 4. Aufl. Tübingen 1963, S. 371–374, 450 f.

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  10. Hans Maier: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (Polizeiwissenschaft). Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Wissenschaft in Deutschland, Neuwied/Berlin 1966 (= Politica Bd. 13). Peter Preu: Polizeibegriff und Staatszwecklehre. Die Entwicklung des Polizeibegriffs durch die Rechts- und Staatswissenschaft des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1983.

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  11. vgl. Irene Monreal-Wickert: Die Sprachforschung der Aufklärung im Spiegel der großen französischen Enzyklopädie, Tübingen 1977.) Das Zurückgehen auf einen vor dem fraglichen Gegenstand und ohne ihn schon gegebenen Zustand, durch den Staat, Sprache etc. erst produziert werden, führt schon in der Logik dieser Methode zur Berufung auf die Gegebenheiten jenes Zustands und damit zu einer eher ’empirischen’, jedenfalls ’irdisch’-immanenten Argumentation.

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  12. Zu den wichtigsten und immer noch anregenden Arbeiten, die den theoretischen Schein der Überparteilichkeit dieser Theorien gegenüber den zeitgenössischen politischen Konflikten nicht nur per Verdacht durchbrechen, sondern theoretisch auflösen, gehört die Untersuchung von C. B. MacPherson: The Political Theory of Possessive Individualism. Hobbes to Locke, Oxford 1962. Vgl. auch Wilfried Röhrig: Sozialvertrag und bürgerliche Emanzipation. Von Hobbes bis Hegel, 2. Aufl. Darmstadt 1983 (= EdF 13).

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  13. Johann Christoph Adelung: Versuch einer Geschichte der Cultur des menschlichen Geschlechts, 1. Aufl. Leipzig 1782, unpaginierte Vorrede sowie S. 35, 42.

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  14. Von allen vertragstheoretischen Schriften finden sich nur in Rousseaus Diskurs über die Ungleichheit Formulierungen, die einer grundsätzlichen Ablehnung jedes Staats das Wort zu reden scheinen. So kommentiert er den Akt der ursprünglichen Vereinigung zu einer politisch regierten Assoziation wie folgt: “Dies war, oder muß der Ursprung der Gesellschaft und der Gesetze gewesen sein, die dem Schwachen neue Fesseln und dem Reichen neue Kräfte gaben, die natürliche Freiheit unwiederbringlich zerstörten, das Gesetz des Eigentums und der Ungleichheit für immer fixierten, aus einer geschickten Usurpation ein unwiderrufliches Recht machten und um des Profites einiger Ehrgeiziger willen fortan das ganze Menschengeschlecht der Arbeit, der Knechtschaft und dem Elend unterwarfen.” Aber der anarchistische Schein trügt. Die Anklage gegen die Verewigung des Eigentumsprinzips zielt nicht auf seine Abschaffung, sondern auf die Notwendigkeit seiner politischen Modifikation, und Rousseaus Weigerung, die Staatsgründung für einen Segen anzusehen, unterstreicht nur, wie unabweisbar und irreversibel der Zwang zu ihr war. Jean-Jacques Rousseau: Diskurs über die Ungleichheit/Discours sur l’inégalité. Kritische Ausgabe des integralen Textes, hrsg. v. Heinrich Meier, Paderborn 1984, S. 219.

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  15. Zu diesem Diskurs vgl. Wolfgang Ritzel: Jean Jacques Rousseau, 2. erw. u. Überarb. Aufl. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1971, bes. S. 90–95;

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  16. mehr noch an der Genese des Staats interessiert ist Iring Fetscher: Rousseaus politische Philosophie, Zur Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs, 3. überab. Aufl. Frankfurt/M. 1975.

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  17. Robert Spaemann: Rousseau — Bürger ohne Vaterland, München 1980, S. 51.

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  18. Thomas Lange: Idyllische und exotische Sehnsucht. Formen bürgerlicher Nostalgie in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, Kronberg/Ts. 1976, S. 185–250,

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  19. sowie Urs Bitterli: Die ’Wilden’ und die ’Zivilisierten’. Die europäischüberseeische Begegnung, München 1976.

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  20. Der historisch-gesellschaftliche Kontext des Interesses am Wilden steht im Mittelpunkt der Untersuchungen von George W. Stocking Jr.: “Die Geschichtlichkeit der Wilden und die Geschichte der Ethnologie”, Geschichte und Gesellschaft 4 (1978), H. 4: Die Wissenschaften und ihre Geschichte, hrsg. v. Wolf Lepenies, S. 520–535,

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  21. und von Wolf Lepenies: “Naturgeschichte und Anthropologie im 18. Jahrhundert”, in: Bernhard Fabian/Wilhelm Schmidt-Biggemann/Rolf Vierhaus (Hrsg.): Deutschlands kulturelle Entfaltung 1763–1790. Die Neubestimmung des Menschen, München 1980 (= Studien zum 18. Jahrhundert Bd. 2/3), S. 211–226, bes. S. 222.

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  22. Christoph Siegrist: Albrecht v. Haller, a.a.O., S. 51, billigt dem dritten Roman mehr Geschlossenheit als dem Alfred und zudem “rhetorisches Pathos wie kräftiges Engagement” zu. Damit ist allerdings zu wenig von Hallers Gestaltungsabsicht aufgegriffen, wie umgekehrt Max Widmann übertreibt, wenn er Cato mit “den fünf Akten eines historischen Dramas in ihrer harmonischen Gliederung und Aufeinanderfolge” vergleicht. Max Widmann: Albrecht von Hallers Staatsromane und Hallers Bedeutung als politischer Schriftsteller, Biel 1894, S. 87.

