Zusammenfassung
Wäre Eugenie in Goethes Natürlicher Tochter die Tragödienheldin, die sie, mit allen Tugenden einer solchen — Schönheit, Ehrgeiz, Adel und grandeur d’âme — begabt, zu sein scheint, brauchte sie weder an sich noch an die sie umgebenden Personen diese Frage zu stellen. Sie bleibt ohne Antwort, ja muß ohne Antwort bleiben, da sie eine Dimension anspricht, nämlich die der historischen Zeit, die den Figuren der tragédie classique (zu der sich Goethe hier bewußt zurückwendet) verschlossen ist. Die Frage, von Eugenie — gestürzt und gerade aus einer Ohnmacht erwachend — im Halbbewußten formuliert, verweist auf die zentrale gattungsgeschichtliche Wende des Dramas. Denn nur scheinbar sind der König, der Herzog, die Hofmeisterin, der Weltgeistliche Tragödienfiguren alten Stils. Sie handeln nicht im hergebrachten Rahmen der tragédie classique [2], sondern sind Angegriffene, die reagieren, die sich in dieser Re-aktion ihrer Stellung und Situation erst bewußt geworden sind:
Wenn ich bedenke, wie, verborgen, ihr [die Feinde des Königs]
Zu mächtiger Parteigewalt euch hebt
Und an die Stelle der Gebietenden
Mit frecher List euch einzudrängen hofft.
Nicht ihr allein; denn andre streben auch,
Euch widerstrebend, nach demselben Zweck.
So untergrabt ihr Vaterland und Thron;
Wer soll sich retten, wenn das Ganze stürzt? (1255–1262)
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Schlaffer, H. (1972). Einleitung. In: Dramenform und Klassenstruktur. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03003-0_1
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