Aus: Wie die Kunst bei den Deutschen nach Brot geht! 1835

Zusammenfassung

Goethe, sage ich — denn auf ihn muß ich zurückkommen, um zu zeigen, warum wir eine Nationalliteratur, und doch für die Formen der Poesie keinen Nationaltypus erhalten haben — Goethe hat auch dem Roman keine Normalform gegeben. Er nahm in seinem Wilhelm Meister nur den Anlauf dazu, ohne das Werk zu vollenden, geschweige die Richtung, die er hier glücklich eingeschlagen, zu verfolgen. Wir sahen hier einen Complex deutscher Zustände in bestimmter gesellschaftlicher Zeitentwicklung. Das Thema ist die Erziehung eines Einzelnen, die durch jene Zustände und in verschiedenen Situationen bedingt wird. Wilhelms Bildung beginnt im Komödiantenleben und setzt sich in aristokratischen Zirkeln fort. Beim Ende der Lehr[314]jahre ist aber kaum der Jüngling, geschweige der Mann fertig. Wilhelm Meister kann nicht in die Mannesjahre treten, weil er so wenig als sein Dichter sich vor den Augen einer Nation gebildet hat. Um aber Mann zu werden, dazu gehört ein Staat, den Staat kannte aber Goethe gar nicht, hatte keinen Sinn, ein öffentliches Staatsleben zu schildern, keinen Muth, offen davon zu sprechen und das fehlende Element einzugestehen. So fehlt dem Deutschen überhaupt die Stufe des Mannes, weil sein Staatsleben nicht zur freien und kräftigen Oeffentlichkeit vollgültig herausgeboren ist. Nur auf einzelnen gesegneten Punkten Deutschlands ist begonnen, was dem Ganzen noch gebricht. So ist der Deutsche überhaupt gar kein Mann; wir sind Jünglinge, wir schäumen etwas und schwärmen eine Weile und sind lustig ein Bissel, sinken aber plötzlich zusammen und sind Greise.