Zusammenfassung
Die Frage nach dem ›Erlebten‹, die die Goethe-Philologie ins Brot gesetzt hat, findet an Lessings Werken keine Nahrung; bei ihm ist alles ›erlernt‹. Lessing-Philologie war und ist wesentlich Suche nach literarischen Vorbildern und Quellen. Gelegentlich haben zwar die Interpreten ersatzweise fremde Biographien zur Quelle der Sara ernannt. So hat man das Stück als Dramatisierung der Biographie Swifts gelesen [1]; und Peter Weber entledigt sich der Pflicht, literarische Werke als Abbildung sozialer Widersprüche zu deuten, indem er wahrscheinlich zu machen versucht, Gleims unglücklicher, am Widerstand des eifersüchtigen Vaters scheiternder Heiratsversuch habe Lessing dazu inspiriert, »das Problem des Widerspruchs von individuellem Liebesanspruch und ständisch-familialer Reglementierung am Schicksal Saras zu diskutieren«. [2] Aber das ist eine Deutungsformel, die — wie mir scheint — Gleims Liebesgeschichte noch weniger trifft als Lessings Stück; denn wenn da jemand die Grenzen »ständisch-familialer Reglementierung« im Interesse eines »individuellen Liebesanspruchs« überschritt, dann gewiß nicht Gleim durch seine korrekt betriebene Werbung, sondern allenfalls der Vater durch seine pathologische Eifersucht [3]; und dann zeigt die relative Beliebigkeit und Austauschbarkeit solcher Analogien ohnehin nur, auf wie extrem formalisierte Weise die dramatische Mimesis interpersonales Geschehen vergegenwärtigt.
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Anmerkungen
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Vgl. dazu Franz Dirlmeier, Philos und philia im vorhellenistischen Griechentum, München 1931, S. 7–21.
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Vgl. dazu Gerd Hillen, Lessings theologische Schriften im Zusammenhang seines Werkes, in: Lessing in heutiger Sicht, Bremen/Wolfenbüttel 1977, S.42.
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Vgl. dazu das Nachwort von Horst Steinmetz in: Johann Christoph Gottsched, Die Deutsche Schaubühne, 6. Teil (Deutsche Neudrucke Reihe 18. Jahrhundert), Stuttgart 1972, S. 15.
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Fritz Brüggemann, Die Entwicklung der Psychologie im bürgerlichen Drama Lessings und seiner Zeit, in: Euphorion 26/1925, S.379.
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Vgl. Christian Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt 1980, S. 144 ff.
Vgl. auch Jürgen Schröder, Gotthold Ephraim Lessing. Sprache und Drama, München 1972, S. 177.
Carl Enders, Der geistesgeschichtliche Standort von Lessings »Horoscop«, in: Euphorion 50/ 1956, S. 208–216; S. 216.
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Ich zitiere Seneca in der Ausgabe und Übersetzung von Theodor Tbomann: Seneca, Sämtliche Tragödien. Lateinisch und deutsch, Bd. 1, Zürich 1961, hier: S.260–62:
Vgl. dazu Kurt von Fritz, Die Entwicklung der Iason-Medea-Sage und die Medea des Euripides, in: K. v. F., Antike und Moderne Tragödie, Berlin 1962, S. 379ff.
Gerhard F. Hering, Der Ruf zur Leidenschaft. Improvisationen über das Theater, Köln Berlin 1959, S. 349.
Vgl. statt anderer Hans M. Wolff, Mellefont: unsittlich oder unbürgerlich?, in: Modern Language Notes, 61/1946, S. 372–77.
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Vgl. 2. B. Klaus-Detlev Müller, Das Erbe der Komödie im bürgerlichen Trauerspiel. Lessings »Emilia Galotti« und die commedia dell’arte, in: DVjs 46/1972, S. 28–60.
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Gilbert Murray, Euripides und seine Zeit, Darmstadt 1957, S. 45.
Vgl. dazu Bruno Snell, Szenen aus griechischen Dramen, Berlin 1971, S. 55 ff.
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Vgl. dazu J. D. Hubert, Une tragédie de la sensibilité. La Médée de Longepierre, in: Romanische Forschungen 69/1957, S. 28–48.
Heinrich Mann, Der Untertan, Leipzig Wien 1918, S. 104.
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Ter-Nedden, G. (1986). Miss Sara Sampson. In: Lessings Trauerspiele. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03215-7_2
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