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„Wer den Führer so liebt wie wir, der braucht vor keinem Wort Angst zu haben“. Zur Funktion des politischen Tabu in Hans Christoph Kaergels Schlesische Dichtung der Gegenwart

  • Chapter
Tabu und Tabubruch
  • 207 Accesses

Zusammenfassung

Im Frühjahr 1939 — wenige Monate vor dem deutschen Einmarsch in Polen — erschien im renommierten Breslauer Verlag Wilhelm Gottlieb Korn die einzige umfangreiche völkische Literaturgeschichte Schlesiens: Hans Christoph Kaergels Schlesische Dichtung der Gegenwart.2 Die ideologische Konstruktion dieser regionalen Literaturgeschichte des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts folgt den bekannten Mustern völkischen Denkens und der NS-Propaganda. Erst ein genaueres Studium von Materialien ihres Entstehungskontextes, die in Archiven erhalten sind und hier zum Teil erstmals der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, zeigt aber, wie in die Konstruktion einer schlesischen Literaturgeschichte auch noch individuelle Phänomene erlittener Kränkungen, der Angst vor sozialer Ausgrenzung, politischer Selbstermächtigung und opportunistischer Umgang mit Verboten der Zensur und mit selbstauferlegten Schreibverboten eingegangen sind, die eine Lesart im Felde der Tabuforschung nahelegen.

Es handelt sich um eine Aussage E.G. Kolbenheyers aus dem Jahr 1939, vermittelt durch Hans Christoph Kaergel: Buch des 50. Jahres. [Maschinenschrift 1939], Bl. 190. (Sächsische Landesbibliothek. Nachlaß Hans Christoph Kaergel. Y 3 4/1.)

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Notizen

  1. Zitate aus dieser Ausgabe sind durch Seitenzahlen () im Text ausgewiesen.

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  2. Zu Hans Christoph Kaergel (1889–1946) vgl.: Jürgen Hillesheim/Elisabeth Michael: Lexikon National-Sozialistischer Dichter. Biographien — Analysen — Bibliographien. Würzburg 1993, S. 280–287.

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  3. Diese Gesellschaft war selbstverständlich keine freie Vereinigung, sondern eine unter dem Vorsitz des sogenannten Landeskulturwalters (also des Chefs des Gaupropagandaamtes, in diesem Falle war es Dr. Fischer) 1938 geschaffene Organisation, die vor allem die Schriftsteller in der Provinz erfassen sollte. Es war, neben der obligatorischen Zugehörigkeit zur Reichsschrifttumskammer (RSK) ein weiteres Instrument der Disziplinierung.

