Zusammenfassung
Die angegebene zeitliche Begrenzung beansprucht, mehr als nur ein beliebiger Ausschnitt aus der chronologischen Zeit zu sein: ich nehme an, daß der Zeitraum in der Literatur, zumindest in der erzählenden und zumindest unter meinen Frageaspekten eine ›Epoche‹ darstellt, was auch sonst in neuerer Forschung, auch internationaler, für diesen Zeitraum postuliert wird[1]. Die vielen Bezeichnungen, deren man sich zur Klassifikation von Teilen dieser Literatur bedient hat: Naturalismus, Jugendstil, Impressionismus, Expressionismus, Neue Sachlichkeit usw., würden demnach nichts anderes als eben nur Richtungen und Tendenzen der Epoche benennen, und unter diesen Unterschieden fänden sich relativ invariante Strukturen der Literatur, die auch von fundamentalen politischen Ereignissen wie Weltkrieg und Wechsel der Staatsform nicht tangiert würden. Schwer freilich ist das Ende zu datieren: ›1930‹ bedeutet nur eine ungefähre Orientierung, und viele spätere Texte werden noch, seien sie im Nazireich oder im Exil entstanden, strukturellen Typen dieser Epoche angehören. Will man diese Epoche 1890–1930 taufen, so kann man sie wohl am ehesten als ›Frühe Moderne‹ benennen.
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Anmerkungen
Vgl. Frank Trommler, in seiner Einleitung zu H. A. Glaser (Hg.): Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 8 (rororo 6257) Reinbek 1982, S. 8. So auch — schon 1956 — Wolfdietrich Rasch (Vgl. W. R.: Zur deutschen Literatur seit der Jahrhundertwende. Stuttgart 1967, S. 226).
Z. B. Johannes 3, 3–8, insbesondere das Postulat: »Oportet vos nasci denuo« (Johannes 3, 8).
Vgl. Erwin Rohde: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. 2 Bde. 5. und 6. Aufl. Tübingen 1910. Bd. 1, S. 290ff. Darstellung in Apuleius’ Metamorphosen (Dt. Übs.: it 146.2. Aufl. Frankfurt a. M. 1981, S. 318) — vgl. dort auch die Initiationen in der Geschichte Psyches. Zum antiken Roman unter diesem Aspekt: R. Merkelbach: Roman und Mysterium in der Antike. München 1962. In der Goethezeit am deutlichsten und bekanntesten in Schikaneders Text der Zauberflöte.
Wo neben der »Erweckung« vom »Schlaf« (z. B. Ph. J. Spener: Pia Desideria (1675). Hg. v. K. Aland. Berlin 1964, S. 36) zu einem »neuen Menschen« (ebd. S. 79) die Wiedergeburtsmetaphorik bekanntlich beliebt war, vgl. J. H. Reitz: Historie der Wiedergebohrenen (1717).
Die Religion in Geschichte und Gegenwart (= RGG) Hg. v. K. Galling. Bd. 6. Tübingen 1962, Sp.1696–1700.
Deren frühester goethezeitlicher Beleg sich wohl in Lessings Erziehung des Menschengeschlechts(1780), § 93–100, finden dürfte (G. E. Lessing: Werke Bd. 8. Hg. v. H. Göbel. München 1979, S. 509f.).
Vgl. Empedokles in H. Diels (Hg.): Die Fragmente der Vorsokratiker (RK 10) Reinbek 1957, S. 69; Platon: Politeia 614a–621 d. In: Sämtliche Werke Bd. 3 (RK 27) Reinbek 1958, S. 304–310. — Generell dazu: Rohde: Psyche: zu den Orphikern: Bd. 2, S. 121ff.; zu Pythagoras: Bd. 2, S. 161ff. und S. 417ff.; zu Empedokles: Bd. 2, S. 181ff.; zu Platon: Bd. 2, S. 274ff. — Generell zur Reinkarnation: Bd. 5 der RGG. Tübingen 1961, Sp. 1638–1640.
