Zusammenfassung
Der Krieg ist seit jeher Stoffreservoir des ›tragischen‹ Dramas. Dieses wird inhaltlich und unter Umständen formal auch durch die Frontbildungen des dargestellten Kriegsgeschehens bestimmt — auf die Individuen bezogen: durch das Konfliktpotential einer politisch-militärischen Situation, gesehen aus der ideologiegeschichtlichen Perspektive des Autors.
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Literatur
Reinecker, Herbert: Das Dorf bei Odessa. Deutscher Bühnenvertrieb im Zentralverlag der NSDAP. Berlin 1942.
Becher, Johannes R.: Schlacht um Moskau. Dramatische Dichtung. Erstdruck in: Internationale Literatur. Deutsche Blätter, Heft 1–6, 1945. Abgedruckt in: Dramatische Dichtungen. Gesammelte Werke Bd. 8, Berlin 1971. — Vgl. im selben Band auch die veränderte und gekürzte Nachkriegsfassung in der Version von 1956: Winterschlacht (Schlacht um Moskau). Eine deutsche Tragödie in fünf Akten mit einem Vorspiel.
Müller, Heiner: Wolokolamsker Chaussee I: Russische Eröffnung. In Müller: Shakespeare Foctory 1. Berlin 1985.
Bek, Alexander: Die Wolokolamsker Chaussee. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1975; vgl. S. 23–30.
Glückseliger Dämmerzustand. Herbert Reinecker über »Junge Adler« und seine Vergangenheit im Nationalsozialismus im Gespräch mit Horst Pöttker und Rolf Seubert. — medium Juli — September 1988, 18. Jg., S. 37–42.
Das Stück »wurde am 19. Dezember 1942 gleichzeitig in Berlin, Breslau, Hannover und Stuttgart uraufgeführt, selbstverständlich mit großem Werbeaufwand. In Berlin inszenierte es Eugen Klöpfer im Theater am Horst Wessel-Platz. In einem Bericht der Intendanz hieß es, daß das Stück ›einen außergewöhnlichen Erfolg‹ hatte. Lt. Anweisungen wurde das Stück in zahlreichen Bühnen des Reiches und in den besetzten Gebieten aufgeführt.« (Bogustav Dreweniak: Das Theater im NS-Staat. Szenarium deutscher Zeitgeschichte 1933–1945. Düsseldorf 1983, S. 239.) Lt. »SPIEGEL« Nr. 11/1972, S. 131, wurde das Stück »von über 100 deutschen Provinz-Bühnen« aufgeführt. Im Programmheft des Preußischen Theaters Gera schreibt Reinecker selbst, er verstehe seine Tätigkeit als Dramatiker als »Teil der geistigen Mobilisierung […]: ein fast soldatischer Akt.« Auch hier beruft er sich auf seine Bessarabien-Erlebnisse: »Damals spürte ich etwas von der Gewalt der Rasse. […] Dieses Erlebnis stand am Anfang des dramatischen Planes […]. Wenn ich mein Schauspiel selbst bezeichnen soll, würde ich es nennen: eine ›Handlung um den unerschütterlichen deutschen Lebenswillen‹.«
Janicki, Maria: Das Dorf bei Odessa. Zum neuen Schauspiel von Herbert Reinecker. In: Die Spielschar, 16. Jg., Heft 2, Leipzig 1943, S. 29 f.
Wie die Tochter Grete zu dem Aufseher Iwanowo steht, bleibt offen. Nur von der Empörung der Mutter und des Sohnes wird gesprochen. »Vera: Er war ja selber schuld! […] Er war es bestimmt, denn er kam ja so oft, fast Nacht für Nacht — Jürgen (voll Scham): Mutter!« Erst in der ›Schicksalsnacht‹, als allen ihr Deutschtum bewußt wird, findet Jürgen die Kraft, sich von seiner Mutter, die ihn festhält, loszureißen und Iwanowo, der wieder einmal »über den Flur kam«, zu erwürgen. »Vera: […] Ich weinte und lachte, bis sie beide auf der Erde lagen und Iwanowo sich nicht rührte!« (= Anm. 1) S. 31 f.