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  4. Kaergel klammerte durch überschwängliches Lob in seinem Buch den eigenen Haß auf Waldemar Glaser aus, der am 24.10.1934 demonstrativ die Aufnahme einer Erzählung Kaergels in die „Schlesischen Monatshefte“ abgelehnt hatte. „Sehr geehrter Herr Kaergel! Sie werden sich wundern, wenn ich Ihnen nunmehr schreibe, dass ich auf Ihren Brief v. 8.9. bereits seit über drei Jahren gewartet habe. Damals war ich noch ein kleiner, unbekannter Werkstudent. Da und dort veröffentlichte ich schlesische Gedichte, die 1932 in dem kleinen Bändchen Asu sein bir (2. Aufl.) herauskamen. Ich hatte als junger Schriftsteller und Werkstudent jede Förderung bitter nötig. So schrieb ich Ihnen als Herausgeber des Wir Schlesier! einen bescheidenen Brief, nachdem ich schon andere Manuskripte von Ihnen stets zurückerhielt. Die Antwort auf meinen Brief, war diese, dass Sie ihn einfach in ein anderen (sic!) Briefumschlag steckten und mir zurücksandten. Damals schrieb ich auf diese Antwort „Das ist Christoph Kaergel!“ und hob mir dieses Dokument sehr gut auf. Ich will nun nicht heute Gleiches mit Gleichem vergelten, nachdem mein Schaffen sich Bahn gebrochen hat, und die Reichsschrifttumskammer meine Bücher ausserordentlich fördert. Aber Ihre Novelle kann ich doch nicht annehmen, da zu viel Arbeiten von neuen jungen schlesischen Kräften vorliegen, die ich erstmals fördern muss. Ihnen wird ja diese Absage nicht allzu viel Abbruch oder auch gar keinen tun, da Sie ein grosser Dichter sind und nach dem Literarischen Weihnachtskatalog von 1933 neben Stehr tatsächlich sich selbst als weiteren Exponent Schlesiens angeben. Einige Sätze vorher habe ich und auch die junge Generation, die wir jahrelang mit unseren Fäusten, mit Hunger und unseren Leibern das Reich unseres Führers erkämpfen halfen, Ihre herrlichen Ausführungen gelesen, nach denen Sie bereits vor unserem jahrelangen kühnen Einsatz zu den Dichtern gehörten, „die das Wort von Blut und Boden des Führers als Grundlage der deutschen Seele ahnend schon erfassten.“ Ach, hätten wir doch alle so ahnend alles erfasst. Aber wie gesagt, ich muss jetzt erst alle die jungen Kräfte fördern, die bisher brach lagen oder von den berufenen damaligen Männern ihre Arbeiten kurzerhand zurückerhielten. Ich kann Ihnen nur sagen, dass es sehr viele junge Schlesier gibt, die etwas können, und die jetzt in Front gehen werden. HH! Waldemar Glaser.“ (Sächsische Landesbibliothek. Nachlaß Hans Christoph Kaergel y 7, 131).

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  5. So ist ein Schreiben von Waldemar Müller-Eberhard, dem Betreiber der „Kynast-Spiele“ an die Reichsschrifttumskammer erhalten, in dem dieser Kaergel wegen (angeblich) politisch-obszöner Züge in seinem Drama Andreas Hollmann denunzierte: „Ich berichte nun auf Glasers Rat an die Landesleitung Breslau. Gründe: Bauer Hollmann in dem ein sudetendeutscher Bauer seinen Sohn als Fahnenflüchtig dem tschechischen Militär, damit dem Zuchthause ausliefert, worüber drüben nur Empörung herrscht, weil so was auch noch ausgeführt sei! — Kaergels Rübezahl ist nach aller Meinung hier, die das Ärgernis gesehen und auch haben spielen müssen, bedauerlich; denn nur der junge Waldarbeiter tut dem Dichter Kaergel den Gefallen, vor dem Gewitter auf dem Kamm reisauszunehmen und seine Braut oder Mädel in den Händen des Wüstlings von älteren Waldarbeiter, dessen Frau (frei nach dem gegenüber klassischen Gerh. Hauptmann Urteil des Theaterintendanten Eberhard, früher Görlich u.a.) im Sterben liegt, zu belassen. Kein Waldarbeiter und überhaupt deutscher Mann handelt so und nimmt auch noch in den Toben der Elemente von Wüstling erzeugte Kind als das seine an und heiratet das Mädel, was sich auf dem Kamm während des entsetzlichsten Unwetters mit Folgen hingab: aber auch der Baudenbetrieb wirkte (Int. Eberhart und a.) wie ein Bordellbetrieb, was unsere Bauden sich längst schon hätten verbitten sollen! — Ich habe in Wahrung berechtigter Interessen von mir, des schles. Charakters und der schles. Schriftsteller gehandelt und musste auch meine persönlichen Erfahrungen schreiben, die ich mit ihm als Geschäftsführer des Bühnenvolksbundes Dresden erlebte am Tage, als ihn der Generaldirektor Gerst entliess und er mich himmelhoch bat, für ihn als Vorstand zu sprechen; denn es sollten Unregelmässigkeiten vorgekommen sein.“ (Barch R 55 20441a, Bl. 257. Eine andere Sünde, die Kaergel im Jahre 1934 fast das Verfahren seitens der PO brachte, war sein Beitrag in Wir Schlesier!, Es gibt nur ein Schlesien, der von Karl Sczodrok folgendermaßen apostrophiert wurde: „Ist es in einer Kulturzeitschrift, die doch auch Wir Schlesier sein will, nicht doch etwas wie Leichenschändung, wenn Sie die Sünden der oberschlesischen Zentrumspolitiker, unter denen wir Grenzlandkämpfer kämpfer am meisten zu leiden hatten, aufwärmen und, für einen Fernstehenden, die gesamte oberschlesische Heimatarbeit in denselben Topf werfen? Wenn Sie den Oberschlesier als ostischen Menschen bezeichnen, so ist das auch eine Verkennung der Tatsachen. In Oberschlesien lebt dasselbe Volkstum wie in Niederschlesien, nur mit dem Unterschiede, dass in Niederschlesien der Eindeutschungsprozess beendet ist, während er in Oberschlesien in einigen Gebieten leider noch in Fluss sich befindet. […] Zur Entschuldigung mag dienen, dass Ihr ganzer Beitrag, wo verschiedenes recht oberflächlich durcheinander geht, von Ihnen in der Tageshast geschrieben werden musste? […] Es war von anderer Seite angeregt worden, gegen die Verhöhnung der deutschen Kulturarbeit in Oberschlesien, die man in Ihrem Beitrage zu sehen glaubt, durch die PO und durch die Behörden einzuschreiten, und ich sollte die Federführung übernehmen. Ich habe dies abgelehnt. Ich konnte ein solches Vorgehen auf Grund unserer langjährigen Freundschaft nicht verantworten. Ich nahm Sie auch in Schutz, als man ironisch meinte: So lange Oberschlesien Konjunktur war, da hat Hans Christoph Karegel sich gern als, oberschlesischen Dichter’ feiern lassen, beispielsweise bei den Ankündigungen zur Aufführung von Volk ohne Heimat, in welchem Werk er auch beinahe übermässig stark den oberschlesischen Standpunkt unterstrich usw. usw“ (Brief von Karl Sczodrok an Hans Christroph Kaergel vom 12.10.1934. Schlesische Landesbibliothek. Nachlaß Kaergel y 7, 401).