Vgl. Werner Foerster (Hg.): Die Gnosis. Bd. 1. Zürich und Stuttgart 1969, S. 42, 51 104, 131, 292, 397 und 412.
Alexander Böhlig (Hg.): Die Gnosis. Bd. 3. Zürich und München 1980, S. 37f., 66, 126f., 158, 226, 269f., 281, 283, 298, 333 (Anm. 91).
Vgl. Jamblichus: Über die Geheimlehren. Dt. Übs. v. Theodor Hopfner. Leipzig 1922. Neudruck Schwarzenburg 1978, S. 14 und 197ff.
Zum Beispiel schon früh erwähnt in: Agrippa von Nettesheim: De Occulta Philosophia Köln 1533, S. 294f.
Schopenhauer (Die Welt als Wille und Vorstellung) hat trotz Buddhismus-Rezeption nicht die Idee individueller Reinkarnation.
Ein schwieriges Problem ist hier aber wohl Novalis’ Ofterdingen, Teil II, wo durch die Nähe zur Allegorie der hier vorliegende Fall nicht leicht bestimmbar ist.
Michael Titzmann: Zu Jung-Stillings Theorie der Geisterkunde: Historischer Ort und Argumentationsstruktur. Nachwort zum Nachdruck von Jung-Stilling: Theorie der Geisterkunde. Hildesheim 1979, S. 381–417, hier insbesonders S. 388 f., 407 und 417 (Anm. 70).
Allan Kardec: Le Livre des Esprits. Paris 1857 (Dt. Übs. Wiesbaden 1977, S. 127ff.). Zu Kardec auch: Carl Kiesewetter: Geschichte des Neueren Occultismus. Leipzig 1891. Nachdruck Schwarzenburg 1977, S. 493f.
Z.B. Rohde: Psyche: 1. Aufl. 1894.
So z. B. bei Autoren fantastischer Literatur wie z. B. Meyrink und Spunda; so auch bei eigenartigen ›Theoretikern‹ wie H. P. Blavatsky, der Gründerin der »Theosophischen Gesellschaft« (New York 1875) und Autorin mehrerer mystisch-okkulter Schwarten, so IsisUnveiled (1875) und Die Geheimlehre(1888), die auch im deutschen Sprachgebiet stark rezipiert wurden. Vgl. zu ihr auch Kiesewetter: Occultismus, S. 497ff.
Vgl. z.B. The Tibetan Book of The Dead (1927), das C. G. Jung mit einer psychologischen Pseudointerpretation angereichert hat (Dt. Ausgabe 15. Aufl. Olten und Freiburg 1981). — Zum Buddhismus siehe auch Edward Conze (Hg.): Im Zeichen Buddhas. Frankfurt a. M. 1957, z. B. S. 51–74 passim. — Aus dem Bereich des Taoismus wird, etwa für Meyrinks Weißen Dominikaner, in der Zeit z. B. relevant: Die Lösung der Leichname und Schwerter. Ein Beitrag zur Kenntnis des Taoglaubens. Hg. und übs. von August Pfizmaier. Wien 1870.
Gershom Scholem: Zur Kabbala und ihrer Symbolik (stw 13) Frankfurt a. M. 1973, S. 156.
Vgl. z.B. J.V. Andreae: Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz. Anno 1459. Straßburg 1616 (Neudruck hg. von R. van Dülmen. Stuttgart 1973). — D. Stoltzius von Stoltzenberg: Chymisches Lustgärtlein. Frankfurt 1624 (Nachdruck hg. von F. Weinhandl. Darmstadt 1975). — Michael Maier: Atalanta Fvgiens, hoc est, Emblemata nova de secretis naturae chymica. Oppenheim 1617 (Nachdruck der Ausg. von 1618 hg. von L. H. Wüthrich. Kassel und Basel 1964). — Zu dieser Symbolik vgl. Mircea Eliade: Forgerons et Alchimistes. Champs Bd. 12. Paris 1977 (Dt. Ausg. Stuttgart 1960). — Charakteristischerweise hat ein Autor der Epoche zwischen Psychologie und Okkultismus sich auch an Deutungen der alchimistischen Symbolik versucht: C.G. Jung. So in Schriften zwischen 1929 und 1956, die in der GA veröffentlicht sind: — Bd. 12: Psychologie und Alchemie. 3. Aufl. Olten 1980. — Bd. 13: Studien über alchemistische Vorstellungen. 1. Aufl. Olten 1978. — Bd. 14/I: Mysterium Conjunctionis. 3. Aufl. Olten 1978.
