Hans Neuenfels: Europa und der zweite Apfel. Ein Film nach Heinrich von Kleist. Über das Marionettentheater. — Der tollwütige Mund. Stationen eines Europäers. Ein Theaterprojekt. Fotos von Gerhard Kassner. Berlin: Edition Hentrich 1989. 153 S

Zusammenfassung

Neuenfels’ Hochglanzdokumentation seines Films >Europa und der zweite Apfel< sowie seines Theaterprojekts >Der tollwütige Mund< setzt mit dem Titelphoto ein erstes, lautes Zeichen. Es zeigt uns das amphibische Wesen einer menschlichen Marionette, von vorstehenden Adern durchpulste Hände, aber stiere Knopfaugen, zarte Gesichtshaut, aber eine rote Nylonperücke dritter Wahl. Das Monster, das wir sehen (von Klaus-Maria Brandauer gespielt), bringt eine Aporie des Kleistschen >Marionettentheaters< auf den Punkt: das von Herrn C., dem an diesem berüchtigten Dialog teilnehmenden Tänzer, entwickelte Projekt einer Puppe von menschlichem Ausmaß, die an Anmut jedes natürliche Exemplar der Gattung überträfe. Neuenfels glaubt Herrn C. nicht, er fällt auf seine Rhetorik nicht herein — und das ist sicher eine gute Ausgangsposition für diesen abgründigen, sich seinen Interpretationen bis heute glücklich entziehenden Text. »Hinter dem Taschentüchlein der Konversation«, schreibt Neuenfels in seinem begleitenden Essay >Trivialität und plötzlich Thrombose<, »dem Parlando, dem Etepetetegehabe, dem Kräuseln der Münder, dem Wenden und Drehen der Hälse [...] — hinter diesen artigen, gemütskahnigen Zuständen einer Fünfuhrtee-Konversation, [...] hinter dieser ausgeklügelten Idylle, pfeift, peitscht eiskalt der Wind« (S. 11). Neuenfels’ schneidige Neologismen verraten andererseits das von vornherein Problematische seines Zugriffs auf diesen Text.