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Die Erfahrung der »Wunde«

Die Zürauer Aphorismen (1917–1918)

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Book cover Kafka

Zusammenfassung

Am frühen Morgen des 13. August 1917 bemerkte Kafka beim Erwachen, daß sein Mund voller Blut war. Er hatte einen Blutsturz erlitten. Dieser Vorgang war das erste Anzeichen der Krankheit, die wenige Wochen danach als Lungentuberkulose diagnostiziert wurde. Anscheinend hat Kafka diese Entwicklung mit großer Gelassenheit aufgenommen; er bemerkt in einem Brief an seine Schwester Ottla, er habe seit dem Blutsturz besser geschlafen und seine unerträglichen Kopfschmerzen hätten gänzlich aufgehört (O 40). Seine Vorgesetzten gewährten ihm einen dreimonatigen Genesungsurlaub, und am 12. September brach er von Prag aus nach Zürau (jetzt Sižem) auf, einem Dorf in Nordwestböhmen. Dort wohnte Ottla; sie arbeitete auf einem Gut, das der Familie ihres Schwagers Karl Hermann gehörte. Hier blieb Kafka bis zum April des nächsten Jahres; lediglich Ende Oktober kehrte er zu einem kurzen Besuch nach Prag zurück; auch die Zeit von Weihnachten bis Neujahr verbrachte er in Prag.

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Anmerkungen

  1. Ernst Troeltsch, »Luther und der Protestantismus«, Die neue Rundschau, 28 (1917), 1302.

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  9. Werner Hoffmann, Kafkas Aphorismen (Bern 1975), 109, spricht dagegen von der »in seinem Wesen verankerte(n) Beziehung zur jüdischen Mystik« und erweckt damit die Vorstellung, Kafka habe die Kabbala gekannt, ohne sie zur Kenntnis nehmen zu müssen.

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  11. Diese Vorstellung ist offensichtlich von Erich Heller mit seinem Aufsatz »The World of Franz Kafka«, Cambridge Journal, 2, I (Oktober 1948), 11–32, in die Welt gesetzt worden; der Aufsatz ist ohne große Veränderungen wiederabgedruckt worden in: The Disinherited Mind, 4th edn. (London 1975) und unter dem Titel »The Castle« in: Franz Kafka (London 1974) erneut erschienen (deutsch in: Franz Kafka, München 1974, S. 91–116). Sie erscheint auch bei Anders, 87, wo ein Abschnitt überschrieben ist: »Kafka ist Marcionist. Er glaubt nicht an keinen Gott, sondern an einen schlechten.« Dies ist jedoch nicht buchstäblich gemeint, denn weder Heller noch Anders glauben, Kafka habe tatsächlich die Lehren des Gnostikers Marcion (2. Jh. n.C.) gekannt. Die Feststellung, Kafka sei unmittelbar vom Gnostizismus beeinflußt, begegnet bei Fischer, 309, und taucht wieder auf bei William M. Johnston, The Austrian Mind: An Intellectual and Social History, 1848–1938 (Berkeley 1972), und zwar innerhalb der These, daß eine gnostische Bewegung, die in Prag zwischen 1890 und 1930 zur Blüte gelangt sei und sich in den Werken Rilkes, Meyrinks und Mahlers spiegelt und mit größter Begeisterung unterstützt worden sei von Kafka, Brod, Werfel sowie den Dramatikern Paul Kornfeld und Paul Adler, Ähnlichkeiten aufweise mit der Lehre Marcions, so daß der Ausdruck »Prager Marcionismus« zu einem Gemeinplatz der Moderne geworden sei (S. 270–271). Obgleich nicht ganz klar ist, was Johnston hier vor Augen hat, und obgleich er keine Beweismittel für seine Behauptungen über den Gnostizismus anfuhrt, wird der Kern seiner Aussagen mit feierlichem Ton wiederholt

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  13. Ich habe zwar selbst den Ursprüngen dieser Anschauungen nicht weiter nachgeforscht, aber es stimmt jedenfalls, daß Marcion für Kafkas jüdische Zeitgenossen von einigem Interesse war, weil er das Alte Testament verworfen, das in ihm enthaltene Gesetz als Werk eines bösen Gottes bezeichnet und die Paulus-Briefe in einer antisemitischen Weise interpretiert hatte. Seine Ideen wurden bekannt durch das Buch Marcion: Das Evangelium vom fremden Gott (Leipzig 1921) des berühmten protestantischen Theologen Harnack. Sie waren sicherlich auch Brod und Weltsch bekannt; sie würden es berichtet haben, wenn Kafka irgendein Interesse an diesen Ideen gezeigt hätte. Stattdessen haben beide Anders’ und Hellers Versuche zurückgewiesen, Das Schloß mit dem Gnostizismus in Verbindung zu bringen: Vgl. dazu Weltsch, Religion, 62–63, und Brod, Über Franz Kafka, 305, 380–381. Brod (ibid. 71) zeichnet sogar ein Gespräch auf, in dem Kafka eine Parallele, die Brod zwischen dem Gnostizismus und einem Gedanken Kafkas zu sehen glaubte, nicht anerkannte.

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Robertson, R. (1988). Die Erfahrung der »Wunde«. In: Kafka. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03255-3_5

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