Zusammenfassung
»Durch die Mitte des vergangenen Jahrhunderts«, schrieb 1912 der Industrielle und Politiker Walther Rathenau, »geht ein Schnitt. Jenseits liegt alte Zeit, altmodische Kultur, geschichtliche Vergangenheit, diesseits sind unsere Väter und wir, Neuzeit, Gegenwart.«[1] Dieser von Rathenau genannte Schnitt trennt die moderne Industriegesellschaft von ihrer vorindustriellen Vergangenheit. Im Unterschied zu den meisten Versuchen, geschichtliche Veränderungen zu ermitteln, nach denen man die Geschichte in Epochen gliedern kann, hat Rathenaus Versuch durchaus Überzeugungskraft. Wir wissen von zeitgenössischen Augenzeugen wie Engels und Mayhew, welch drastische Veränderungen positiver oder negativer Art die industrielle Revolution im Leben der Betroffenen sogar in England hervorgerufen hat, wo sie vergleichsweise langsam verlief. In den deutschsprachigen Ländern begann die Industrialisierung später, und die Veränderungen in den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen traten dementsprechend unvermittelter ein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Deutschland England als größte Industriemacht überholt; fast die Hälfte seiner Bevölkerung lebte in Städten von mehr als 5000 Einwohnern. Im österreichisch-ungarischen Kaiserreich verlief die industrielle Revolution langsamer.
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Anmerkungen
Walther Rathenau, »Zur Kritik der Zeit«, in: Gesammelte Schriften (5 Bde., Berlin 1925), Bd. 1, 11.
Vgl. C.A. Macartney, The Habsburg Empire 1790–1919 (London 1968), 616–619; 755–756.
Vgl. Norman Stone, Europe Transformed, 1878–1919 (Glasgow 1983), 79–81.
Georg Heym, »Die Stadt«, in: Gesammelte Gedichte, hrsg. v. Carl Seelig (Zürich 1947), 87. Vgl. dazu Heinz Rölleke, Die Stadt bei Stadler, Heym und Trakl (Berlin 1966), 127–131. Rölleke vergleicht Heym und Döblin auf S. 194.
Alfred Döblin, Aufsätze zur Literatur (Olten 1963), 66.
K.R. Mandelkow, Orpheus und Maschine (Heidelberg 1976), 102.
Vgl. den in einer Lokalzeitung erschienenen Bericht über eine solche Versammlung bei Anthony D. Northey, »Dr. Kafka in Gablonz«, MLN 93 (1978), 500–503.
Ebda., 92. Vgl. Wolfgang Jahn, Kafkas Roman »Der Verschollene« (Stuttgart 1965), 63–66;
Hanns Zischler, »Maßlose Unterhaltung: Franz Kafka geht ins Kino«, Freibeuter, 16 (1983), 33–47.
Edwin Muir, »Introductory Note«, America, übers. v. Edwin und Willa Muir (London 1938); S. VII; wieder abgedr. in: Dieter Jakob, Das Kafka-Bild in England: Eine Studie zur Aufnahme des Werkes in der journalistischen Kritik (1928–1966) (2 Bde., Oxford und Erlangen 1971), Bd. 1, 109.
Klaus Hermsdorf, Kafka: Weltbild und Roman (Berlin 1961), 62.
Wilhelm Emrich, Franz Kafka (Bonn 1958), 227.
Politzer folgte dabei einer Vermutung von Th. W. Adorno, »Aufzeichnungen zu Kafka«, Prismen (Frankfurt 1955), 333.
Johannes Urzidil, Da geht Kafka (Zürich 1965), 15.
Zu diesem Motiv vgl. Claude David, »Kafka und die Geschichte«, in: G. D. (Hrsg.), Franz Kafka: Themen und Probleme (Göttingen 1980), 69–70.
Vgl. V 160, 210, 187, 224. Diese und andere Ungereimtheiten erwähnt Gerhard Loose, Franz Kafka und Amerika (Frankfurt 1968), 36, 81.
H.C. Buch, Ut Pictura Poesis: Die Beschreibungsliteratur und ihre Kritiker von Lessing bis Lukács (München 1972), 233.
W.H. Sokel, Franz Kafka: Tragik und Ironie (München 1964), 59.
Kasimir Edschmid, Frühe Manifeste (Hamburg 1957), 32.
Vgl. Jonathan Culler, Structuralist Poetics (London 1975), 193.
Martin Walser, Beschreibung einer Form (München 1961), 71.
Georg Lukács, »Erzählen oder Beschreiben?«, Schicksalswende (Berlin 1948), 147.
Brod, »Nachwort zur ersten Ausgabe«, in: Franz Kafka, Amerika (Frankfurt 1953), 356–357.
Kurz, Traum-Schrecken: Kafkas literarische Existenzanalyse (Stuttgart 1980), 158.
Dieser Satz ist bezeichnenderweise falsch zitiert von Ernst Fischer, Von Grillparzer zu Kafka (Wien 1962), 317, nämlich: »Alles in beiden Riesenstädten ist leer und nutzlos aufgestellt.« Fischer behauptet dann, dieser Satz vermittle die essentielle Wahrheit des Lebens in diesen Städten. Hätte er korrekt zitiert, hätte ihn die in Karls Beurteilung liegende Subjektivität gehindert, einen solchen Schluß zu ziehen.
Jeffrey L. Sammons, »Land of Limited Possibilities: America in the Nineteenth-Century German Novel«, Yale Review, 68 (1978), 35–52.
Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka (Frankfurt 1951), 78. Zur Aufdeckung der Unzuverlässigkeit dieser »Gespräche« vgl. Goldstücker, »Kafkas Ekkermann? Zu Gustav Janouchs Gespräche mit Kafka, in: David (Hrsg.), Franz Kafka, 238–255. Vgl. Binders Beurteilung, in: Kafka-Handbuch, Bd. 2, 554–562.
Northrop Frye, Anatomy of Criticism (Princeton 1957), 48.
Vgl. z.B. Jürgen Jacobs, Wilhelm Meister und seine Brüder (München 1972);
Jerome Buckley, Season of Youth: The Bildungsroman from Dickens to Golding (Cambridge, Mass., 1974).
Zitiert nach Lothar Köhn, Entwicklungs- und Bildungsroman (Stuttgart 1969), 1.
Alastair Fowler, Kinds of Literature: An Introduction to a Theory of Genres and Modes (Oxford 1982), 37.
Vgl. auch E.D. Hirsch, Validity in Interpretation (New Haven 1967), 68–126. Zur Verteidigung des taxonomischen Gebrauchs von Bildungsroman vgl
Martin Swales, The German Bildungsroman from Wieland to Hesse (Princeton 1978). Der Abschnitt »Gattungen des Erzählens« bei
Heinz Hillmann, Franz Kafka: Dichtungstheorie und Dichtungsgestalt (Bonn 1964), 161–194, stellt eine taxonomische Klassifikation dar, die in keiner Relation zu dem Gattungskonzept steht, das hier zugrunde gelegt wird.
Vgl. Jürgen Pütz, Kafkas »Verschollener« — ein Bildungsroman? (Bern 1983), 27; 30.
Robert Walser, Jakob von Gunten (Zürich 1950), 18. Walsers Einfluß auf Kafka ist dargestellt worden
von Karl Pestalozzi, »Nachprüfung einer Vorliebe: Franz Kafkas Beziehung zum Werk Robert Walsers«, Akzente, 13 (1966), 322–344, und Bernhard Böschenstein, »Nah und fern zugleich: Franz Kafkas Betrachtung und Robert Walsers Berliner Skizzen«, in: Kurz (Hrsg.), Der junge Kafka, 200–212; keiner von beiden erwähnt jedoch das Wiedererscheinen Benjamentas in Kafkas Werken.
Vgl. Leopold von Sacher-Masoch, Venus im Pelz (1869; wieder abgedr. Frankfurt 1968), 136–138.
Vgl. Peter Waldeck, »Kafka’s Die Verwandlung and Ein Hungerkünstler as influenced by Leopold von Sacher-Masoch«, Monatshefte, 64 (1972), 147–152.
Vgl. Nike Wagner, Geist und Geschlecht: Karl Kraus und die Erotik der Wiener Moderne (Frankfurt 1982), 138.
Zuerst veröffentlicht 1952 und jetzt — zusammen mit anderen Aufsätzen — wieder abgedruckt in: Friedrich Beißner, Der Erzähler Franz Kafka (Frankfurt 1983).
Vgl. John M. Ellis, »Kafka: Das Urteil«, Narration in the German Novelle (Cambridge 1974), 188–211.
Vgl. Hans Robert Jauß, »Interaktionsmuster der Identifikation mit dem Helden«, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik I (München 1977), 212–258.
Fyodor Dostoyevsky, Notes from the Underground: The Double, übers. v. Jessie Coulson (Harmondsworth 1972), 127.
Vgl. Michail Bachtin, Probleme der Poetik Dostoevskijs, übers. v. Adelheid Schramm (München 1971), 53–86.
Georg Simmel, »Die Großstädte und das Geistesleben«, Brücke und Tür (Stuttgart 1957), 231.
W.H. Auden, Collected Longer Poems (London 1968), 119. (»Jeden Morgen zeigt ihnen ihr Spiegelbild einen Menschen, der einer unterdrückten Klasse angehört. Jeder erkennt darin wieder, was Lear sah und er und Thurber darstellten: den Schattenriß eines geschlechtslosen Wesens — das ist das typische Bild eines Fabrikarbeiters.«)
Vgl. Thomas Anz, Literatur der Existenz: Literarische Psychopathographie und ihre soziale Bedeutung im Frühexpressionismus (Stuttgart 1977), 85–89.
Elizabeth M. Rajec, Namen und ihre Bedeutung im Werke Franz Kafkas (Bern 1977), 58.
Lukács, »Dostoevsky«, in: René Wellek (Hrsg.), Dostoevsky: A Collection of Critical Essays (Englewood Cliffs, NJ, 1962), 148.
Arthur Schnitzler, Der Weg ins Freie, in: Die erzählenden Schriften (2 Bde., Frankfurt 1961), Bd. 1,957.
Vgl. Hugo von Hofmannsthal, »Das Gespräch über Gedichte«, Prosa II (Frankfurt 1951), 97; »Vorspiel für ein Puppentheater«, Dramen II (Frankfurt 1954), 496;
Alfred Kubin, Die andere Seite (München 1909; wieder abgedr. 1975), 148; ebenfalls Anz, 106–112 und
Gotthart Wunberg, Der frühe Hofmannsthal: Schizophrenie als künstlerische Struktur (Stuttgart 1965).
F.D. Luke, »The Metamorphosis«, in: Angel Flores und Homer Swander (Hrsg.), Franz Kafka Today (Madison, Wis., 1958), 25–44.
Vgl. H 92; Allan Janik und Stephen Toulmin, Wittgenstein’s Vienna (New York 1973).
Karlheinz Fingerhut, Die Funktion der Tierfiguren im Werke Franz Kafkas (Bonn 1969), 256–257.
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Robertson, R. (1988). Die Welt der Stadt. In: Kafka. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03255-3_2
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