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Festgehaltene Klassizität. Ruisdael, Leonardo und Mantegna als Gegenromantische Muster der Bilderfindung

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Zusammenfassung

Am späten Nachmittag des 8. März 1824 sitzt Kanzler von Müller »sehr gemüth-lich« bei Goethe und kolportiert, zwischen Gesprächen über Selbsterkenntnis und über Lord Byrons Werke, auch ein wenig Hoftratsch: Hofrat Schmidt sei von der Opernsängerin Anna Pauline Milder »höchst eingenommen, sie übersteige alles, was seine Fantasie sich von einer vollkommnen Sängerin gedacht.« Goethe, dem dies »ganz natürlich« erscheint, gibt der Phantasiemangel des Hofrats Gelegenheit, einmal mehr die schwache Position der Einbildungskraft gegenüber der unmittelbaren sinnlichen Präsenz des ästhetisch Vollkommenen zu verdeutlichen:

[…] die Fantasie kann sich nie eine Vortreflichkeit so vollkommen denken als sie im Individuo wirklich erscheint. […] Es erregt mir daher immer Schmerz, wenn Man ein wirkliches Kunstoder Naturgebilde mit der Vorstellung vergleicht, die Man sich davon gemacht hatte, und dadurch sich den reinen Genuß des erstem verkümmert. Vermag doch unsre Einbildungskraft nicht einmal das Bild eines wirklich gesehnen schönen Gegenstandes getreu wiederzugeben; immer wird die Vorstellung etwas neblichtes, verschwimmendes enthalten.

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Anmerkungen

  1. Kanzler von Müller: Unterhaltungen mit Goethe. Kritische Ausgabe besorgt von Ernst Grumach. Weimar 1956, S. 105.

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  2. Vgl. hierzu Hans Zeller: Winckelmanns Beschreibung des Apollo im Belvedere. Zürich 1955, bes. S. 156f.

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  3. »Wer diese Worte lieset, indem er den Apollo betrachtet, der wird viel zu sehr dadurch gestört, und auf Nebendinge geführt, als daß die reine Schönheit des Ganzen ihn noch rühren könnte. — Er muß nach dieser Beschreibung sich die Schönheiten des hohen und einfachen Kunstwerks eine nach der andern gleichsam aufzählen, welches eine Beleidigung des Kunstwerks ist, dessen ganze Hoheit in seiner Einfachheit besteht. […] Winckelmanns Beschreibung des Apollo im Belvedere scheint mir für ihren Gegenstand viel zu zusammengesetzt und gekünstelt.« Karl Philipp Moritz: Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788 in Briefen. In: ders.: Werke. Hg. von Horst Günther. Frankfurt 1981, Bd. 2, S. 414f. Vgl. auch Moritz’ Aufsatz Die Signatur des Schönen, ebd., S. 579–588. Die Wirkung von Moritz’ um den Begriff der Einheit und des Ganzen zentrierter Winckelmann-Kritik bedarf noch der Untersuchung;

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  4. hier soll nur daran erinnert werden, daß zu Moritz’ Hörern in Berlin auch Wackenroder und Tieck gehörten, über die seine Kritik auf die romantische Kunstauffassung einwirken konnte. Vgl. Martin Bollacher: Wackenroder und die Kunstauffassung der frühen Romantik. Darmstadt 1983 (= Erträge der Forschung. Bd. 202), S. 74 ff.

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  5. Vgl. auch Petra Maisak: Goethe und die Malerei in Italien. In: Ausstellungskatalog Goethe in Italien. Goethe-Museum Düsseldorf. Mainz 1986, S. 70.

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  6. Sulpiz Boisserée: Tagebücher. Bd. I. 1808–1823. Im Auftrag der Stadt Köln herausgegeben von Hans-J. Weitz. Darmstadt 1978, S. 263.

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  7. Die wichtigsten Belege bei Erich Trunz: Weimarer Goethe-Studien. Weimar 1980, S. 199f.

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  8. BA 14, 403. Zum Kontext dieses Zitats vgl. Helmut Pfotenhauer: Farbe. Goethes siziliani-sche Ästhetik. In: Albert Meier (Hg.): Ein unsäglich schönes Land. Goethes Italienische Reise und der Mythos Siziliens. Palermo 1987, S. 180–193.

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  9. Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Hg. von Fritz Bergemann. Frankfurt 1981, S. 332. (10. 4. 1829)

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  10. Vgl. Goethes Briefwechsel mit Heinrich Meyer. Hg. von Max Hecker. Bd. 2. Juni 1797 bis December 1820. Weimar 1919; Goethes Briefe vom November 1808 (S. 228), 30. 8. 1810 (S. 290), 23. und 25. 4. 1812 (S. 302ff.), Meyers Antworten vom 6. 9. 1810 (S. 291) und vom 11. 6. 1812 (S. 308). Vgl. hierzu auch Meyers ausführliche rühmende Besprechung von Friedrichs Sepia-Blättern im Neujahrsprogramm der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung vom Jahre 1809; Benz (wie Anm. 44), S. 131–134.

