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Zusammenfassung

Die christliche Geschichtsdeutung richtet ihren Blick auf die Zukunft als den zeitlichen Horizont eines bestimmten Zieles und einer letzten Erfüllung. Alle modernen Versuche, die Geschichte als ein sinnvoll gerichtetes, wenn auch nie abgeschlossenes Fortschreiten auf eine innerweltliche Erfüllung hin darzustellen, gründen in diesem theologischen, heilsgeschichtlichen Schema. Eine radikale Erprobung des christlichen Geschichtsbewußtseins kann sich daher nicht in der Auseinandersetzung mit dem säkularisierten, aber nicht minder futuristischen Geschichtsbegriff der nachchristlichen Welt vollziehen. Es muß imstande sein, eine vorchristliche Anschauung des zeitlichen Geschehens zu widerlegen. Eine solche war noch lebendig zur Zeit von Augustin in Gestalt der klassischen Anschauung der Weltzeit als einer ziellosen, periodischen Kreisbewegung. In De Civitate Dei contra Paganos hat Augustin den Versuch unternommen, die klassische Theorie der Zeit- und Weltbewegung in einer Theologie der von Gott gelenkten Menschengeschichte zu widerlegen. Mit diesem gänzlich verschiedenen Ort der Widerlegung ist schon gegeben, daß sie die klassische Theorie nicht auf ihrem eigenen Boden antreffen kann. Augustin widerlegt sie nicht theoretisch-kosmologisch, sondern praktisch moral-theologisch. Das vierte Kapitel des elften Buches des Gottesstaates beginnt mit der Feststellung: »Von allem Sichtbaren ist die Welt das Größte, von allem Unsichtbaren ist Gott das Größte.

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Notizen

  1. Wir zitieren nach der deutschen Übersetzung des Gottesstaates von A. Schröder in der Bibliothek der Kirchenväter: Des hl. Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften, Kempten und München 1911 bis 1916. keinen Übergang. Mit leiblichen Augen beurteilt, ist der Glaube in der Tat »blind«. Die griechische theoria ist wirklich eine Welt-Schau oder Kontemplation des Sichtbaren und kann daher aufgewiesen oder gezeigt werden, wohingegen der christliche Glaube, die pistis, eine gewisse Zuversicht oder ein unbedingtes Vertrauen in Unsichtbares und daher Unbeweisbares ist. Geglaubtes läßt sich nicht theoretisch erkennen, man muß sich praktisch zu ihm bekennen. Zu dem christlichen Gott eröffnet keine natürliche Theologie einen Zugang. Da Gott an Sein und Macht unendlich über seiner Schöpfung steht, kann er nicht von der Welt her begriffen werden. Die biblisch verstandene Welt kann als eine Schöpfung sein und auch nicht sein; sie existiert nicht wesenhaft von Natur aus. Der einzige authentische Zeuge der sichtbaren Welt ist der unsichtbare Gott, der dem Menschen sein Schöpfertum in der Schrift bezeugt.

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  2. Gottesstaat XI, 4; Bek. IX, 4. Das Argument ist etwas verschieden, je nachdem die Betonung auf den wohlgeordneten Verlauf der Wandlungen oder auf die Veränderlichkeit als solche gelegt wird. Im zweiten Falle verkünden Himmel und Erde, daß sie geschaffen wurden, denn sie sind dem Wechsel unterworfen, und was wandelbar ist, kann nicht ewig sein. Die Voraussetzung ist die antike These, daß das Vollendete und Göttliche keiner Veränderung unterliegt.

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  3. Bek. XI, 5.

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  4. Vgl. Matthes Arnolds Aufsatz über Pagan and Christian Religious Sentiment, Essays Literary and Critical, Everyman’s Library, S. 127 ff.

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  5. Vgl. Cicero, De nat. deor., II, 2, 5, 7, 8, 11–15, 17, wo die Göttlichkeit der Welt direkt aus ihrer eigenen kosmischen Natur und Struktur erschlossen wird.

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  6. Augustins Verständnis der Zeit aus ihrem Bezug zur Bewegung und Veränderung (Gottesstaat, XI, 6) ist eine griechische Entdeckung (Aristoteles, Physik, IV, 10–14). Die christliche Revolution in der Zeitauffassung taucht mit Augustins Frage auf, »wo« die Zeit ursprünglich zu Hause ist. Seine Antwort lautet: in der unsichtbaren Ausdehnung des menschlichen Geistes (in seiner Aufmerksamkeit, die die Gegenwart vorstellt; in seiner Erinnerung, die die Vergangenheit vergegenwärtigt; in seiner Erwartung, die die Zukunft vorwegnimmt), aber nicht außerhalb im Universum, d.h. nicht in den Bewegungen der Himmelskörper, die das sichtbare Vorbild für die klassische Konzeption von Bewegung und Zeit sind. (Augustin, Bek. XI, 24 und 28 ff.).

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  7. Gottesstaat, XI, 6, a.a.O., Bd. 2, S. 151 f.; vgl. Bek. XI, 13.

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  8. Augustin folgt der Chronologie des Eusebius, der 5611 Jahre von der Schöpfung bis zur Einnahme Roms durch die Goten ansetzte.

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  9. Gottesstaat, XII, 10 und 12. Die folgende Auseinandersetzung gründet sich auf XII, 10–13 und 17–20; XI, 4 und 6.

