Zusammenfassung
Niemand wird ernsthaft die Frage stellen, ob sich der Roman seit den Äußerungen der ›Modernisten‹, wenigstens aber seitdem Naturwissenschaft und Technik die Welt und das Dasein der Menschheit beherrschen, so gewandelt habe, daß sich jedes umfangreiche Erzählwerk in Prosa einem der drei vorgestellten Fundamentaltypen zuordnen lasse. Denn schon auf den ersten Blick ist zu erkennen, daß auch heute, daß zumal in den letzten hundert Jahren die überwältigende Fülle der Romanliteratur ganz und gar unmodern ist, daß sich die wenigsten Autoren darum kümmern, welche grundlegenden ästhetischen und poetologischen Verwandlungen die Herrschaft von Naturwissenschaft und Technik ausgelöst hat. Auch heute noch handelt es sich bei den allermeisten Romanen um geschlossene Gebilde, in denen leicht umreißbare Kernhandlungen vorgeführt werden, in denen es zielstrebig auf ein Ende zugeht, bei denen Erzählgipfel die eigentlichen Spannungsmomente bilden und dem Leser deutlich — meist überdeutlich — vor Augen geführt wird, wie er den zur Hand genommenen Text zu verstehen hat. Das liegt daran, daß das breite, auf Unterhaltung angelegte Leserbedürfnis nur mit leichten, d. h. zugleich geordneten, zielorientierten Romanen befriedigt werden kann, mit einer Literatur also, die alle Elemente der Moderne ausschließt. Jede Kriminal- und Detektivstory lebt von ihrer inneren Schlüssigkeit, ihrer Handlungslogik und der klaren Lösung am Schluß, der Trivialroman, erst recht dessen Kurzform in Gestalt des Groschenheftes, befriedigt mit einem happy end nach Verwirrung und Lebensprüfung des Lesers Hoffnung auf ein schöneres und gelungeneres Leben.
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Notizen
Vgl. zu diesem Thema die interessante Abhandlung von Martin Damus: Sozialistischer Realismus und Kunst im Nationalsozialismus. Ffm. 1981.
Erich Kästner: Fabian. Die Geschichte eines Moralisten. Berlin 1967.
Thomas Mann: Gesammelte Werke in XIII Bänden, Bd. I bis XII Ffm. 1960, Bd. XIII Ffm. 1974, hier: Bd. I, S. 235.
Vgl. dazu Walter Prinzing: Stil der Schwebe im Doktor Faustus. Diss. TH Stuttgart 1956 (Teilveröff.).
Vgl. dazu Vf.: Die Märchenmotive und ihre Behandlung in Thomas Manns Roman »Königliche Hoheit«. In: Sprachkunst, Wien, 1973, S. 216–230.
Vgl. Hartmut Steinecke: Hermann Broch und der polyhistorische Roman. Bonn 1968.
Hermann Broch: Der Roman »Die Schlafwandler«. In: H.B.: D.S. Ffm. 1978 = Kommentierte Werkausgabe. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Bd. 1, S. 719–724, hier: S. 719.
Kay Hoff: Ein ehrlicher Mensch. Hamburg 1967, S. 63.
Gottfried Benn: Gesammelte Werke in vier Bänden. Hg. v. Dieter Wellershoff. Bd. 2: Prosa und Szenen. Stuttgart 61986, S. 161. — Es sei nochmals ausdrücklich auf die eigentliche Entfaltung des diskursiven und essayistischen Romans durch Robert Musil verwiesen, die S. 127 ff. nachgezeichnet wurde. Benn indes hat das Konzept Musils nicht nur radikalisiert, sondern in den Jahren nach 1945 durch eigene Werke auch fest in der deutschen Literatur etabliert.
Jean Améry: Lefeu oder Der Abbruch. Stuttgart 1974, S. 9.
Gabriele Wohmann: Ausflug mit der Mutter. Darmstadt 101978, S. 6.