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  6. „Die Unterlassung des einen Verzichts wird durch einen Verzicht an anderer Stelle abgelöst.“ (S. Freud: Totem und Tabu, in: Ders.: Essays I. Auswahl 1890–1914. Hrsg. von Dietrich Simon. Berlin 1988. Weiter zit. als: TuT, S. 360). Dieser Verzicht ist eine breite und gegen die eigene Überzeugung vollzogene Charakteristik Glasers in der Schlesischen Literatur der Gegenwart. Kaergel muß dabei auf die eigenen Wertungen und Einschätzungen verzichten, was er bestimmt als ein Opfer für seinen „GF“ betrachtete.

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  7. Man kann die folgende Aufzählung zwar als nutzlose Spielerei betrachten, die genannten Zahlen werte ich aber keineswegs als zufällig. Sie spiegeln m.E. das nationalsozialistische Ritual der disziplinierenden Parteitage und sonstiger Feierlichkeiten und gemahnt in der Zahlensymbolik an den Baufbau einer SA-Standarte: Nach der Darstellung des „Führers“ werden 18 Dichter aus dem Bereich der Tradition genannt. Dannn weitere drei Dichter, die „Um den Mythos Schlesien und Deutschland ringen“. Es kommen nach ihnen sechs tote, denen gehuldigt wird. Ursprünglich sollten es übrigens fünf sein, was ein Versprecher Kaergels auf S. 86 („Über diesen fünf Gräbern …“) verrät. Im Kapitel „Der neue Geist in der schlesischen Dichtung: Kampf um den Grenzraum“ werden insgesamt wieder sechs genannt (Hohlbaum, Scholz, Rothacker, Pleyer für den Sudetendeutschen „Raum“, Köhler für Oberschlesien und Leute für das Riesengebirge, so eigentlich auch für das Sudentendeutsche Land). Zu der erzählenden Dichtung der Gegenwart rechnet Kaergel 36 Dichter, 18 zum Drama, 18 zur Frauendichtung, 24 zum Jüngsten Sturm“, 36 zur Mundart. Abschließend nennt er sechs Dichter, die „das Lied unserer Heimat singen“. Insgesamt sind das 174 Dichter, also 27 „Reihen“ je 6 „Kameraden“ plus der „Führer“.