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  23. Dietrich Naumann: “Zwischen Reform und Bewahrung. Zum historischen Standpunkt der Staatsromane Albrecht v. Hallers”, in: Hans Joachim Piechotta (Hrsg.): Reise und Utopie. Zur Literatur der Spätaufklärung, Frankfurt/M. 1976 (= es 766), S. 222–282, Zit. S. 235.

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  24. Schon zur Zeit seiner dichterischen Anfänge schloß sich Haller der “Phantasiekritik” der aufklärerischen Poetik, vor allem Bodmers und Breitingers an. Vgl. Hans Peter Herrmann: Naturnachahmung und Einbildungskraft. Zur Entwicklung der deutschen Poetik von 1670 bis 1740, Bad Homburg/Berlin/Zürich 1970, S. 204–223, bes. S. 206.

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  25. Vgl. Wilhelm Roscher: Geschichte der deutschen National-Ökonomik in Deutschland, München 1874;

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  26. August Oncken: Geschichte der Nationalökonomie, Leipzig 1902;

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  27. Kurt Braunreuther: “Über die Bedeutung der physiokratischen Bewegung in Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts”, Wissenschaftl. Zeitschr. der Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschafts- und sprachwissenschaftl. Reihe V (1955/56) Nr.1, 15–64.

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  28. Vgl. Wilhelm Treue: Wirtschaft, Gesellschaft und Technik vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, 9. neubearb. Aufl. Stuttgart 1970 (= Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte Bd. 12), S. 167–174.

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  29. Zum umfangreichen Werk Schlettweins vgl. Alfred Krebs: J. A. Schlettwein, der ’Deutsche Hauptphysiokrat’, Leipzig 1909.

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  30. Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der absolutistischen Staaten ist charakterisiert durch den Wechsel von bedingter Rücksichtnahme des Staats auf die niederen Stände — Bürgertum, Handwerk und Bauern — und die in diesen Ständen praktisch geltenden ökonomischen Notwendigkeiten einerseits und andererseits der vollkommenen Rücksichtslosigkeit, womit Einkünfte, die vom Standpunkt dieser Notwendigkeiten aus keineswegs als Überschüsse gelten konnten, durch politische Gewalt zu an den Staat abzuführenden Überschüssen definiert wurden. “Die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung bleibt unter dem Absolutismus notwendigerweise ein sekundärer Reflex der primären machtpolitischen Ziele des Monarchen. Sie bleibt bloßes Mittel, das für die zumeist höchst aufwendigen militärischen und repräsentativen Bedürfnisse mit Regelmäßigkeit ohne Rücksicht auf seine eigenen Gesetzlichkeiten überfordert wird.” (Martin Rudolf Vogel: Erziehung im Gesellschaftssystem, München 1970, S. 89.) — Die bürgerlichen Wirtschaftstheoretiker waren nicht in dem Sinne ’bürgerlich’, daß sie gegen das wirtschaftspolitische Wechselbad von Förderung und ruinöser Benutzung das private Interesse von Manufakturbesitzern oder kapitalistischen Pächtern geltendgemacht hätten. Merkantilisten, Physiokraten wie der “Klassiker” Adam Smith verdienen das Prädikat, politische Ökonomen zu sein, indem sie stets den Reichtum der Nationen betrachten. Es war gerade dieser Standpunkt, der ihnen die Überlegenheit der bürgerlichen Produktionsweise über die ständisch organisierte Wirtschaft vor Augen führte, weil nur jene die beständige Produktion von Überschüssen zum Grundgesetz ihrer Reproduktion hat. Sie wurden bürgerliche Theoretiker, insofern sie die Gesetze und Mittel dieser Produktionsweise als die absoluten Notwendigkeiten allen Wirtschaftens zu erläutern suchten. Historischmaterialistische Geschichtsschreiber wie Braunreuther sind an dieser Stelle, bei aller historischen Detailkenntnis, stets hilflos, weil sie die bürgerliche Nationalökonomie als Widerspiegelung eines vorweg feststehenden Aufstiegs des Bürgertums interpretieren. Widerspiegelungstheoretisch ist nämlich gar nicht zu erklären, weshalb in aller politischen Ökonomie sogleich die Prinzipien der bürgerlichen Wirtschaftsweise in den Blick geraten — es ist dies eine andere Perspektive als das einzelne betriebswirtschaftliche Interesse eines Manufakturbesitzers oder Großpächters — oder weshalb die Physiokraten einmal zu Beratern der absolutistischen Wirtschaftspolitik bestellt und ein andermal als subversive Geister beargwöhnt wurden.

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  31. dann fällt ins Auge, daß der hohe Abstraktionsgrad des moralischen Ideals diese Romane geradezu in eine “Gegenposition zur realitäts-verändernden Utopie” eines Morus und Bacon versetzt: so Wolfgang Biesterfeld: Die literarische Utopie, Stuttgart 1974 (= Slg. Metzler 127), S. 50. Mit gleichem Recht kann man die exemplarischen Konkretionen des Ideals in ihrer Differenz zur zeitgenössischen Realität betrachten, darin ein kritisches Verhältnis erblicken und Hallers Staatsromane als “verkappte Zeitromane” definieren: so Christoph Siegrist (a.a.O., S. 46). Daran wird nur deutlich, daß die Alternativkategorien “Utopie” oder “Zeitroman” auf die Romane nur bedingt anwendbar sind. Haller ging es eben weder um das Postulat einer kritischen, aber ortlosen Idealität — auch nicht um die gesellschaftsimmanente Perspektive einer Umwälzung zum Besseren — noch um detaillierte Zeitkritik, sondern eher um ein politikmethodisches Ideal, vor dem die Unterscheidung von abstrakt und konkret sich einigermaßen hilflos ausnimmt.