Vgl. dazu Peter Weiss: Notizbücher 1971–1980, 2 Bände. Ffm. 1981.
Vgl. dazu Vf.: Die Folgen der Moderne: Literarästhetischer, rezeptionsästhetischer und textontologischer Paradigmawechsel. In: arcadia 20, 1985, S. 273–289.
Max Frisch: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Jubiläumsausgabe in sieben Bänden 1931–1985. Hg. v. Hans Mayer unter Mitwirkung v. Walter Schmitz. Ffm. 1986. Bd. II, S. 349.
Volker Neuhaus: Günter Grass. Stuttgart 1979, S. 118.
Günter Grass: Aus dem Tagebuch einer Schnecke. Reinbek b. Hamburg 1974, S. 142 f.
Dieter Kühn: Josephine. Aus der öffentlichen Biografìe der Josephine Baker. Ffm. 1976, S. 142.
Dieter Kühn: Ich Wolkenstein. Neue, erweiterte Ausgabe. Ffm. 1980, S. 9.
Dieter Kühn: Der Parzival des Wolfram von Eschenbach. Ffm. 1987, S. 32. 46 Ebd. S. 70.
Dieter Kühn: Herr Neidhart. Ffm. 1981, S. 23.
Dieter Kühn: Neidhart aus dem Reuental. Ffm. 1988, S. 528.
Helmut Eisendle: Oh Hanna! Wien, Darmstadt 1988, S. 19 f.
Arno Schmidt: Die Gelehrtenrepublik. Das erzählerische Werk in 8 Bänden. Bd. 5. Zürich 1985, S. 7.
Hiltrud Gnüg: Der utopische Roman. Eine Einführung. München u. Zürich 1983, S. 8.
Alfred Kubin: Die andere Seite. Ein phantastischer Roman. München 1975, S. 49.
Vgl. dazu das »Nachwort des Herausgebers« (Walter Muschg). In: Alfred Döblin: Die drei Sprünge des Wang-Lun. München 1970, 21980.
Hans Erich Nossack: Nekya. Bericht eines Überlebenden. Ffm. 1961, S. 150.
György Sebestyén: Die Werke der Einsamkeit. Graz, Wien, Köln 1986, S. 478.
Hermann Broch: Der Tod des Vergil (= Bd. 4 der Kommentierten Werkausgabe. Hg. v. Paul Michael Lützeler). Ffm. 1976,31982, S. 41.
Thomas Bernhard: Frost. Ffm. 1972, S. 230.
So auch Josef Donnenberg: Gehirnfähigkeit der Unfähigkeit der Natur. In: G. Weiss u. K. Zelewitz (Hg.): Peripherie und Zentrum. Salzburg, Stuttgart, Zürich 1972, S. 13–42, insbes. S. 30–32.
Vgl. auch Jens Tismar: Gestörte Idyllen. München 1973, S. 106–143, insbes. S. 110: »Der Leser wäre auf einer falschen Spur, wenn er den Wahnsinn, vor allem die Schizophrenie Bernhardscher Figuren, nur als Simulation eines medizinischen Befundes verstünde.«
Ebd. S. 97. Vgl. zu den vorstehenden Ausführungen meinen Aufsatz »Beschreibung einer sinnentleerten Welt. Erzählthematik und Erzählverfahren in Thomas Bernhards Romanen«. In: Bernhard. Annäherungen. Hg. v. Manfred Jurgensen. Bern u. München 1981, S. 143–176. Einige Passagen wurden hier übernommen.
Thomas Bernhard: Auslöschung. Ein Zerfall. Ffm. 1986, S. 647 f.
Friederike Mayröcker: Das Licht in der Landschaft. Ffm. 1975, S. 5.
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Petersen, J.H. (1991). Elemente der Moderne im deutschen Roman seit 1900. In: Der deutsche Roman der Moderne. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03380-2_7
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