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  8. Schade entschlüpfen allerdings bei dieser ritualen Festlegung Bemerkungen, die Kaergel von diesem Führer-Piedestal herunterziehen: „Auf Vollständigkeit brauchen wir keinen Wert zu legen. Das entspräche einem Nekrolog“ oder „Manche mögen ihm solche Aktivität und Vielseitigkeit verübeln“ und am stärksten dort, wo er dem eigentlichen Auftraggeber des Buches, „dem Reichspropagandaamt Schlesien“ dankt. (Alle Zitate S. 13). Auch hier sind die von Freud beschrieben Tabumechanismen anzuführen, und zwar in Bezug auf das Tabu der Königswürde: „Ein Zug von Mißtrauen mengt sich der Motivierung der Tabuvorschriften für den König bei“ (TuT, S. 371).

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  9. Was war für Kaergel „Schlesien“? Schlesien ist Deutschland en miniature, genauso wie er als „kF“ ein Pendant zum „GF“ darstellt: „Die Lüneburger Heide findet in der niederschlesischen Heide ihre kleine Schwester […]. Der Harz findet in der Hohen Eule seine Schwester […]. Etwas in der Geschlossenheit des Schwarzwaldes findet der Wanderer aber im Grafschafter Ländel […]. Dann gibt es in der Heuscheuer noch einen kurzen Ausflug in die Sächsische Schweiz […]. Nachbarlich reiht sich ein Gebirgsland an, das wie das Röhngebirge mit vielen Kuppen ein unvergleichliches Gebirgsland gibt. Es sind unsere Waldenburger Berge“. (Vgl.: Hans Christoph Kaergel: Schlesien, unsere grosse Mutter, in: Ders.: Himmelreich und Heimaterde. Breslau 1942, S. 8f.)

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  10. Kaergel lobt etwa die mittelalterlichen Kontrollmechanismen nur in ihrer Wirksamkeit, nicht wegen ihrer Substanz: „Wenn gesagt wird, daß die ersten Zeugen schle- sischer Dichtung nichts anderes waren als Dichtungen der Mönche und frühe Gebetsdichtungen, so waren diese Dichtungen im höheren Maße sicher auch politische Dichtungen. Denn mit diesen frühesten Anfängen des gestalteten Wortes haben die Mönche ihre politische Arbeit in der Südostmark begonnen und sicherlich sich geistig durchgesetzt. Aus politischen Gründen wurde ja auch die Heilige Hedwig, die alles andere als heilig war, zur Heiligen umgefälscht, damit auch dieses neue wiedergewonnene deutsche Land im Südosten seine Heilige hatte“ (29). Durch solche Entkonfessionalisierung Schlesiens und Tabuisierung des Konfessionellen, werden Freiräume für das Politische eröffnet, die sich mit der beliebigen Substanz, mit der Führer-Sendung etwa füllen lassen. Ähnlich geht es Kaergel bei der Umfälschung Schefflers zu einem heimlichen Ketzer, der nicht etwa der Disziplin der kirchlichen Obrigkeit, sondern seiner „schlesischen“ Sehnsucht in seiner „wesenhaften Dichtung“ gehorchte. Daß Kaergel dabei für eine Entdeckung Czepkos plädiert, ist nicht unbedingt auf seine (übrigens ziemlich große) literaturwissenschaftliche Ignoranz zurückzuführen, sondern auf den politisch motivierten Verdrängungsmechanismus, der die früheren Leistungen seines zwar jüdischen, aber engen schlesischen Landsmanns Werner Milch, der bis Anfang 1939, also zur Zeit der Abfassung des Buches, fast im amtlichen Zuständigkeitsbereich des Ortsgruppenleiters von Giersdorf, in Wolfshau/Rsgb. wohnte, tabuisieren ließ. Kaergel schafft eben eine neue Literaturgeschichte Schlesiens.