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  32. Vgl. Eric J. Hobsbawm: Industrie und Empire I. Britische Wirtschaftsgeschichte seit 1750, Frankfurt/M. 1969 (= es 315), S. 21–32. Dort führt Hobsbawm den Leser mit einer zunächst topographischen Beschreibung von Landschaft, Städten, landwirtschaftlichen und industriellen Räumen allmählich an die Erörterung der sozialhistorischen Zustände zur Mitte des 18. Jahrhunderts heran. Das so entstehende Bild ist mit der Darstellung des Alfred nicht zu verwechseln.

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  33. Jürgen Habermas: “Naturrecht und Revolution”, in: Theorie und Praxis, 4., durchges. u. neu eingel. Aufl. Frankfurt 1971, S. 89–127.

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  34. Zur Montesquieu-Rezeption vgl. Rudolf Vierhaus: “Montesquieu in Deutschland. Zur Geschichte seiner Wirkung als politischer Schriftsteller im 18. Jahrhundert”, in: Collegium Philosophicum, Basel/Stuttgart 1965, S. 403–437;

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  35. Fritz Schalk: Studien zur französischen Aufklärung, München 1964.

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  36. Daß es den politisch reflektierenden Intellektuellen generell so gut wie gar nicht gelang, den Gedanken einer vernünftigen Staatsverfassung und des Rechtsstaats mit dem ökonomischen wie dem politischen Begriff der individuellen Freiheit zu verbinden, zeigen die von Z. Batscha und J. Garber zusammengestellten Texte. Zwi Batscha/Jörg Garber (Hrsg.): Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft. Politischsoziale Theorien im Deutschland der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1981.

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III. C. M. Wielands Goldner Spiegel: Von der politischen Aufklärung zur ästhetischen Freiheit des politisierten Bürgers

  1. Oskar Vogt: “Der goldne Spiegel” und Wielands politische Ansichten, Berlin 1904, repr. Nachdr. Hildesheim 1978, S. 6. Zu Wielands Verhältnis zu Haller vgl. S. 27 f.

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  2. “Ce texte n’apprend rien de nouveau; il rappelle et précise […]” Albert Fuchs: Les apports Français dans l’oeuvre de Wieland de 1772 à 1789, Paris 1934, p. 390.

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  3. Soweit nichts anderes angemerkt, zitiere ich Wieland nach der Ausgabe letzter Hand: C. M. Wielands sämmtliche Werke, Leipzig 1794, Hamburger Reprintausgabe, Hamburg 1984. Der Goldne Spiegel nimmt den sechsten und siebenten Band ein. Zit. Bd. 6, S. 31. Zitatnachweise erfolgen künftig in () hn Text. I = erster Teil des Romans (Bd. 6), II = zweiter Teil (Bd. 7);

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  4. sie wurde schon immer bemerkt und seit Sengles Wiederentdeckung Wielands diesem des öfteren zum Vorwurf gemacht (am prononciertesten wohl von Bernd Weyergraf: Der skeptische Bürger. Wielands Schriften zur französischen Revolution, Stuttgart 1972). ’Parteinahme’ ist allerdings nicht so zu verstehen, als hätte Wieland aus vorweg gefaßter Sympathie für den Absolutismus und aus bewußter Verklärungsabsicht das Ideal eines durch Souveränität zur Durchsetzung eines sittlichen Gemeinwesens befähigten Staats ersonnen. Es verhält sich umgekehrt: Vom Standpunkt dieses Ideals aus gerät der existente absolute Staat als mögliches Mittel seiner Realisierung in den Blick. Das Ideal selbst ist ’systemneutral’. Anders ist auch Wielands jahrelang durchgehaltene partielle Sympathie für die Französische Revolution nicht zu erklären.

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  5. Laut Sengle (Wieland, Stuttgart 1949, S. 260 f.) schritt deshalb die Mainzer Zensur gegen die erste Fassung des Romans ein. Starnes hingegen berichtet nur von einer “Auseinandersetzung mit der Mainzer Regierung wegen zu starker Auslassungen gegen die Religion”. Thomas C. Starnes: Christoph Martin Wieland. Leben und Werk. Aus zeitgenössischen Quellen chronologisch dargestellt, 3 Bde., Sigmaringen 1987, Bd. 1, S. 422.

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  6. und eben darum, weil der große Haufe der Sterblichen als unwürdig anzusehen ist, und sich nicht selbst zu regieren weiß, muß er dieses Amt einer gesetzgebenden Macht überlassen, welche immer das Ganze übersehen, und ihren Untergebenen, mit jeder merklichen Veränderung ihrer Umstände, auch die darnach abgemessene Verhaltungsregeln vorschreiben soll.” (I,72). Vgl. auch Vogt, a.a.O., S. 38–40, und Jürgen Jacobs: Wielands Romane, Bern und München 1969, S. 74.

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  7. Zum Gedanken des Luxus bei Wieland vgl. das Nachwort von Herbert Naumann (Hrsg.): Der goldne Spiegel und andere politische Dichtungen, München 1979, S. 869 ff. In Fragen des materiellen Überflusses liberaler als Loen und Haller, steht Wieland dennoch keinesfalls auf dem Standpunkt des ökonomischen Theoretikers, der das Wohl aller durch die Freisetzung des individuellen Materialismus der Wirtschaftssubjekte und ihre dadurch induzierte ökonomische Tätigkeit am besten gewährleistet sieht. So etwa Johann August Schlettweins Proklamation: “So besteht dann die ganze Kunst, die Menschen in dieser Welt glücklich zu machen, darinne, daß man die Menge der genießbaren Materialien unaufhörlich vergrössere, und jedem auch an dem Genuß derselbigen seinen Antheil so weit versichere, daß er haben kann, alles was er durch seine eigene Fähigkeit und Krafft, ohne seinen Mitmenschen zu dem Seinigen zu stören, sich zu verschaffen im Stande ist.”