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  11. Friedrich Wilhelm Riemer: Mitteilungen über Goethe. Auf Grund der Ausgabe von 1841 und des handschriftlichen Nachlasses hg. von Arthur Pollmer. Leipzig 1921, S. 323 f. — Alle Sammlungen von Äußerungen Goethes über Friedrich zerstören den Argumentationszusammenhang, indem sie nur die erste Hälfte des Zitats abdrucken und mit dem Hinweis auf Claude den kunsttheoretischen Hintergrund von Goethes Bemerkung löschen.

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  12. Ebd., S. 326 f. Gemeint ist der Weimarer Hofbildhauer Karl Gottlob Weisser. Zum Kontext des Zitats vgl. Katharina Mommsen: Kleists Kampf mit Goethe. Frankfurt/M. 1979, S. 105 f. (mit den in diesem Buch üblichen Überpointierungen).

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  13. Werner Sumowski: Caspar David Friedrich-Studien. Wiesbaden 1970, S. 98.

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  14. Briefwechsel des Herzogs=Großherzogs Carl August mit Goethe. Hg. von Hans Wahl. Bd. II. 1807–1820. Berlin 1916, S. 101.

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  15. Zum Bestand vgl. Karl Woermann: Katalog der Königlichen Gemäldegalerie zu Dresden. Grosse Ausgabe. Dresden 1887, S. 471–475. Nr. 1492–1504.

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  16. Vgl. Seymour Slive/H. R. Hoetink: Jacob van Ruisdael. New York 1981, S. 110 f.

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  17. Vgl. Siegmar Holsten/Werner Hofmann: Friedrichs Bildthemen und die Tradition. In: Ausstellungskatalog Caspar David Friedrich. 1774–1840. Hamburg 1974, S. 30–68.

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  18. So schon Meyer 1808 in der erwähnten Friedrich-Rezension; vgl. Benz (wie Anm. 44), S. 132. Welche »Gedanken« Friedrich selbst in seinen Bildern dargestellt fand, geht aus einem erst jüngst veröffentlichten Selbstkommentar zum Mönch am Meer und zur Abtei im Eichwald hervor; vgl. Helmut Börsch-Supan: Berlin 1810. Bildende Kunst. Aufbruch unter dem Druck der Zeit. In: Kleist-Jahrbuch 1987, S. 52–75; hier S. 74f.

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  19. Die Schriften zum Ramdohrstreit sind abgedruckt in: Caspar David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen. Hg. von Sigrid Hinz. 2., veränderte und erweiterte Ausgabe. München 1974, S. 131–188.

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  20. Vgl. Wilfried Wiegand: Ruisdael-Studien. Ein Versuch zur Ikonologie der Landschaftsmalerei. Phil. Diss. Hamburg 1971, S. 57.

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  21. Zur Sache vgl. Benz (wie Anm. 44), S. 138f.; Ausstellungskatalog Friedrich (wie Anm. 63), S. 48f.; Theodore Ziolkowski: Bild als Entgegnung. Goethe, C. D. Friedrich und der Streit um die romantische Malerei. In: Formen und Formgeschichte des Streitens. Der Literaturstreit. Hg. von Franz Josef Worstbrock und Helmut Koopmann. Tübingen 1986 (= Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985. Hg. von Albrecht Schöne. Bd. 2), S. 201–208.

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  22. Friedrich Schlegel: Gemälde alter Meister. Hg. von Hans Eichner und Norma Lelless. Darmstadt 1984, S. 85. Vgl. in dieser Arbeit auch S. 366.

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  23. Jörg Traeger: »… als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.« Bildtheoretische Betrachtungen zu einer Metapher von Kleist. In: Kleist-Jahrbuch 1980, S. 86–106; hier S. 89.

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  24. »Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da […].« Heinrich von Kleist: Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft. In: Sämtliche Werke und Briefe. Hg. von Helmut Sembdner. 5. Auflage. München 1970, Bd. 2, S. 327.

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  25. Vgl. Wolfgang Krönig: Jacob Philipp Hackert (1737–1807). Ein Werk- und Lebensbild. In: Heroismus und Idylle. Formen der Landschaft um 1800 bei Jacob Philipp Hackert, Joseph Anton Koch und Johann Christian Reinhart. Ausstellungskatalog Wallraf-Richartz-Museum Köln 1984, S. 11–16, hier S. 16.

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  26. Dazu erste Hinweise bei Walther Killy: Die Sprache der Bildbeschreibung. In: ders.: Schreibweisen — Leseweisen. München 1982, S. 71–83, bes. 77ff.