Der einzige Deutsche, dessen Reden mit dem Nachnamen angekündigt werden, ist Langwieser, so daß sein ›undeutscher‹ Vorname Saladin nur im Personenverzeichnis erscheint, wie die Nachnamen der anderen. Langwieser ist ›Gefolgsmann‹: »Ich bin ein einfacher Mann. Ich tue, was man mir sagt. Aber man muß mir etwas sagen. Ich kann nichts für mich allein tun.« S. 22.
Die literarische Wertung des Stückes bedarf hier wohl keiner eingehenden Debatte; als Beispiel für das Unvermögen Reineckers, eine angemessene Stilebene einzuhalten, nenne ich die Bitte Johannes’, Martin möge es ihm nicht »übelnehmen«, daß er ihn erschießen lassen müsse, und das Wort der Erleichterung, als Martin ihm ›glaubt‹, daß er sterben müsse: »Wie schön, daß du es glaubst.« S. 72 f.
Alle Zitate der folgenden Abschnitte entnehme ich medium 3/88, S. 37/42. Während der Drucklegung erschien Reineckers Autobiographie (Herbert Reinecker: Ein Zeitbericht unter Zuhilfenahme des eigenen Lebenslaufs. Erlangen/Bonn/Wien 1990); vgl. dazu den Aufsatz von Rolf Seubert: Herbert Reinecker: Ein Zeitbericht. In: Medium, Heft 3/1990. Beide Publikationen konnten nicht mehr berücksichtigt werden.
Im folgenden (jeweils nur mit der Seitenzahl) zit. nach: Johannes R. Becher: Dramatische Dichtungen. Gesammelte Werke Bd. 8, Berlin 1971.
Vgl. den Text ebda.
Vgl. zu hier nicht näher behandelten Aspekten Günter Paul Karl: »Winterschlacht«. Johannes R. Bechers dramatische Dichtung »Schlacht um Moskau« in ihrer historisch-ästhetischen Bedeutung. Masch. Diss. Greifswald 1962; Jennifer Ann Taylor: The Third Reich in German Drama. Ph. D. dissertation, University of London 1976; Cäcilia Friedrich: Bechers Hamlet-Tragödie: »Winterschlacht«. In: Günter Hartung et al. (Hrsg.): Erworbene Tradition. Berlin 1970; J. M. Ritchie: Staging the War in Germany. In: Ian Higgins (ed.): The Second World War in Literature. Edinburgh and London 1986.
Die Unterscheidung zwischen den Nazis und dem »Volk« ist hier wie an anderen Stellen insofern schwer nachvollziehbar, als in dem Stück auf den verschiedensten sozialen und militärischen Stufen Nazi-Figuren vorkommen, die charakterlich so durch und durch negativ gezeichnet sind, daß ihre Integration in die harmonisch-ideale ›Gemeinschaft‹ kaum vorstellbar erscheint, die aber doch nicht weniger zum ›Volk‹ gehören als die ›positiven‹ Figuren.
Bochumer Programmbuch Nr. 23/I, S. 237.
Vgl. Anm. 6.
Über die Ost-Berliner Uraufführung von 1985 als Vorspiel zu Winterschlacht (Regie Alexander Lang) berichtet u.a. Martin Linzer: Zwischen Nähe und Distanz. Erste Überlegungen zur »Winterschlacht« am Deutschen Theater. In: Theater der Zeit 7/1985, S. 16–18; vgl. auch den kurzen Bericht von Jürgen Beckelmann in der Frankfurter Rundschau vom 23. 5. 1985. Zur Bochumer Aufführung von Wolokolamsker Chaussee I (in Verbindung mit Kleists Guiskard, Regie Alfred Kirchner) vgl. Michael Merschmeier: Spiele der Mächtigen. In: Theater heute 7/1985, S. 15; zur Bochumer Aufführung von Winterschlacht (Schlacht um Moskau), Regie Frank Patrick Steckel, vgl. die Materialien des Bochumer Schauspielhauses: Programmbuch 23/I und II, dazu »eine Übersicht der Feuilleton-Reaktionen« und Christof Wackernagel: Die Kulturkatastrophe. Eine Kritik der Kritik. Auseinandergesetzt anhand der Feuilleton-Reaktion auf die Bochumer Inszenierung von Johannes R. Bechers Winterschlacht. April 1988.
