Zusammenfassung
Die Metaphysischen und Erkenntnistheoretischen Konzeptionen des späten 13. Jahrhunderts haben ein Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem artikuliert, das der historischen Tendenz ihrer Epoche entsprach und sie zugleich transzendierte. Die traditionelle Minderbewertung des Singulären heben sie auf, ohne es zur alleinigen Realität zu erhöhen. Das Allgemeine verliert umgekehrt seine reflexionslose Unmittelbarkeit, ohne daß es deshalb schon zur bloßen Konvention herabgesetzt wäre. Die Wiederherstellung einer realistischen Metaphysik mit den Mitteln der aristotelischen Philosophie zielt auf eine zeitlose Ordnung universaler Wesenheiten ab, die aller erscheinenden Realität zugrundeliegen soll. Aber bei der konkreten Ausführung dieser Absicht mußten die avanciertesten Denker der Hochscholastik die konstruktive Kraft der subjektiven Tätigkeit spekulativ einbeziehen. Modifiziert die Erkenntnistheorie die rein objektiv intendierte Metaphysik, so zeigen sich die Konsequenzen in der Theologie: Im Rahmen der Heilslehre fördert die aristotelische Hochscholastik die profane Wissenschaft, und die diesseitige Existenz der Individuen erhält im selben Zusammenhang eine Bedeutung, die auf praktische Veränderung drängt.
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Notizen
Cf. hierzu die Explikationen von C. Urban in seinem Buch Nominalismus im Naturrecht. Zur historischen Dialektik des Freiheitsverständnisses in der Theologie, Düsseldorf 1979, bes. S. 61 ff. Urban hat die metaphysische Statik der Thomasischen Gesellschaftskonzeption richtig erkannt, aber die gegenläufigen Tendenzen im Denken des Thomas übersehen, die die Emanzipation des Individuums befördern.
Ct. die Dokumentation der Positionen in dieser Auseinandersetzung: W. Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus? Darmstadt 1962.
Der Neuthomismus hat bis zur Mitte dieses Jahrhunderts auf dem Primat eines Gemeinwohls insistiert, dessen Begriff er nicht mehr konkretisieren konnte. So verkam die Idee des bonum commune zum ideologischen Topos im Kampf gegen säkulare Freiheitstendenzen. Cf. O. Schilling, Die Staats- und Soziallehre des heiligen Thomas von Aquin, 2. Aufl. München 1930. Auch dieses Standardwerk auf seinem Gebiet, dem dessen schlüssige Darstellung zu danken ist, setzt sich das apologetische Ziel, die Soziallehre des Thomas als zeitlos gültiges Gesetz zu bestimmen, dem das Mittelalter tatsächlich entsprochen habe. Mit Charles Maurras geriet der Ordnungsfanatismus der Action française, der sich auch auf Thomas beruft, in enge Verbindung zur faschistischen Weltanschauung.
Cf. das Vorwort von Maurras zu: J. — L. Lagor, La Philosophie politique de saint Thomas, Paris 1948.
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Mensching, G. (1992). Ordo naturae und erweiterte Reproduktion Recht und Gesellschaft bei Thomas von Aquin. In: Das Allgemeine und das Besondere. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03401-4_10
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