Zusammenfassung
Der Sieg neuzeitlicher Wissenschaft ist heute bereits so selbstverständlich geworden, daß derjenige, der damit beginnt, ihre noch hilflosen Anfänge aufzuhellen, leicht in den Verdacht gerät, er beschäftige sich mit Abseitigem und Obskurem. Die wissenschaftliche Elementarausbildung, die jeder heute in den hochindustrialisierten Ländern genießt, hat zwischen die Natur und den Betrachter das Lehrbuch geschoben, das das Naturverständnis tiefgreifend reguliert. Eine seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Vergrößerung unserer Städte hat die Natur für die meisten Menschen in weite Ferne gerückt. Künstliches Licht hat der Nacht ihre Dunkelheit genommen, Deiche und Staudämme schützen uns vor der Gewalt des Wassers, die Medizin hat uns für unsere Lebensplanung eine im 18. Jahrhundert unvorstellbare Sicherheit gegeben. Doch auch die Wissenschaft hat sich verändert. Heute wacht eine »scientific community« darüber, daß bestimmte wissenschaftliche Maßstäbe eingehalten werden. Die scharfe Grenze zwischen wissenschaftlich Anerkanntem und leichtsinniger Spekulation, zwischen gesicherten Kenntnissen und abenteuerlichem Unsinn ließ sich zu Beginn der wissenschaftlichen Entwicklung noch nicht klar ziehen. Bis tief ins 18. Jahrhundert hinein setzt sich die Wissenschaft noch der verwirrenden Fülle der Natur aus. Naive Neugier und kindliches Staunen findet sich in den Berichten der ersten Experimente, die häufig noch wie Zauberkunststücke vorgeführt werden.
Es ist unmöglich vernünfig zu urteilen, wenn man zittert.
Paul Thiry d’Holbach: Système de la Natur. London 1770.
Nicht ohne Überraschung bemerkte ich auch an den waldigen Ufern des Orinoco, bei den Kinderspielen der Wilden,… daß ihnen die Erregung der Electricität durch Reibung bekannt ist. … Was die nackten kupferbraunen Eingebornen ergötzt, ist geeignet einen tiefen und ernsten Eindruck zu hinterlassen. Welche Kluft trennt nicht das electrische Spiel jener Wilden von der Erfindung eines gewitterentladenden metallischen Leiters … In solcher Kluft liegen Jahrtausende der geistigen Entwicklungsgeschichte der Menschheit vergraben!
Alexander von Humboldt: Kosmos. 1845
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Anmerkungen
Rudolf Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen. Physik in Deutschland 1740–1890. Frankfurt a.M. 1984. S. 279.
Ernst Benz: Theologie der Elektrizität. Zur Begegnung und Auseinandersetzung von Theologie und Naturwissenschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Mainz 1971. S. 32f. Zum Tode Richmanns vgl. die präzise Rekonstruktion in: The Gentleman’s Magazine, and Historical Chronicle. Vol. XXV London 1755. S. 312f.
Vgl. Jörg Meya/Heinz Otto Sibum: Das fünfte Element. Wirkungen und Deutungen der Elektrizität. Reinbek 1987. S. 89ff.
Helmut J. Schneider: Naturerfahrung und Idylle in der deutschen Aufklärung. In: Erforschung der deutschen Aufklärung. Hrsg. von Peter Pütz. Königstein Ts. 1980. S. 296.
Ernst Walter Zeeden: Deutsche Kultur in der frühen Neuzeit. Frankfurt a.M. 1968. S. 308.
Arthur Imhof: Die verlorenen Welten. Alltagsbewältigung durch unsere Vorfahren … München 1984. S. 139.
Immanuel Kant: Werke in zehn Bänden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Bd. 8. Darmstadt 1968. S. 350. Kritik der Urteilskraft A 104.
Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe. Hrsg. von Wolfgang Promies. Bd. 3. München 1972. S. 131.
Zitiert nach Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt a.M. 1979. S. 41.
Kurt Schnelle, Kommentar zu »Plädoyers im Blitzableiterprozeß (1783)«. In: Maximilian Robespierre: Habt ihr eine Revolution ohne Revolution gewollt? Reden. Leipzig 1956. S. 13.
Hans Blumenberg: Die Genesis der kopernikanischen Welt. Frankfurt a.M. 1975. S. 642.
Friedrich Heinrich Jacobi: Werke. Hrsg. von F. Roth u. F. Köppen. Bd. 4.1. u. 2. Abt. Darmstadt 1976. S. 59.
A. W. Schlegel: Ueber Litteratur, Kunst und Geist des Zeitalters. Einige Vorlesungen in Berlin, zu Ende des J. 1802, gehalten. In: Europa. Hrsg. von Friedrich Schlegel. Zweiter Band. Frankfurt a.M. 1803. S. 69. Zum Thema der Angstbearbeitung in der Aufklärung vgl. auch: Christian Begemann: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung. Zu Literatur und Bewußtseinsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1987.
Wolfgang Promies: Georg Christoph Lichtenberg. In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1964. S. 102.
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Weigl, E. (1990). Ein Instrument gegen die Angst die Verbreitung des Blitzableiters im 18. Jahrhundert. In: Instrumente der Neuzeit. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03323-9_10
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