Vgl. Anm. 4.
Merschmeier [= Anm. 18], S. 15.
Vgl. zur Tradition dieses Motivs Helmut Kreuzer: Hebbels »Agnes Bernauer« (und andere Dramen der Staatsraison und des politischen Notstandsmordes), in: Hebbel in neuer Sicht, hrsg. v. Helmut Kreuzer, Stuttgart 1963, S. 267–293.
Vgl. auch die Bildlichkeit der Verdinglichung in der literarischen Vorlage Müllers: »Mein Vater zog ein Messer heraus und schnitt dort, wo ihn die Spinne gebissen hatte, ein Stück Fleisch aus seinem eigenen Körper. Genauso verfuhr ich jetzt: Mit dem Messer schnitt ich ein Stück eigenen Fleisches heraus.« Alexander Bek: Die Wolokolamsker Chaussee (s. I/4), S. 30.
Vgl. Heiner Müller: Solange wir an unsere Zukunft glauben, brauchen wir uns vor unserer Vergangenheit nicht zu fürchten. Ein Gespräch mit Gregor Edelmann über »Bildbeschreibung«, »Wolokolamsker Chaussee« und die Wiederaufnahme des Lehrstückgedankens. In Müller: Gesammelte Irrtümer. Interviews und Gespräche. Frankfurt/Main 1986, S. 186.
Ebda.
Ebda.
Müller, Gesammelte Irrtümer (= Anm. 23), S. 185.
Vgl. Dirk Grathoff: Heinrich von Kleist und Napoleon Bonaparte. Der Furor Teutonicus und die ferne Revolution. In: Harro Zimmermann (Hrsg.): Schreckensmythen — Hoffnungsbilder. Die Französische Revolution in der deutschen Literatur. Frankfurt/Main 1989, S. 82.
Müller, Gesammelte Irrtümer [= Anm. 23), S. 185.
Daß Müller der ›Starrheit‹ der »Antike« (im Sinne Homburgs) nicht nur in Wolokolamsker Chaussee nacheifert, ließe sich auch an nicht minder problematischen Texten wie Mauser und Der Horatier leicht belegen. Ich begnüge mich mit einem Horatier-Zitat: »Wer aber seine Schuld nennt zu einer Zeit/Und nennt sein Verdienst zu anderer Zeit/Redend aus einem Mund zu verschiedner Zeit anders/Oder für verschiedne Ohren anders/Dem soll die Zunge ausgerissen werden./Nämlich die Worte müssen rein bleiben.« — Zum Sprechen gehört natürlicherweise, daß es sich mit der Situation, in der gesprochen wird, ändert und daß es sich auf die Mitsprechenden oder Hörenden einstellt. Es ist selbstverständlich auch sinnvoll (und es verbieten zu wollen, wäre absurd), zu »verschiedner Zeit« und für »verschiedne Ohren« jeweils andere Aspekte eines historischen Falls ins Auge zu fassen. Das Postulat eines ›reinen Wortes‹, das sich immer gleich bliebe, wäre so lebensfremd wie menschenfeindlich und führt in Müllers Stück zu barbarischen Konsequenzen (»Dem soll die Zunge ausgerissen werden«), die der Autor ganz gewiß nicht so ernst meint und so wörtlich genommen wissen will, wie seine Norm des ›reinen Wortes‹ befürchten lassen könnte.