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  8. Johann August Schlettwein: Grundfeste der Staaten oder die politische Ökonomie, Gießen 1779, S. 4 f.

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  9. Lessing sieht den Ausweg aus diesem Dilemma sogleich in einer vorpolitischen ästhetisch-sittlichen Beeinflussung der Menschen, wobei er die Kunst stärker wirkungsästhetisch faßt als Wieland. Gotthold Ephraim Lessing: Ernst und Falk. Gespräche für Freymäurer (1778), in: ders.: Sämtliche Schriften, hrsg. v. Karl Lachmann, 3.Aufl. besorgt von Franz Duncker, Bd. 13, Leipzig 1897, S. 357.

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  10. Oskar Walzel: “Shaftesbury und das deutsche Geistesleben des 18. Jahrhunderts”, GRM 1 (1909), 416–437;

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  11. Herbert Grudzinski: Shaftesburys Einfluß auf Christoph Martin Wieland, Stuttgart 1913 (= Breslauer Beiträge zur Literaturgeschichte N.F. Heft 34);

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  12. Christian Friedrich Weiser: Shaftesbury und das deutsche Geistesleben, Leipzig und Berlin 1916 (repr. Nachdr. Darmstadt 1969);

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  13. Leo Stettner: Das philosophische System Shaftesburys und Wielands Agathon, Halle 1929 (= Bausteine zur Geschichte der deutschen Literatur 18);

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  14. William E. Alderman: “Shaftesbury and the Doctrine of Moral Sense in the Eighteenth Century”, PMLA 46 (1931), 1087–1094;

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  15. Manfred Dick: “Wandlungen des Menschenbildes beim jungen Wieland. ’Araspes und Panthea’ und Shaftesburys ‘Soliloquy’“, Jb. d. dt. Schüler-Gesellschaft 16 (1972), 145–175;

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  16. John A. McCarthy: “Shaftesbury and Wieland. The Question of Enthusiasm”, Studies in Eighteenth Century-Culture 6 (1977), 79–95.

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  17. Explizite Kritik an Rousseaus Theorie leistet Wieland in den Aufsätzen “Über die von J. J. Rousseau vorgeschlagenen Versuche, den wahren Stand der Natur des Menschen zu entdecken” (1770) und “Betrachtungen über J. J. Rousseaus ursprünglichen Zustand des Menschen” (1770), vor allem aber in den von ihm selbst als zentral angesehenen “Beyträgen zur Geheimen Geschichte des menschlichen Verstandes und Herzens” (1770/77). Gegen Rousseaus Ursprungstheorie greift Wieland vor allem auf die seit Aristoteles zum Topos gewordene Auffassung von der natürlichen Geselligkeit des Menschen zurück. Wer diesen Einwand allerdings als Indiz absolut konträrer Positionen auffaßt, der muß nicht nur die inhaltlichen Anlehnungen übersehen, sondern darüberhinaus Wielands persönlicher Sympathie für Rousseau verständnislos gegenüberstehen. So Karin S toll: Christoph Martin Wieland. Journalistik und Kritik. Bedingungen und Maßstab politischen und ästhetischen Raisonnements im ’Teutschen Merkur’ vor der Französischen Revolution, Bonn 1978 (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft Bd. 269).

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  18. Als Zeugnis dafür, daß Wieland politische Herrschaft nicht als notwendiges Übel und insofern als legitimationsbedürftige Einrichtung betrachtet, sondern als ius divinum uneingeschränkt bejaht habe, wurde schon von F. H. Jacobi, aber auch von späteren Interpreten sein Aufsatz “Ueber das göttliche Recht der Obrigkeit” (1777) herangezogen. Dagegen beschwerte sich Wieland schon gegenüber seinen Zeitgenossen, daß diese die Ironie seiner dort vorgetragenen Darlegungen nicht verstanden hätten. Vgl. Wolfram Buddecke: C. M. Wielands Entwicklungsbegriff und die Geschichte des Agathon, Göttingen 1966 (= Palaestra 235), S. 148 f. Immer noch vollkommen übersehen wird diese Ironie von Georg Lenz: Deutsches Staatsdenken im 18. Jahrhundert, Neuwied und Berlin 1965 (= Politica Bd. 23), S.134f.

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  19. Der Horizont der vorhandenen “Gesellschaftstheorie” ist umschrieben mit der Rezeption der naturrechtlichen Überlegungen von Grotius und Pufendorf im philosophischen Werk Christian Wolffs, Ludwig Philipp Thümmigs und anderer “Populärphilosophen”. Wie Bauer/Matis gezeigt haben, befreien sich diese naturrechtlichen Auffassungen kaum aus der Abhängigkeit von christlich-scholastischen Gemeinwohlvorstellungen, bewegen sich also noch durchaus im Rahmen der metaphysisch fundierten moralischen Selbstgewißheit. (Leonhard Bauer/Herbert Matis: Geburt der Neuzeit. Vom Feudalsystem zur Marktgesellschaff, München 1988, S. 166 ff.) Das bestätigen auch die Darlegungen von Diethild Maria Meyring, a.a.O., S. 54 f., 74 f. Auch Leibnizens politische Überlegungen bilden hier keine Ausnahme.

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  20. Vgl. Werner Schneiders: “Gottesreich und gelehrte Gesellschaft. Zwei politische Modelle bei G. W. Leibniz”, in: Der Akademiegedanke im 17. und 18. Jahrhundert, hrsg. v. Fritz Hartmann und Rudolf Vierhaus, Bremen und Wolfenbüttel 1977 (= Wolfenbütteler Forschungen Bd. 3), S. 47–62. Grundsätzlich ist festzustellen, daß auf der Grundlage der gesellschaftstheoretischen Naivität nicht die politisch gewendete Philosophie und nicht die akademische Naturrechtslehre, sondern der politische Roman die größte Kreativität bei der Entfaltung und Konkretisierung derjenigen auf die Politik bezogenen Maximen an den Tag legte, die dem frühaufklärerischen Humanismus immanent sind.

