Zusammenfassung
Jean Paul wird im August 1811 von einem Freunde die bevorstehende Selbstbiographie Goethes annonciert. [1] Jean Paul, der sich von früher Jugend an mit dem Gedanken trägt, die Geschichte seiner selbst zu schreiben [2] und unentwegt Material dazu sammelt und Einfälle dazu notiert, hatte es bis dahin nur zu einem witzigen Ausblick in sein künftiges Leben gebracht: der Konjekturalbiographie, die 1798/99 entstanden war. Goethes Vorbild, so die Absicht des Freundes, sollte ihn nun endlich zum literarischen Werk eines Lebensrückblickes ermuntern. Jean Paul schüchtert der bald darauf erschienene Anfang von Dichtung und Wahrheit eher ein. Er schreibt jenem wohlmeinenden Manne ein Jahr später zurück, daß er seine Lebensbeschreibung gewiß noch geben werde, falls er sie erlebe. Sie werde freilich mehr »eine des Innern sein wie bei Moritz, als eine des Aeußern wie bei Goethe«. [3] Moritz, der erste Leser Jean Pauls und sein erster, enthusiastischer Förderer, ist dann, als es nach weiteren sechs Jahren schließlich zum Versuch der Selberlebensbeschreibung kommt, doch nicht das Vorbild. Der Beginn des autobiographischen Essays von Jean Paul liest sich wie eine Kontrafaktur zum Anfang des großen Werkes des für Jean Paul so großen Goethe. Denn einprägsam und für Jean Pauls Bestrebungen maßgebend sind jene vielzitierten und hier ein weiteres Mal angeführten Goetheschen Eingangssätze:
Am 28. August 1749, Mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Constellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und culminirte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond, der so eben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war.
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Anmerkungen
Johann Wolfgang Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Historisch-kritische Ausgabe, bearbeitet von Siegfried Scheibe, Bd. I, Berlin 1970, S. 13.
Jean Paul schreibt über humoristische Subjektivität im VII. Programm der »Vorschule« (§ 34, SW, I. 11, S. 119f.). Dazu: Max Kommerell, Jean Paul, Frankfurt a. M. 1957, insbes. S. 299ff.
und Günther Voigt, Die humoristische Figur bei Jean Paul (1. Aufl. 1934), Wiederabdruck im Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 4 (1969).
Zu Jean Paul und Rousseau vgl. Wulf Köpke, Erfolglosigkeit. Zum Frühwerk Jean Pauls, München 1977, S. 201ff.
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Pfotenhauer, H. (1987). Jean Paul oder die Bedenken des Romanautors vor dem Ich. In: Literarische Anthropologie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03240-9_6
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