Zusammenfassung
[355] Wilhelm von Humboldt sagt in der Einleitung zu seiner Schrift über die Kawi-Sprache: »Die Poesie kann nur einzelnen Momenten des Lebens und einzelnen Stimmungen des Geistes angehören, die Prosa begleitet den Menschen beständig und in allen Aeußerungen seiner geistigen Thätigkeit. Sie schmiegt sich jedem Gedanken und jeder Empfindung an; und wenn sie sich in einer Sprache durch Bestimmtheit, helle Klarheit, geschmeidige Lebendigkeit, Wohllaut und Zusammenklang zu der Fähigkeit, sich von jedem Puncte aus zu dem freiesten Streben aufzuschwingen, aber zugleich zu dem feinen Tact ausgebildet hat, wo und wie weit ihr diese Erhebung in jedem einzelnen Falle zusteht, so verräth und befördert sie einen ebenso freien, leichten, immer gleich behutsam fort[356]strebenden Gang des Geistes. Es ist dies der höchste Gipfel, den die Sprache in der Ausbildung ihres Charakters zu erreichen vermag, und der daher, von den ersten Keimen ihrer äußeren Form an, der breitesten und sichersten Grundlagen bedarf.« — Sobald wir in unserer bisherigen Darstellung die deutsche Sprache und Literatur auf diesem Punct haben anlangen sehen, begegneten wir auch einer vorzugsweise dazu ausgebildeten Kunstform der Prosa, welche dann vorwaltend auftritt, und in der die Aufnahmefähigkeit der prosaischen Sprache für das wirkliche und gesellschaftliche Leben sich als poetische Gattung gestaltet. Dies ist der Roman, der eine so umfassende und elastische Formengebung hat, daß man zugleich die verschiedenen Elemente der Poesie, namentlich das Lyrische und Dramatische, darin verschmelzen sieht.
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Nachweise und Anmerkungen
Wilhelm von Humboldt sagt in der Einleitung zu seiner Schrift über die Kawi-Sprache: Humboldt handelt in der Einleitung des Werkes »über die Kawi-Sprache auf der Insel Java« (1836) »Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts« (Wilhelm von Humboldt: Gesammelte Schriften. Hg. von der Königl. Preuß. Akad. der Wiss. 1. Abt., 7. Bd. 1. Hälfte, hg. von Albert Leitzmann. Berlin 1907). Mündt stützt sich öfter auf die wissenschaftliche Autorität Humboldts. Das Zitat ist, von einer Formulierung abgesehen (Mündt: aufzuschwingen, Humboldt: zu erheben), wörtlich (in der gen. Ausg. S. 202).
Novalis: s. Anm. zu S. 95
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Mundt, T. (1976). Aus: Die Kunst der deutschen Prosa 1837. In: Romantheorie und Romankritik in Deutschland. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03055-9_29
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