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In Schuld Verstrickt

Der Prozeß (1914)

  • Chapter
Kafka
  • 80 Accesses

Zusammenfassung

Der Prozeß ist der bekannteste und zugleich umstrittenste Roman Kafkas. Beim literarisch interessierten Publikum gehört er zu den am besten bekannten Romanen überhaupt; das Ereignis, mit dem er beginnt — die nicht näher erklärte Verhaftung Josef K.s — ist für viele Leser zum Inbegriff des »Kafkaesken« geworden. Bei den Literaturwissenschaftlern jedoch, die sich mit ihm beschäftigt haben, gibt es bisher kein Anzeichen dafür, daß man zu einer einheitlichen Auffassung über den Roman kommen könnte. Stattdessen zeigt sich immer wieder die Tendenz, auf die Vielfalt der Interpretationen mit der Meinung zu reagieren — wie es erst vor kurzer Zeit Theo Elm getan hat —, Der Prozeß sei eine »Leerform«, eine Form ohne Inhalt oder ein Rätsel ohne Lösung. Es sei darauf angelegt, beim Leser eine auf das Verstehen seines Sinnes gerichtete Erwartungshaltung zu erzeugen, um ihn dann in eben dieser Erwartung zu enttäuschen.[1] Wenn ich auch den verlockenden Reiz von Anschauungen dieser Art durchaus nachempfinden kann — sie schwingen sich ja hoch über das Kampfgetümmel kritischer Auseinandersetzungen empor, so halte ich sie doch für falsch. Ich werde eine entgegengesetzte Position einnehmen. Dabei stütze ich mich in besonderem Maße auf eine ältere Interpretation des Romans Der Prozeß, nämlich auf Ingeborg Henels richtungweisenden Aufsatz aus dem Jahre 1963.[2]

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Anmerkungen

  1. Theo Elm, »Der Prozeß«, in: Binder (Hrsg.) Kafka-Handbuch, Bd. 2, 424–425. Diese Auffassung geht zurück auf Walser, Beschreibung einer Form; am überzeugendsten hat sie vertreten Horst Steinmetz, Suspensive Interpretation am Beispiel Franz Kafkas (Göttingen 1977).

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  28. Kafkas Schilderung der Atmosphäre geht auf Schuld und Sühne zurück. Dort erleidet Raskolnikow einen Schwindelanfall im Polizeibüro (vgl. Binder, Kommentar zu den Romanen, 216). Überraschender ist ihre Verbindung mit Casanovas Schilderung seiner Haft in den Bleikammern Venedigs; vgl. dazu Brod, Über Franz Kafka, 92, und Michael Müller, »Kafka und Casanova«, Freibeuter, 16, (1983), 67–76.

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  37. Vgl. Jakob Fromer, Der Organismus des Judentums (Charlottenburg 1909), 64. Kafka hat dieses Buch im Januar 1912 gelesen (T 242). Der Mann vom Lande ist von Politzer als ein »Am ha-’arez« identifiziert worden, 174–175; Urzidil, 33; Robert, 163.

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Robertson, R. (1988). In Schuld Verstrickt. In: Kafka. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03255-3_3

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03255-3_3

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