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  21. Wenn Wieland in Zusammenhängen wie demjenigen, der hier zur Rede steht, von “dem Menschen” und seiner “Natur” spricht, dann meint er nicht das Rechtssubjekt des Naturrechts, sondern das Ensemble von Fähigkeiten und Kräften, als welches sich das Individuum wie die menschliche Gattung in anthropologischer Hinsicht darstellt. Er argumentiert damit im Horizont der zu seiner Zeit in statu nascendi befindlichen modernen Anthropologie, deren Entstehungsund Entfaltungsprozeß Moravia nachgezeichnet hat (vgl. Sergio Moravia: Beobachtende Vernunft. Philosophie und Anthropologie in der Aufklärung (1970), Frankfurt/Berlin/Wien 1977). Wieland entwickelt den anthropologischen Grundgedanken zu einer Lehre der subjektiven Entwicklung, die eine Reihe wichtiger psychologischer Implikationen aufweist. Seiner Anthropologie soll an dieser Stelle aber noch nicht nachgegangen werden, weil sie die Sphäre des Politischen überschreitet. Zur Sprache kommen muß sie im Zusammenhang mit den Schlüssen, die er aus seinem politischen Weltbild zieht;

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  22. James A. McNeely: “Historical Relativism in Wieland’s Concept of the Ideal State”, MLQ 22 (1961), 269–282. Auch Naumann (Nachwort, a.a.O., S. 873 f.) wendet sich gegen Sengles Auffassung, Wieland habe unter dem Eindruck der Französischen Revolution die optimistische Tendenz des Romans in eine pessimistische verkehrt (a.a.O., S. 267).

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  23. so Hans Carl Finsen: Das Werden des deutschen Staatsbürgers. Studien zur bürgerlichen Ideologie unter dem Absolutismus in der zweiten Hälfte des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Kopenhagen/München 1983 (= Text & Kontext Sonderreihe Bd. 17). Finsen sieht, daß in Deutschland das Interesse am ’guten Staat’ seinen Ausgang nicht von den politisch-ökonomischen Interessen des Bürgertums, sondern von der Hypostasierung eines theoretischmoralischen Standpunkts nimmt;

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  24. soweit geht er konform mit Rudolf Vierhaus: “‘Patriotismus’- Begriff und Realität einer moralisch-politischen Haltung”, in: ders. (Hrsg.): Deutsche patriotische und gemeinnützige Gesellschaften, München 1980 (= Wolfenbütteler Forschungen Bd. 8), S. 11–27. Über Vierhaus und die vorhegende Sozialgeschichtsschreibung geht Finsen hinaus, indem er mit großer Deutlichkeit herausarbeitet, wie jene moralisch-politische Haltung den Gesichtspunkt der Ordnung dem des Interesses prinzipiell überordnet. Wenn er aber daraus folgert, daß in Deutschland Staatsbürgerbewußtsein von Anfang an mit Untertanenbewußtsein identisch sei, so übersieht er das kritische Element des theoretisch-allgemeinen Standpunkts und kommt dazu, Unterordnung nicht mehr als begründete, sondern als selber begründenden Wert mißzuverstehen. Die folgenden Ausführungen verstehen sich auch als Versuch einer Richtigstellung dieser Auffassung, die im einzelnen, vor allem in der Perspektive auf das 19. Jahrhundert, mit bemerkenswerten Einsichten aufwarten kann.

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  25. Diese Auffassung gibt auch den grundlegenden Einfall für den Schluß des Agathon ab: Sobald Agathon davon abläßt, seine ’Lieblingsideen’ in der Realität durchsetzen zu wollen, findet er die tarentinische Idylle des Archytas und durch bescheidene Einordnung in sie ein persönliches Glück, das in den beiden ersten Fassungen die Möglichkeit eines künftigen tugendhaften Liebesverhältnisses mit der geläuterten Danae nicht ausschließt. Die dritte Fassung des Schlusses, 1793/94 kurz vor der Umarbeitung des Goldnen Spiegels geschrieben, verstärkt die Tendenz zu politischer Selbstbescheidung — auf einer langen Reise durch die griechische Welt spielt er den “bloßen Zuschauer” und wirkt danach in Tarent “im Kleinen” — und verlängert sie in die persönlich-erotische Verzichtshaltung einer Art heiliger Familie um das Ehepaar Kritolaos und Psyche. Die Fassungen von 1766 und 1767 sind der Agathon -Ausgabe des Hanserverlags zugrundegelegt: Christoph Martin Wieland: Werke, Bd. 1, hrsg. v. Fritz Martini u. Hans Werner Seiffert, München 1964. Die letzte Fassung des Romans findet sich in Sämmtliche Werke, a.a.O., Bd. 1–3;

