Zusammenfassung
Um Schillers Begriff der Kritik zu skizzieren, ist es sinnvoll, zwischen der Literaturkritik als Institution und der Kritik, die im privaten Kreis geübt wird, kategorisch zu unterscheiden. In den publizierten Kritiken, den Rezensionen, sah Schiller ein Mittel, die öffentliche Meinung zu manipulieren und dem Publikum etwas ›vorzumachen‹. Die ganz andere Funktion der privaten Kritik ist noch darzustellen; ihre Grundsätze motivierten Schillers Ungenügen an jener. Bevor ich jedoch seine Erfahrungen mit der privaten Kritik darstelle, möchte ich auf Schillers Vorschlag zurückkommen, die Horen »durch Mitglieder unsrer Societät recensieren« zu lassen. (1) Schillers Rechnung war, die Konventionen der literarischen Öffentlichkeit dabei ebenso zu befriedigen wie die eigenen Ansprüche an die Kritik. »Es verstünde sich von selbst«, hatte er Cotta erklärt,
»daß der Recensent eines Stücks an diesem Stücke nicht mitgearbeitet haben dürfte, und daß überhaupt eine anständige Gerechtigkeit beobachtet würde.« (1)
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Notizen
Christa Bürger, Literarischer Markt und Öffentlichkeit am Ausgang des 18. Jahrhunderts in Deutschland; in: Aufklärung und literarische Öffentlichkeit. Hg. von Christa Bürger / Peter Bürger / Jochen Schulte-Sasse. Frankfurt 1980, S. 162–212, hier 184.
Ueber einige neuere Charlatanerien unserer Litteratur; zuerst in: Allgemeiner Litterarischer Anzeiger, Oder: Annalen Der Gesamten Litteratur, Vom 27. September 1796, abgedruckt in: Fambach 2, S. 298/99.
Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied/Berlin 1962, (7) 1975, S. 52: »Gegen das Zeremoniell der Ränge setzt sich tendenziell der Takt der Ebenbürtigkeit durch. Die Parität, auf deren Basis allein die Autorität des Arguments gegen die der sozialen Hierarchie sich behaupten und am Ende auch durchsetzen kann, meint im Selbstverständnis der Zeit die Parität des ›bloß Menschlichen‹.«
Vgl. Albrecht Schöne, Soziale Kontrolle als Regulativ der Textverfassung. Über Goethes ersten Brief an Ysenburg von Buri; in: Wissen aus Erfahrungen. Werkbegriff und Interpretation heute. Festschrift für Herman Meyer. Hg. von Alexander von Bormann. Tübingen 1976, S. 217–241.
Helmut Koopmann, Dichter, Kritiker, Publikum. Schillers und Goethes Rezensionen als Indikatoren einer sich wandelnden Literaturkritik; in: Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik. Hg. von Wilfried Barner / Eberhard Lämmert / Norbert Oellers. Stuttgart 1984, S. 79–106, hier 89.
Ich schließe mich darin der Überzeugung von Oscar Fambach (Schiller und sein Kreis in der Kritik ihrer Zeit. Berlin 1957, S. 304) an. Friedrich Schlegel hatte mehrere Kritiken in Reichardts Journal Deutschland veröffentlicht, dort eben Kants Schrift Zum ewigen Frieden rezensiert; außerdem treffen die Eigentümlichkeiten des Tons, der dem Anonymus aufstieß, durchaus auf Schlegels Kritiken, wenn auch sie verzerrend, zu.
Siehe: Klaus L. Berghahn, Von der klassizistischen zur klassischen Literaturkritik 1730–1806; in: Geschichte der deutschen Literaturkritik (1730–1980). Hg. von Peter Uwe Hohendahl. Stuttgart 1985, S. 10–75, 340–350.
Ludwig Fulda, Einleitung [zu Christian Wernicke]; in: Die Gegner der zweiten schlesischen Schule. Zweiter Teil: Weise — Brockes — Freiherr von Canitz — Neukirch — Wernicke. Hg. von L.F., Berlin/Stuttgart 1890 [Deutsche National-Litteratur. 39], S. 507–526, hier 512f.
Heinz-Dieter Weber, Friedrich Schlegels ›Transzendentalpoesie‹. Untersuchungen zum Funktionswandel der Literaturkritik im 18. Jahrhundert. München 1973, S. 26; zu den Anfängen der Kritik ferner: S. 26–39.
Wolfgang Preisendanz, Die Spruchform in der Lyrik des alten Goethe und ihre Vorgeschichte seit Opitz. Heidelberg 1952, S. 50/51.
Ferner s. Paul Böckmann, Das Formprinzip des Witzes in der Frühzeit der deutschen Aufklärung; zuerst im Jb des Freien Deutschen Hochstifts 1932, aufgenommen in: Formgeschichte der deutschen Dichtung. Hamburg 1949, (4) 1973, S. 471–552.
Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 1960, (3) 1972, S. 33.
— Ferner: Alfred Baeumler, Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft. Halle 1923, (2) Tübingen 1967, S. 18–82;
zusammenfassend: K. Stierle / H. Klein / F. Schümmer, Geschmack [Lex. Art.]; in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 3 [1974], Sp. 444–456.
Von dem Guten Geschmack, S. 295f. Alexander von Bormann (Einleitung, in: Vom Laienurteil zum Kunstgefühl. Texte zur deutschen Geschmacksdebatte im 18. Jahrhundert. Tübingen 1974, S. 4) spricht deshalb davon, daß »der verbürgerlichte Geschmack ein deutlich demokratisches Element« enthalte.
Hans Mayer, Einleitung; in: Deutsche Literaturkritik. Bd. 1: Von Lessing bis Hegel (1730–1830). Stuttgart 1962, S. 9–41, hier 23, 25, 27.
Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Neue vermehrte zweyte Auflage. Dritter Theil. Leipzig 1793, S. 104.
August Wilhelm Schlegel, Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst [1801/04]. Hg. von Jacob Minor. 3 Bde, Heilbronn 1884 (Deutsche Literaturdenkmale. 17/19), hier Bd. 2, S. 30.
René Wellek (Geschichte der Literaturkritik 1750–1830. Darmstadt/Neuwied 1959, S. 159) behauptet daher, daß Lessing in Deutschland der »erste große Literaturkritiker war, in einem enger gefaßten Sinne […]«
Siehe dazu die umfangreiche Studie von: Walter Hinderer, Beiträge Wielands zu Schillers ästhetischer Erziehung; in: Jb der Deutschen Schillergesellschaft 18 (1974), S. 348–387.
Siehe: Wolf Lepenies, Melancholie und Gesellschaft. Frankfurt 1969, S. 52–75.
Dazu s. Thomas Neumann, Der Künstler in der bürgerlichen Gesellschaft. Entwurf einer Kunstsoziologie am Beispiel der Künstlerästhetik Friedrich Schillers. Stuttgart 1968, S. 29ff.
Norbert Oellers, Souveränität und Abhängigkeit. Vom Einfluß der privaten und öffentlichen Kritik auf poetische Werke Schillers; in: Untersuchungen zur Literatur als Geschichte. Festschrift für Benno von Wiese. Hg. von Vincent J. Günther / Helmut Koopmann / Peter Pütz / Hans Joachim Schrimpf. Berlin 1973, S. 129–154, hier 133.
Friedrich H. Tenbruck, Freundschaft. Ein Beitrag zu einer Soziologie der sozialen Beziehungen; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 16 (1964), S. 431–456, hier 441.
Vgl. auch: Erich Trunz, Seelische Kultur. Eine Betrachtung über Freundschaft, Liebe und Familiengefühl im Schrifttum der Goethezeit; in: DVjs 24 (1950), S. 214–242.
Wolfdietrich Rasch, Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts. Vom Ausgang des Barock bis zu Klopstock. Halle 1936, S. 89/99. — Den politischen Fluchtpunkt seiner Interpretation wollte Rasch in der völkischen Idee des Nationalsozialismus erkennen: »Der Individualismus des beginnenden 18. Jahrhunderts ist die grosse, schon lange vorbereitete Krise des völkischen Daseins, in der bereits die Gesundung sich ankündigt, in der die Wiederherstellung der Wirklichkeit des Volkes sich vorzubereiten beginnt«, deren »Vollendung« »wir erst heute« erleben. (S. 105)
Alfred Kelletat, »Der Bund ist ewig«. Gedanken zur poetischen Topographie des Göttinger Hains; im Nachwort der von ihm besorgten Ausgabe, Stuttgart 1967, S. 401–446, hier 405.
Hans Mayer, Schillers Vorreden zu den »Räubern«; in: Goethe-Jb NF 17 (1955), S. 45–59, hier 49.
Siehe: Vollständiges Verzeichnis der Randbemerkungen [Schillers] in seinem Handexemplar der Kritik der ›Urteilskraft‹. Hg. von Jens Kulenkampff; in den von ihm zusammengestellten Materialien zu Kants ›Kritik der Urteilskraft‹. Frankfurt 1974, S. 126–144.
NA 22, S. 265. Dazu s. Andreas Wirth, Das schwierige Schöne. Zu Schillers Ästhetik. Auch eine Interpretation der Abhandlung »Über Matthissons Gedichte« (1794). Bonn 1975.
Joachim Ritter, Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft [1962]; in: J. R., Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt 1974, S. 141–163, 172–190, hier 160, 153f.