So z. B. Fr. Longinus: Über Seelenwanderung. Gedanken eines Laien. Leipzig 1912. — Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß. Leipzig 1910. Zu letzterem vgl. die vorzügliche Analyse in Max Dessoir: Vom Jenseits der Seele. Berlin 1917. Nachdruck der 6. Aufl. Stuttgart 1967, S. 414–467.
Z.B. Longinus: Seelenwanderung, S. 40; Steiner: Geheimwissenschaft, mehrfach; Blavatsky laut Kiesewetter: Occultismus, S. 498. Besonders abstrus auch: Meyrink: Der Engel vom westlichen Fenster(1927), S. 433 (Neudruck München 1975, S. 514).
Wolfdietrich Rasch: Aspekte der deutschen Literatur um 1900. In W. R: Zur deutschen Literatur seit der Jahrhundertwende. Stuttgart 1967, S. 1–48.
Vgl. dazu auch Marianne Wünsch: Auf der Suche nach der verlorenen Wirklichkeit. Nachwort zum Neudruck von G. Meyrink Der Engel vom westlichen Fenster. München 1975, S. 528–568, v. a. S. 545ff.
Ich werde das demnächst in größerem Kontext nachtragen.
Zit. Ausg. Thomas Mann: (Stockholmer) Gesamtausgabe der Werke. Frankfurt a. M. 1952: Bd. 5.
So z.B. in Meyrinks Grünem Gesicht(1916; zit. Ausg. Gesammelte Werke. Leipzig 1917, Bd. 2), S. 100; im Engel(1927), S. 91,95 und 400; in Spundas Devachan (1921; zit. Ausg. Schwarzenburg 1980), S. 141 und 176.
Anhand eines Papageis spielt Paul Busson im Melchior Dronte(1921) damit — vgl. dort S.319 und 321.
So z. B. Bussons Melchior Dronte (1921); Meyrinks Jane/Johanna im Engel (1927); Hesses Held des Glasperlenspiels (1943) in den 3 Lebensläufen, die er sich als frühere entwirft.
Zum Hermaphroditischen in der zeitgenössischen Erotik-Konzeption vgl. Wünsch: Nachwort zum Engel, S. 548.
Gustav Meyrink: Gesammelte Werke. Leipzig 1917. Bd. 2, S. 100.
Explizit etwa auch in Longinus: Seelenwanderung, S. 29ff.
Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke. Erzählende Schriften Bd. 2. Frankfurt a. M. 1961, S. 40.
Zitiert wird in der Folge die Erstausgabe in Stefan Zweigs Amok. Novellen einer Leidenschaft. Leipzig 1922, S. 129–223.
Zitiert wird in der Folge die Erstausgabe in Stefan Zweigs Verwirrung der Gefühle. Drei Novellen. Leipzig 1927, S. 105–151.
Arnold Zweig: Die Novellen um Claudia. Ein Roman (1912). 2. Aufl. Leipzig 1924, S. 201.
Waldemar Bonseis: Marios Heimkehr. Ein Roman. Stuttgart u. Berlin 1937. S. 91.
Bonsels: Marios Heimkehr, S. 91.
Meyrink: Gesammelte Werke Bd. 2, S. 283f.
So in Meyrinks Dominikaner, Grünem Gesicht und Engel; in Spundas Devachan und Der gelbe und der weiße Papst; in Strobls Umsturz im Jenseits usw.