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  26. ein Legitimationsdruck, dem die politischen Moralisten laut Förster deshalb nur schwer begegnen konnten, weil die alten Orientierungen “brüchig geworden” und neue “in dem sich aus verschiedenen Traditionen rekrutierenden und sozial inhomogenen Bürgertum noch nicht auszumachen” waren, “so daß auf einen hinreichenden Bestand von kulturellen Selbstverständlichkeiten schwerlich zurückgegriffen werden konnte”. Der von Förster ins Feld geführte “Legitimationsdruck” trifft vielleicht einen objektiven Tatbestand, aber nicht das Selbstbewußtsein der moralisch-politischen Position vor Wieland. An Loen hat sich gezeigt, daß die alten Orientierungen keineswegs als so brüchig empfunden wurden, um einer Umdeutung zu entgehen. Wenn Förster die Ohnmacht der politisierten Moral darauf zurückführt, daß diese nicht die Ideologie eines mächtigen Interesses war, dann erklärt er die Ohnmacht mit der Ohnmacht und übersieht dabei den eigentlichen Klärungsbedarf, nämlich den Bruch in der Interpretation der Ohnmacht: Vor Wieland gilt sie als Grund, an der Vernunft der Praxis zu zweifeln, und seit Wieland als Grund, die Praktikabilität des Vernunftideals infrage zu stellen. Der Legitimationsdruck, den die politisierte Sittlichkeit tatsächlich verspürt, ist derjenige vor sich selbst. Jürgen Förster: “Empfindsamkeit und Rationalität. Erinnernde Vergegenwärtigungen aus kultursoziologischer und literarhistorischer Perspektive”, Wirkendes Wort 36 (1986), 34–50, 104–120, Zit. S. 38;

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  27. Jochen Schulte-Sasse: “Das Konzept bürgerlich-Uterarischer Öffentlichkeit und die historischen Gründe seines Zerfalls”, in: Christa Bürger u.a. (Hrsg.): Aufklärung und literarische Öffentlichkeit, Frankfurt/M. 1980 (= es 1040), S. 83–115;

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  28. Vgl. Karin Stoll, a.a.O. Eine neben Stoll immer noch aufschlußreiche Darstellung bietet Hans Wahl: Geschichte des teutschen Merkur. Ein Beitrag zur Geschichte des Journalismus im achtzehnten Jahrhundert, Berlin 1914 (= Palaestra CXXVII). Der Teutsche Merkur erschien seit 1773;

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  29. Dieser umfassende theoretische Zuständigkeitsanspruch führt laut Sengle dazu, daß der Teutsche Merkur zu einem “Allerweltsorgan” wird (a.a.O., S. 415). Dieser Abqualifizierung widerspricht Hans Werner Seiffert in: Christoph Martin Wieland: Ausgewählte Prosa aus dem Teutschen Merkur, hrsg. v. Hans Werner Seiffert, Marbach 1963, S. 158.

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  30. Mit gleicher Tendenz wie Seiffert äußert sich Heinrich Vormweg: “Ein deutscher Aufklärer (Christoph Martin Wieland)”, in: ders.: Das Elend der Aufklärung. Über ein Dilemma in Deutschland, Darmstadt und Neuwied 1984 (= Slg. Luchterhand 524), S. 119–131, bes. S. 126 f.

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  31. Kurt von Raumer: “Absoluter Staat, korporative Libertät, persönliche Freiheit”, HZ (1957), 55–96;

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  32. du sollst dich keines fremden Eigenthums bemächtigen/ kan bey dem ersten lange so wirksam nicht seyn, als bey dem andern, ihn von Ungerechtigkeiten abzuhalten: weil bey jenem augenscheinlich weit mehrere Ausnahmen davon statt finden, und es in seiner Lage ihm allein überlassen bleibt zu beurtheilen, ob der Fall der Ausnahme vorhanden sey.” Christian Garve: Gesammelte Werke, hrsg. v. Kurt Wölfel, zweite Abteilung: Selbständig erschienene Schriften, Bd. VI, Hildesheim/Zürich/New York 1987, S. 3, 10.

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  33. Bei der Untersuchung von Wielands Verhältnis zum Sturm und Drang kommt Hans-Georg Werner zu einem analogen Resultat: Wieland wollte nicht nur “der Flamme allen Eiferertums den Sauerstoff der Illusion entziehen”, er “stellte darüber hinaus auch jeden sozialen Unternehmungsgeist in Frage, der seine Entwürfe in eine vorerst nicht zu kalkulierende Zukunft projizierte”, verwies solchen “Unternehmungsgeist” also auf das gegenwärtig Gültige. Hans-Georg Werner: “Literatur für die ‘policierte’ Gesellschaft. Über Wielands Konzept bei der Herausgabe der ersten Jahrgänge des ‘Teutschen Merkur’“, in: Wieland-Kolloqium Halberstadt 1983, hrsg. v. Thomas Höhle, Halle (Saale) 1985, S. 61–84, Zit.S. 65 f.

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  34. Zum Unterschied zwischen dem Räsonieren des Teutschen Merkur und der anderen gleichgearteten publizistischen Organe zum Moralisieren der frühaufklärerischen moralischen Zeitschriften vgl. Wolfgang Martens: “Bürgerlichkeit in der frühen Aufklärung”, in: Franklin Kopitzsch (Hrsg.): Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum in Deutschland. Zwölf Aufsätze, München 1976, S. 347–363.

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  35. Vogt irrt, wenn er annimmt, daß Wieland den Standpunkt des modernen Staatsbürgers erst nach 1789 entwickelt. Er ist schon im Goldnen Spiegel vollständig entfaltet, und viele Elemente davon finden sich bereits im Agathon. Vgl. Vogt, a.a.O., S. 60. Einiges spricht dafür, daß Wieland auch das Wort “Staatsbürger” in den deutschen Wortschatz eingeführt hat. Vgl. Wilhelm Feldmann: “Modewörter des 18. Jahrhunderts”, Zs. für dt. Wortforschung 6 (1904/05), 101–118, 299–353, Stichwort “Staatsbürger” (S. 339 f.).

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  36. Von Riedels zahlreichen begriffsgeschichtlichen Arbeiten, die hier einschlägig sind, seien nur zwei Artikel angeführt: Wolfgang Riedel: “Bürger, Staatsbürger, Bürgertum”, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschiandy Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 672–725;

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  37. ders.: “Bürgerlichkeit und Humanität”, in: Rudolf Vierhaus (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im Zeitalter der Aufklärung, Heidelberg 1981, S. 13–34;

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  38. Paul L. Weihnacht: “‘Staatsbürger’. Zur Geschichte und Kritik eines politischen Begriffs”, Der Staat 8 (1969), 41–63.