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  27. Wolfgang Krönig: Eine Italien-Landschaft des 18. Jahrhunderts im Deutschen Archäologischen Institut zu Berlin. Philipp Hackerts Ansicht der Solfatara bei Neapel. Berlin 1964, S. 2.

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  28. Vgl. dazu Norbert Miller: Der Dichter als Landschaftsmaler. Zu Goethes Umgang mit der Wahrnehmung. In: Michael Ruetz: Goethes Italienische Reise. ›Auch ich in Arkadien‹. München/Wien 1985, S. 9–19.

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  29. Wolfgang Stechow: Dutch Landscape Painting of the Seventeenth Century. 2nd edition. London 1968 (= National Gallery of Art: Kress Foundation. Studies in the History of European Art), S. 139. Zur historischen Einordnung des Bildes ebd., S. 139 f.

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  30. Die gründlichste Darstellung der Entstehungsgeschichte des Aufsatzes gibt Lavinia Mazzucchetti: Goethe e il »Cenacolo« di Leonardo. In: dies.: Cronache e saggi. A cura di Eva e Luigi Rognoni. Milano 1966, S. 149–180. (Zuerst 1939) Dazu ergänzend: Walther Scheidig: Leonardo — Goethe — Bossi. In: Leonardo da Vinci. Der Künstler und seine Zeit. Im Auftrag der Deutschen Akademie der Künste hg. von Heinz Lüdecke. Berlin 1952, S. 107–114.

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  31. Giuseppe Bossi: Del cenacolo di Leonardo da Vinci libri quattro. Milano 1810, S. 78. Goethe hat zu Ende seiner Abhandlung dankbar auf den »trefflichen Aufsatz« des Malers Müller über Bossis Werk in den Heidelbergischen Jahrbüchern hingewiesen, der es ihm ermöglicht habe, sich »an mehreren Stellen kürzer« zu fassen (BA 20, 148). Tatsächlich läßt sich die Kürze von Goethes Beschreibung ohne weiteres durch die Breite erklären, in der Maler Müller die Ergebnisse von Bossis Werk und zumal dessen das gesamte zweite Buch einnehmende Bildbeschreibung den Lesern referiert hat. Es verdient allerdings festgehalten zu werden, daß Maler Müller, der nie mit der Goetheschen Konsequenz den Schritt in den Klassizismus vollzogen hat, gerade die Abschnitte aus Bossis Werk, die die künstlerische Bedeutung der Verratsankündigung begründen (Bossi, S. 78 f.), in seinem ausführlichen Referat stark verkürzt.

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  32. Vgl. Friedrich Müller: Del cenacolo di Leonardo da Vinci, libri quattro di Giuseppe Bossi pittore, Milano nella Stamperia reale MDCCCX. In: Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jg. 9 (1816), S. 1137–1206.

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  33. BA 20, 308; im Kommentar S. 680: »Kartons, mit Leimfarbe auf Papier«. Ebenso von Einem in HA 12, 662. Solche Kommentarfehler bestätigen, was Martindale in seiner grundlegenden Monographie über den Bilderzyklus schreibt: »They must be among the least known masterpieces of western Europe […].« Andrew Martindale: The Triumphs of Caesar by Andrea Mantegna in the Collection of Her Majesty the Queen at Hampton Court. With a Foreword by Sir Anthony Blunt. London 1979, S. 17. Eine allerdings merkwürdige Bestätigung für dies Urteil liefert noch jüngst Gert Mattenklott, der sich doch auf Martindales Werk beruft: Er spricht nicht allein von Mantegnas »Karton-Sequenz«, sondern bezeichnet überdies die »Reproduktionen des Andreas [!] Andreani« als »Kupfer nach Holzschnitten«! Gert Mattenklott: Mantegnas Doppelleben als Muster für Goethes späte Ästhetik. Einige Beobachtungen zur klassisch-romantischen Balance an Goethes Essay Julius Cäsars Triumphzug — gemalt von Mantegna (1822). In: Paolo Chiarini (Hg.): Bausteine zu einem neuen Goethe. Frankfurt/M. 1987, S. 135–145; hier S. 135.

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  34. Giorgio Vasari: Die Lebensbeschreibungen der berühmtesten Architekten, Bildhauer und Maler. Deutsch hg. von A. Gottschewski und G. Gronau. Bd. V. Die oberitalienischen Maler. Uebersetzt von Georg Gronau. Straßburg 1908, S. 30.

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Osterkamp, E. (1991). Festgehaltene Klassizität. Ruisdael, Leonardo und Mantegna als Gegenromantische Muster der Bilderfindung. In: Im Buchstabenbilde. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03364-2_8

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03364-2_8

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