Peter Szondi, Antike und Moderne in der Ästhetik der Goethezeit; in: P.S., Poetik und Geschichtsphilosophie I [= Studienausgabe der Vorlesungen. Hg. von Jean Bollack u.a. Bd. 21. Frankfurt 1974, S. 174.
An Goethe, 2. Juli 1796; NA 28, S. 235/37. — Dazu: Gerhard Storz, ›Wilhelm Meisters Lehrjahre‹ in den ›Briefen Goethes und Schillers; in: G.S., Figuren und Prospekte. Stuttgart 1963, S. 104ff.
Siehe die einschlägigen Bemerkungen in den Briefen an Körner aus den Jahren 1787 bis 1789; ferner: Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert, Schillers Weg zu Goethe. Berlin 1963 (zweite, erweit. Auflage), S. 20–46.
In seinem Denkmahl Johann Winkelmanns (1777) sah Herder darin »die wissenschaftliche Pionierleistung Winkelmanns« (P. Szondi, Antike und Moderne [Anm. 113], S. 60). Herders eigene historisierende Erklärung der Kunst, etwa der Dramen Shakespeares, war hingegen weniger am konkreten Einzelwerk denn an der Gattung, an der allgemeinen Tendenz interessiert. Dazu: P. Szondi, Antike und Moderne [Anm. 113], S. 78/79; Klaus R. Scherpe, Gattungspoetik im 18. Jahrhundert. Historische Entwicklung von Gottsched bis Herder. Stuttgart 1968, S. 234–259.
So, beispielhaft: Hans Robert Jauß, Schlegels und Schillers Replik auf die ›Querelle des Anciens et des Modernes‹; in: H.R.J., Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt 1970, S. 67–106;
Heinz-Dieter Weber, Friedrich Schlegels ›Transzendentalpoesie‹. Untersuchungen zum Funktionswandel der Literaturkritik im 18. Jahrhundert. München 1973, S. 117–139.
Georg Lukács, Schillers Theorie der modernern Literatur [1935]; in: G.L., Faust und Faustus. Ausgewählte Schriften II. Reinbek 1967, S. 76–109, hier 104, 100.
NA 28, S. 144. — Vgl. Helmut Koopmann, Zur Entwicklung der literaturtheoretischen Position in der Klassik; in: Deutsche Literatur zur Zeit der Klassik. Hg. von Karl Otto Conrady. Stuttgart 1977, S. 30–43, 32: »Alles das deutet auch bei Schiller auf einen absolut unsystematischen Geist, auf wechselnde, immer neue Einfälle, auf eine spezifische Art eines schöngeistigen Philosophierens […]«
Peter Szondi, Das Naive ist das Sentimentalische. Zur Begriffsdialektik in Schillers Abhandlung; in: P.S., Schriften II. Hg. von Jean Bollack u.a. Frankfurt 1978, S. 59–105, hier 103f. — Und: »Den Aufsatz [Schillers] adäquat verstehen heißt darum seine in ihn eingegangene Entstehungsgeschichte verstehen.« (S. 104)
Siehe: Bernhard Fabian, Das Lehrgedicht als Problem der Poetik; in: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhethischen. Hg. von Hans Robert Jauß. München 1968 (= Poetik und Hermeneutik. 3), S. 67–89, sowie die anschließende Diskussion, S. 549–557.
Dazu: Gerhard Sauder, Der reisende Epikureer. Studien zu Moritz August von Thümmels Roman ›Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich‹. Heidelberg 1968. S. ferner das unterdrückte Xenion (Schmidt/Suphan 736, S. 84): »Reisen ins südliche Frankreich. // Wie es hinter dem Mieder beschaffen und unter dem Röckchen, / Lehret, wißt ihr es nicht, zierlich der reisende Freund.«
Zum Skandal um Goethes ›Römische Elegien‹ (so der Untertitel) s. Klaus Oettinger, Verrucht, aber schön…; in: Der Deutschunterricht 35 (1983), S. 18–30.
NA 20, S. 465. In der Rezeptionsgeschichte Wielands sind Schillers (und der Romantiker) Vorwürfe dann sterotyp wiederholt worden; s. Klaus Oettinger, Phantasie und Erfahrung. Studien zur Erzählpoetik Christoph Martin Wielands. München 1970, S. 15–20.
Zum Begriff der Karikatur siehe: Gerd Unverfehrt, Karikatur — Zur Geschichte eines Begriffs; in: Bild als Waffe. Mittel und Motive der Karikatur in fünf Jahrhunderten. Hg. von Gerhard Langemeyer u.a. München 1984, S. 345–354.
Siehe: Körner an Schiller, 6. November 1795; NA 36/1, S. 4, und Humboldt an Schiller, 14. Dezember 1795; NA 36/1, S. 48.
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Schwarzbauer, F. (1993). Krise der Kritik. In: Die Xenien. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03432-8_4
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