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  39. Schon Heinrich v. Treitschke hat bemerkt: “Wieland ist der einzige unter unseren Klassikern, der den Wendungen der Tagespolitik mit reger Teilnahme folgte.” Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. II, Leipzig 1979, S. 404. Walter Benjamin bemerkt beides, den unoriginellen, kompendienhaften Charakter der Maßstäbe von Wielands “Zeitkritik” wie die herausragende Intensität seines politischen Interesses. Walter Benjamin: “Christoph Martin Wieland. Zum zweihundertsten Jahrestag seiner Geburt”, in: Ders.: Schriften, Bd. II, Frankfurt/M. 1955, S. 330–342, Zitat S. 337.

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  40. Vgl. Jochen Schulte-Sasse: “Einleitung: kritisch-rationale und literarische Öffentlichkeit”, in: Aufklärung und literarische Öffentlichkeit, a.a.O., S. 12–38, bes. S. 12–19. Rudolf Vierhaus stellt fest: “Es waren die Schriftsteller, die sozusagen in eigener Sache die Bedeutung der Publizität, die Notwendigkeit der Pressefreiheit und die Macht der öffentlichen Meinung nicht ohne Selbstüberschätzung in immer neuen Wendungen betonten und damit ihre eigene gesamtgesellschaftliche Wichtigkeit herausstrichen. Sie legten sich selber die Funktion bei, die Agenten der Aufklärung, Organ der ‘Menschlichkeit’, Wächter über die Menschenrechte, Richter über die Moral und Kontrolleure der Praxis der Regierenden zu sein.” Rudolf Vierhaus: “Der aufgeklärte Schriftsteller. Zur sozialen Charakteristik einer selbsternannten Elite”, in: Über den Prozeß der Aufklärung in Deutschland im 18. Jahrhundert. Personen, Institutionen und Medien, hrsg. v. Hans Erich Bödeker und Ulrich Herrmann, Göttingen 1987 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 85), S. 53–65, Zit. S. 56. Vierhaus’ Anspielung auf die “Selbstüberschätzung” der Schriftsteller und deren im Untertitel seines Aufsatzes gegebene Charakterisierung als “selbsternannte Elite” weist darauf hin, daß der Erfolg des schriftstellerischen Anspruchs auf ein moralisches Wächter- und Richteramt in der öffentlichen Repräsentation dieses Anspruchs, nicht aber darin lag, daß die wirklichen Eliten sich den Richtersprüchen der Autoren gebeugt hätten.

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  41. Das Stichwort “Institution Kunst” bezeichnet das allgemeine Resultat von literatursoziologischen Untersuchungen Christa und Peter Bürgers, denen zufolge im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die Kunst das Merkmal einer eigenständigen gesellschaftlichen Institution erhält, die ihre Normen vor allem durch Bezug auf ihre eigene Tradition selbst hervorbringt. Zum damit angesprochenen Zusammenhang gehört auch, daß Autoren versuchen, von Ämtern oder Berufstätigkeit unabhängig zu werden und allein von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit zu leben. Bekanntlich war Lessing der erste, der den Versuch unternahm, Jean Paul der erste, dem er gelang. Christa Bürger: Der Ursprung der bürgerlichen Institution Kunst Literatursoziologische Untersuchungen zum klassischen Goethe, Frankfurt/M. 1977;

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  42. Peter Bürger: “Institution Literatur und Modernisierungsprozeß”, in: ders. (Hrsg.): Zum Funktionswandel der Literatur, Frankfurt/M. 1983 (= es N.F. 157), S. 17–58.

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  43. Thomas Höhle hat darauf hingewiesen, daß Wielands Auffassung von der anthropologischen Unfähigkeit zur Bildung eines vernünftigen Staats in der Geschichte der Abderiten nicht nur ausgeführt, sondern auch deutlicher auf soziale Sachverhalte zurückgeführt ist, so daß die menschlich-schwierige ‘Natur’ nicht mehr ohne weiteres als unhintergehbares Fakt anzusehen ist: “Wieland und die verpönte Gattung des Staatsromans”, in: ders. (Hrsg.): Wieland-Kolloquium Halberstadt 1983, hrsg. v. Thomas Höhle, Halle (Saale) 1985, S. 41–60, bes. S. 52 f. Schon vorher hat Erwin Rotermund darauf aufmerksam gemacht, daß Wielands anthropologische Skepsis deutliche sozialpsychologische Implikationen aufweist: “Massenwahn und ästhetische Therapeutik bei Christoph Martin Wieland. Zu einer Neuinterpretation der ‘Geschichte der Abderiten’“, GRM 28 (1978), 417–451.

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  44. Vgl. Rebecca E. Schrader: A Method of Stilistic Analysis Exemplified on C. M. Wieland’s ‘Geschichte des Agathon’, Bem/Frankfurt/M./Las Vegas 1980

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  45. Herman Meyer: Das Zitat in der Erzählkunst. Zur Geschichte und Poetik des europäischen Romans, 2., durchges. Aufl. Stuttgart 1967, bes. S. 89–113.

