Zusammenfassung
Als Teil jenes Universalienkomplexes, an dessen Bau sich das ganze 18. Jahrhundert intensiv und leidenschaftlich beteiligte, erscheint das Böse als eine „idée-force“ oder eine „idée-charnière“,1 nämlich als eine Idee, die gleich anderen Ideen wie Tugend, Laster, Natur, Glück usw. die Denklandschaften der Epoche durchzieht, sie oft entscheidend prägt und zugleich ein ideengeschichtlich reiches Netz von Beziehungen und Zusammenhängen erzeugt. Daß das Problem des Bösen auch bei Jean Paul einen relativ breiten Raum einnimmt, dürfte außer Frage stehen. Zwar wird es in keiner seiner Schriften zum Objekt einer privilegierten Behandlung, mit Ausnahme vielleicht von der Rede des toten Christus, doch gibt es sowohl auf der Ebene der Fiktion als auch auf der der Reflexion eine Reihe von Elementen, die sich damit unschwer in Verbindung setzen lassen. Besonders evident ist die Thematisierung des Bösen in den apokalyptischen Visionen, in der diabolischen Natur mancher Romanfiguren wie vor allem Roquairol und schließlich auch im Bereich derjenigen theologischen und philosophischen Fragen wie der Willensfreiheit oder des Atheismus, die mit dem Bösen eng verbunden sind. Es erscheint daher als nicht unberechtigt, eine Art Definition vorauszuschikken, die man aus den Rekurrenzen dieses Themas in den Werken von Jean Paul herausarbeiten kann. Sie könnte etwa lauten: Das Böse ist eine Seelenkrankheit, eine Verdrehung des Willens und der Gefühle, eine Entstellung des Menschlichen, eine bewußte Inszenierung der schlimmsten Neigungen, eine Degeneration, die in den Kulturdefiziten verwurzelt ist.
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Notizen
Kurt Hildebrandt, Leibniz und das Reich der Gnade. Haag 1953, S.306.
Johann Gottfried Herder, Werke, hrsg. von Martin Bollacher u.a. Bd.6: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, hrsg. von Martin Bollacher. Frankfurt a. M. 1989, S.650.
Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, 2., durchges. Aufl., hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd.2: Menschliches, Allzumenschliches. Berlin 1988, S.202.
Panajotis Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. München 1986, S.490. Es bleibt schwer verständlich, weshalb Kondylis die Radikalaufklärung als „Nihilismus“ bezeichnet, da nirgendwo vom Nihil als Seins-und Lebensprinzip die Rede ist.
Diderot, OEuvres complètes, édition critique et annotée, prés. par Jacques Proust et Jack Undank. Tome XXIII: Jacques le fataliste. Paris 1981, S.100.
Johann Carl Wezel, Belphegor oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne, hrsg. von Hubert Gersch. Frankfurt a. M. 1965, S.306.
Thomas P. Saine, Von der Kopernikanischen bis zur Französischen Revolution. Die Auseinandersetzung der deutschen Frühaufklärung mit der neuen Zeit. Berlin 1987. Vgl. Kap. IV.
Thomas P. Saine, Die ästhetische Theodizee Karl Ph. Moritz’ und die Philosophie des 18. Jahrhunderts. München 1971.
Jean Starobinski, La remède dans le mal. Critique et légitimation de l’artifice à l’âge des Lumières. Paris 1989.
Pareyson spricht eigentlich vom „tragischen Denken“, aber er meint es im christlichen Sinne. Vgl. Luigi Pareyson, Ontologia della libertà. Il male e la sofferenza. Torino 1995, S.226 ff.
Vgl. Manfred Engel, Der Roman der Goethezeit, Bd.1. Stuttgart-Weimar 1993, S.131 ff.
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Spedicato, E. (1999). Die Grosse Kette des Bösen und Jean Pauls Poietodizee. In: Pfotenhauer, H. (eds) Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03310-9_5
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