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  10. In der christlichen Sicht kann keine wesentliche Zuverlässigkeit des Kosmos angenommen werden, es sei denn mittelbar durch die Zuverlässigkeit von Gottes Willen, der sozusagen jeden Morgen zur Sonne sagt: »Tue es wieder!« (G. K. Chesterton, Orthodoxy, Kap. IV).

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  11. Gottesstaat, XII, 21 (20), a.a.O., Bd. II, S. 237.

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  12. Ebda. S. 239.

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  13. Ebda. XII, 17, a.a.O., S. 232. Eine theoretische Lösung des Widerstreits zwischen der antiken Theorie einer ewigen Bewegung und der Schöpfungslehre versuchte Thomas im Zuge seiner Bemühung, die aristotelische Physik mit der Genesis zu vereinen, wohingegen die Averroisten die Ewigkeit der Weltbewegung mit der Lehre von der Schöpfung für unvereinbar hielten (Summa theol. I qu. 46; Summa contra gentiles, II, 34; De aeternitate mundi; vgl. auch Giles of Rome, Errores Philosophorum, ed. by J. Koch, translated by J. O. Riedl, Milwaukee: Marquette University Press 1944).

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  14. Vgl. Röm. 4,17.

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  15. Ps. 12,9. Die modernen englischen Ausgaben (King James, American Revised, Goodspeed, Moffat) übersetzen den »Zirkel« der lateinischen, griechischen und hebräischen Texte mit einem bedeutungslosen »auf jeder Seite«, »auf und ab«, und »um uns herum«. — Nach Nietzsches Wiederholung der zyklischen Theorie wiederholte O. Weininger den Versuch einer moralischen Widerlegung in einem Aufsatz über die »Einsinnigkeit der Zeit« in: Über die letzten Dinge, 6. Auflage, Wien und Leipzig 1920. Die Hauptquellen für die klassische Theorie der ewigen Wiederkehr sind: Heraklit, Fragmente, 30, 31, 51, 63, 67, 88; Empedokles, Fragmente, 115; fast alle Mythen bei Platon; Aristoteles, Met. XII, 8; De Caelo I, 3, 14; und Problemata, XVII, 3; Eudemus, Fragmente 51; Nemesius, De nat. hom. 38, 147; Marc Aurel XI; Seneca, Ep. ad Lucilium, 24. Die Hauptquellen für die christlichen Entgegnungen sind außer Augustin: Justin, Dialog mit Trypho I, Einleitung; Origenes, Contra Celsum IV, 67; V, 20, und De principiis II, 3.

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  16. Röm. 8,24f. Die christliche Hoffnung, weit davon entfernt, die natürliche Gabe eines heiteren Temperaments zu sein, ist eine religiöse Pflicht, besonders wenn die Dinge hoffnungslos stehen. Sie ist wie der Glaube und die Nächstenliebe eine mystische Tugend der Gnade, während alle heidnischen Tugenden vernunftgemäß sind (siehe G. K. Chesterton, Heretics, Kap. XII). Für eine moderne Fassung der christlichen Lehre von der Hoffnung siehe das Gedicht L’Espérance von C. Péguy.

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  17. Siehe H. Scholz, Glaube und Unglaube in der Weltgeschichte, Leipzig 1911; E. Troeltsch, Augustin, die Antike und das Mittelalter, München und Berlin 1915; H. Grundmann, Studien über Joachim von Floris, Leipzig 1927, S. 74; W. Kamlah, Christentum und Geschichtlichkeit, Stuttgart 1951; vgl. auch J. B. Bury, The Idea of Progress, New York 1932, S. 21; Th. Mommsen, Augustin and the Christian Idea of Progress, in: Journal of the History of Ideas, Juni 1951.

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  18. Thomas, Summa theol. II, 2, qu. 1 a. 7. Die articuli fidei können sich nicht geschichtlich entwickeln, weil sie in sich selbst vollendet und zeitlos sind. Sie können nur entfaltet werden.

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  19. Siehe W. Nigg, Das ewige Reich, Zürich 1944, S. 123ff. und J. Taubes, Abendländische Eschatologie, Bern 1947; vgl. auch den Hinweis Grundmanns, a.a.O., S. 70ff., auf Joachims Einstellung zu dem traditionellen, besonders dem augustinischen Geschichtsschema, und E. Lewalter, Eschatologie und Weltgeschichte bei Augustin, Zeitschrift für Kirchengeschichte, Bd. LIII, 1934. Die deutlichste Erörterung der Beziehung zwischen Geschichte und Eschatologie findet sich in zwei Briefen Augustins (Nr. 197 und Nr. 199) an den Bischof Hesychius.

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  20. Vgl. Goethes Bemerkung im West-östlichen Divan (Israel in der Wüste), daß »das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte« der »Konflikt des Glaubens und des Unglaubens« ist.

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  21. Gottesstaat, IV, 34; V, 12, 18, 21; XVI, 43; XVII, 16; XVIII, 45ff. Vgl. die theologische Interpretation der jüdischen Geschichte bei Bossuet, Discours sur l’histoire universelle, Teil II, Kap. XX; und bei Newman, A Grammar of Assent, Kap. X, 2.

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  22. Gottesstaat, V, 21.

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  23. Ebda. V, 17, a.a.O., Bd. I, S. 272f.

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  24. Siehe die Studie über Augustin von Scholz a.a.O.; John Figgis, The Political Aspects of Augustine’s City of God, London and New York 1921; F. W. Loetscher, Augustine’s City of God, Theology Today, Bd. I, Oktober 1944.

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Löwith, K. (2004). Augustin. In: Weltgeschichte und Heilsgeschehen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02944-7_10

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