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  46. Herman Meyer (a.a.O., S. 94) bemerkt: “Das Erzählen im kleinen Kreis um den Sultan ist kein bloßes Berichten eines vorgegebenen Inhalts, sondern der Inhalt kommt recht eigentlich erst gesprächsweise zustande. Und ebenso wird die durch den Erzählinhalt vermittelte ‘Wahrheit’ nicht als ein im voraus gegebenes Objekt vorgefunden, sondern sie statuiert sich im dialektischen Wechselspiel von Frage und Antwort, Meinung und Gegenmeinung.” Allerdings verfolgt Meyer diese Einsicht nicht mehr im Hinblick auf die Handlungsfuhrung weiter. Zu Wielands genereller Vorliebe für die dialogisch-kommunikative Erzählweise vgl. Marga Barthel: Das ‘Gespräch’ bei Wieland Untersuchungen über Wesen und Form seiner Dichtung, Frankfurt/M. 1939 (= Frankfurter Quellen und Forschungen zur germanischen und romanischen Philologie 26);

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  47. Steven R. Miller: Die Figur des Erzählers in Wielands Romanen, Göppingen 1970 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 19), S. 39 ff.;

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  48. H. P. H. Teesing: “Ironie als dichterisches Spiel. Ein stilistischer Versuch an Hand von Wielands ‘Schach Lolo’“, in: Paul Böckmann (Hrsg.): Stil- und Formprobleme in der Literatur, Heidelberg 1959, S. 259–266, bes. S. 260, 264. Teesings Formkategorien erfassen auch die kleine Verserzählung nicht hinreichend, weil er in der analysierten Passage die beiden Positionen nicht festhält, von denen aus das Verhältnis von Recht und Macht diskutiert wird, so daß die Ironie — analog zum Goldnen Spiegel — zustandekommt, indem die jeweils eine Perspektive in die Darbietung der anderen eingeflochten wird, und zwar entweder ironisch im Sinne des jeweils Sprechenden oder als unwillkürliche Selbstwiderlegung.

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  49. Vgl. Wolfgang Preisendanz: Humor als dichterische Einbildungskraft. Studien zur Erzählkunst des poetischen Realismus, München 1963 (= Theorie und Geschichte der schönen Künste. Texte und Abhandlungen Bd. 1), S. 32 ff. (zu Schlegel und Solger), 73ff. (zu E. T. A. Hofmann und zum Verhältnis von Ironie und Humor). Preisendanz’ Darlegungen sind sehr hilfreich, den Unterschied der vorromantischen zur romantischen und nachromantischen Ironie festzuhalten. Im Gegensatz zur Romantik — und später zu Kierkegaard — ist Wieland der konstituierende Gedanke dieser Ironie, daß jede bestimmte Besonderung der unendlichen Idee, die zu deren Darstellung einerseits unumgänglich sei, andererseits einen Verstoß gegen das Ideal beinhalte, den sie zugleich darstellen müsse, noch nicht zugänglich. Der Gegensatz von Ideal und Realität, wie Wieland ihn faßt, reißt keine unüberbrückbare Kluft zwischen der ‘Prosa’ des Lebens und der Poesie;

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  50. Arno Schmidt: Dya Na Sore. Gespräche in einer Bibliothek, Frankfurt/M. 1985, S.264.

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  51. Über die philosophisch-systematischen Grundlagen und poetischen Prinzipien der Romantik und der romantischen Ironie: Georg Wellenberger: Der Unemst des Unendlichen, Marburg 1987. Dort auch weitere Literatur zur romantischen Ironie. Entgegen der hier vertretenen Auffassung stellt Hermann Müller-Solger seine Wieland-Interpretation ganz darauf ab, in diesem einen Vorläufer der Romantik auszumachen. Hermann Müller-Solger: Der Dichtertraum. Studien zur Entwicklung der dichterischen Phantasie im Werk Christoph Martin Wielands, Diss. Göppingen 1970 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik Nr.24).

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  52. Darin erweist sich der Goldne Spiegel als zukunftsweisender, in Wolfgang Kaysers Ausdrucksweise ’moderner’ Roman, auch wenn er Kaysers Kriterium moderner Romankunst, “die Welt in der Seele eines (gedichteten) Erzählers zu spiegeln”, nicht erfüllt. Daran zeigt sich eine gewisse Einseitigkeit von Kaysers wichtiger und einflußreicher Abhandlung, die an Wieland die innere Notwendigkeit eines literarisch fingierten Erzählersubjekts als Generierungsprinzip des ‘modernen’ Romans entwickelt und damit eine — unausgetragene — Kontroverse mit Christian Friedrich von Blanckenburgs Versuch über den Roman (1774) eröffnet, demzufolge das Erzählersubjekt die innere Folgerichtigkeit der Erzählung vertritt. Wolfgang Kayser: Entstehung und Krise des modernen Romans, 2. Aufl. Stuttgart 1955, S. 20. Kaysers Anregungen werden fortgeführt und konkretisiert von Norbert Miller: Der empfindsame Erzähler. Untersuchungen an Romananfängen, München 1968 (zu Wieland S. 85–134, 358–377) und Peter Michelsen: Lawrence Sterne und der deutsche Roman des achtzehnten Jahrhunderts, Göttingen 1962 (= Palaestra 232), 6.Kap., S. 177–224. Peter J. Brenner schließt aus dem Umstand, daß in Wielands erzählerischem Werk nach dem Agathon der gleichsam persönlich anwesende Erzähler immer mehr in den Hintergrund tritt, daß in diesen Romanen keinerlei “übergeordneter Standpunkt, […] aufgrund dessen über Wahrheit und Falschheit eine Entscheidung sich treffen ließe”, mehr kenntlich wird (Krise der Selbstbehauptung, a.a.O., S. 192). Diese Auffassung verdankt sich aber weniger der Untersuchung des Goldnen Spiegels als vielmehr dem voreiligen Umkehrschluß, daß eine solche Entscheidung “bei der Präsenz des Erzählers” (ebd.) in aller Regel leicht zu fällen ist.

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Spies, B. (1992). Die Politisierung des Moralischen Subjekts im Politischen Roman. In: Politische Kritik, psychologische Hermeneutik, ästhetischer Blick. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03433-5_3

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