Willy Seidel: Das älteste Ding der Welt. In W.S.: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen. München 1930, S. 145–223.
Agrippa von Nettesheim: De Occulta Philosophia. Köln 1533, S. 295.
So in Devachan, Der gelbe und der weiße Papst, Ägyptisches Totenbuch, Baphomet.
So bei Meyrink Ophelia im Dominikaner und Jane/Johanna im Engel; der Fall wird auch in Wiedmers Walter von Tillo am Textende erörtert.
Das Modell wird entwickelt in dem taoistischen Text Die Lösung der Leichname und Schwerter und in Meyrinks Romanen, mit Ausnahme der Walpurgisnacht, praktiziert.
Vgl. z. B. Freiherr von Schrenck-Notzing: Materialisations-Phänomene (Ergänzungsband zur 1. Aufl.) München 1923. — Spiritistische ›Erscheinungen‹in der Literatur sind zum Beispiel Joachim Ziemßen in Thomas Manns Zauberberg, Goethe u. a. in Karl Hans Strobls Umsturz im Jenseits, Ophelia in Meyrinks Dominikaner, usw. Parodiert wird der Spiritismus brillant in Döblins Reiseverkehr mit dem Jenseits (1948).
In Meyrink: Der Engel vom westlichen Fenster. Bremen 1927, z.B. S. 360. — Dazu Wünsch: Nachwort zum Engel, S. 540.
Mumifizierungen z.B. in Spundas Ägyptischem Totenbuch (1924), Strobls Das Grab des weißen Königs (1930), Eleagabal Kuperus (1928), Die arge Nonn’(1911), Meyrinks Erzählungen Das Wachsfigurenkabinett, Das Präparat, Die Pflanzen des Dr. Cinderella (alle in: Des deutschen Spießers Wunderhorn (1913) = Gesammelte Werke. Bd. 4 und 5. Leipzig 1917).
So z. B. in Strobls Eleagabal Kuperus oder Meyrinks Wachsfigurenkabinett.
Der Terminus »Scheinleben« z. B. in Meyrinks Engel (1927), S. 357.
K. H. Strobl: Eleagabal Kuperus. Berlin 1928. Bd. 2, S. 367ff.
Schnitzler: Erzählende Schriften Bd. 1, S. 313.
Strobl: Eleagabal Kuperus Bd. 2, S. 368f.
Meyrink: Gesammelte Werke Bd. 1, S. 57, S. 65f., S. 83f.
Meyrink: Gesammelte Werke Bd. 1, S. 28.
Meyrink: Engel (1927), S. 15. Neudruck München 1975, S. 14.
Meyrink: Gesammelte Werke Bd. 1, S. 285.
Hermann Hesse: Demian (st 206) Frankfurt a. M. 1976, S. 144.
Ebd. S. 153.
So z. B. Gudstikker in Die Juden von Zirndorf und in Die Geschichte der jungen Renate Fuchs, so Etzel Andergast in Der Fall Maurizius und Etzel Andergast, so Daniel Nothaffts Tochter im Gänsemännchen und in Wahnschaffe.
In: Der Zauberlehrling (1909), Alraune (1911), Vampir (1921).
Siehe dazu Anm. 43.
In: Freitagskind (1913), Ruland (1922), Der gute Weg (1924), Villa U.S.A. (1926), Freund aller Welt (1928).
Vgl. dazu Peter Kobbe: Mythos und Modernität. Eine poetologische und methodenkritische Studie zum Werk Hans Henny Jahnns. Stuttgart 1973.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1983 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Wünsch, M. (1983). Das Modell der »Wiedergeburt« zu »neuem Leben« in erzählender Literatur 1890–1930. In: Richter, K., Schönert, J. (eds) Klassik und Moderne. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03181-5_18
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03181-5_18
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-00534-2
Online ISBN: 978-3-476-03181-5
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)