Müller, Gesammelte Irrtümer [= Anm. 23], S. 184 f.
Die westdeutsche Feuilletonkritik spricht — unbeeindruckt vom antifaschistischen Engagement des Emigranten Becher (und der literarischen Lebensleistung, die sein Gesamtoeuvre darstellt) — u.a. von einem »rührend naiven bis platt dogmatischen Stück«, einem »hilflosen Durchhaltedrama«, einem »opportunistischen Propagandaschinken«, einem »kommunistischen Krippenspiel«, von »Politkitsch« und »stalinistischem Kitsch«. Vgl. die »Übersicht der Feuilletonreaktionen auf die Bochumer Aufführung« (s. Anm. 18). Das Publikum reagierte (nach den darin übereinstimmenden Presseberichten) mit Beifall für das Stück. Natürlich gab es in der Kritik auch positivere Stimmen. Zur Kritik der Kritik vgl. Christof Wackernagel: Die Kulturkatastrophe (s. Anm. 18) sowie Heinz Klunker: Die Kritikerschlacht. Da Capo 4/88; zit. in der Bochumer »Übersicht« (s.o.).
Benjamin Henrichs: Apokalypse grau. In: Die Zeit Nr. 11 v. 11. 3. 1988.
Ebda.
Wackernagel, Kulturkatastrophe (s. Anm. 18), S. 3. Vgl. auch Doris Kunstmanns Radiobericht: »Und doch ist das Stück beklemmend gegenwärtig, denn es erlaubt, vor allem auch dem jüngeren Publikum, die Konsequenzen durchaus populärer Denkmuster im Kontext des Dritten Reichs zu sehen und zu überprüfen.« Zit. in »Übersicht der Feuilletonreaktionen« (s. Anm. IV/1).
Becher, Schlacht um Moskau, S. 474 f.
Ein kritisch abwägender Vergleich von »Schlacht um Moskau« und »Schweyk im Zweiten Weltkrieg« ist der Aufsatz von Jost Hermand: »Schweyk oder Hörderlein? Brechts und Bechers Ostfrontdramen.« In: TheaterZeitSchrift 3, 1983.
Vgl. zu den Schlußabsätzen über Heiner Müller auch dessen theoretische Äußerungen in »Gesammelte Irrtümer« (s. Anm. 23): Über das Ja zum Tragischen (»Es gibt heute eine verkommene Haltung zum Tragischen oder eben auch zum Tod. […] Das Tragische ist etwas sehr Vitales: Ich sehe einen Menschen untergehen, und das gibt mir Kraft.« S. 181); über die permanente Verknüpfung von Verrat und Todesstrafe, die »Bejahung des eigenen Todes« als »eine politische Notwendigkeit« (S. 131–134); über den »Zwang, Dinge radikal zu Ende […] zu formulieren« (S. 135); über das Theater als »Laboratorium«(S. 41), über Konflikte à la Mauser als Konflikte »in einer absoluten Extrem- oder Notsituation. In einer Grenzsituation, in der man gezwungen ist, mit Gefühlen ökonomisch umzugehen.« (S. 191); über die Notwendigkeit der Abstraktion: »[…] dieser Vorgang, wenn er in einer […] im üblichen Sinne realistischen Weise abgebildet wird, wirkt obszön. Derlei braucht die Abstraktion, damit es um das Problem geht und nicht um die Fakten. Es geht nicht um den Fakt des Tötens, sondern um das Problem.« (S. 44) Tatsächlich wählt sich Müller Probleme, die (für ihn) zum fiktiven »Fakt des Tötens« führen müssen.
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Kreuzer, H. (1990). »Ostfront« 1941. Ein dramatisches Thema in drei Variationen von Herbert Reinecker, Johannes R. Becher und Heiner Müller. In: Eggert, H., Profitlich, U., Scherpe, K.R. (eds) Geschichte als Literatur. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03341-3_27
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