Die »Deutsche Misere« — Das geheime Leitmotiv von Komik und Komödie bei Brecht

Zusammenfassung

Der historische Stellenwert der Brechtschen Komödie (und damit die Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung) könnte nur dann genau bestimmt werden, wenn zugleich auf die literarische und politische Wirkung des Brechtschen Gesamtwerks eingegangen würde. Stichpunkt ist das Jahr 1949: das Berliner Ensemble entsteht im Jahre der Gründung der DDR. Es müßte dann streng geschieden werden zwischen der Brecht-Rezeption im bürgerlichen Feuilleton, d. h. der spezifischen Art, in der die »westlichen« Tuis den »östlichen« Dichter zu verstehen suchten [335], und den kulturpolitischen Auseinandersetzungen, die das Werk in der sog. Aufbauphase des Sozialismus in der DDR auslöste. Immer handelte es sich nur vordergründig um eine formal-literarische Methodenkontroverse (hie »Einfühlung«, dort »Verfremdung«); auch stand ja das Verhältnis von zeitgenössischer Literaturproduktion zur Tradition schon seit Mitte der dreißiger Jahre im Zentrum der marxistischen Kulturpolitikpläne (die Formel von der »produktiven Aneigung des kulturellen Erbes« z. B. datiert von daher), aber nach dem Zusammenbruch des Faschismus in Deutschland erlangte das eine aktuelle Qualität. Die Brecht gewidmete Literatur beginnt allmählich wahrzunehmen, eine wie einschneidende Bedeutung ihm für die Entwicklung materialistischer Kulturtheorie zuerkannt werden muß. [336] Brechts Schriften zu Philosophie, Politik und Gesellschaft bleiben noch durchaus aufzuarbeiten, doch wäre auch nach wie vor das eigentlich literarische Oeuvre neu zu reflektieren, z. B. gerade der Bearbeitungstypus, um daraus vielleicht die Materialien für einen Gegenentwurf zur bürgerlichen Hermeneutik erschließen zu können.