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  11. Dieses Unproblematische der „Einreihung“ der beiden Dichter, insbesondere Stehrs in den Willensbereich des „GF“ wird durch direkte Hitler-Zitate untermauert: „Seine (Stehrs — W.K.) Dichtung ist der Beginn dessen, was jetzt Adolf Hitler als die größte Forderung von den deutschen Dichtern verlangte, daß der deutsche Dichter das Höchste zu geben hat, was er in sich trägt. Das ist aber immer der Einsatz der ganzen Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit aber wächst nur in der Gemeinschaft von Natur und Menschen auf. Ohne heimatliche Erde wird niemand zu dieser großen Persönlichkeit reifen“. (60) Siehe auch S. 64 mit der Berufung auf das Hitlersche Schlagwort vom „Schicksal“.

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  12. „Ich habe selbst zu seinen Füssen gesessen und in ehrfurchtsvoller Liebe diesen Führerwille bestaunt …“ — so über Fedor Sommer 78; „Mir selbst hat er einmal zu Breslau gut zugesprochen und mir Glauben und Hoffnung geschenkt“, — so über Paul Barsch, 83).

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  13. Diese familiäre Gewaltrhetorik fußt auch auf der ständigen Betonung des Schlesiertums der von Kaergel „erzählten“ Dichter und auf seiner eigenen „schlesischen Herkunft“. Die Hochstilisierung von Kaergels Rückkehr nach Schlesien im Jahr 1936 als Ausdruck der erfüllten Sehnsucht nach der Heimat wird vom Erfinder der Literatur- und Kulturbetrachtung nach Stämmen, Josef Nadler, durch den Hinweis auf die Bemühungen Kaergels, sich als „Alpenländer“ herzustellen, bösartig desavouiert: „Hans Christoph Kaergel, 1889, aus Striegau, glaubt an die alpenländische Herkunft seines Geschlechts. Es mag aber sein Bewenden haben bei der Mühle des siebzehnten Jahrhunderts im niederschlesischen Dorf Niebusch, woher die väterlichen und bei dem Goldberger Bauerndorf Prausnitz, woher die mütterlichen Vorfahren des Dichters stammen.“ (Vgl.: J: Nadler: Literaturgeschichte des deutschen Volkes. Dichtung und Schrifttum der deutschen Stämme und Landschaften. Bd. 4: Reich (1914–1940). Berlin 1941, S. 359). Es ist durchaus möglich, daß Nadler die durch angeblich „alpenländische“ Herkunft Kaergels kreierte Identifikation des Dichters mit dem „GF“ (auch dasselbe Geburtsjahr!), zu desavouieren suchte.

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  14. Dieses Verhalten entspricht durchaus jenen Mechanismen, die Freud als das Tabu der Toten beschrieb. Auf der einen Seite werden die Toten auf die Zeugenschaft der heimatlichen Kontinuität reduziert, d.h. ihrer schriftstellerischen, künstlerischen Potenz beraubt. Andererseits werden sie durch ihre Erhebung in die Sterne auch ihrer Namen beraubt: dafür treten die sie bezeichnende (verdunkelnde) Adjektive ein. (TuT, S. 386). Das bedeutet: neben dem „kF“ darf es keine anderen (insbesondere toten) „kF“ geben; die Toten werden angeblich ins Leben gerufen, aber zugleich als untergeordnet dementiert und durch dieses Unterordnungs-Ritual unschädlich gemacht.

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  15. Arno Lubos: Geschichte der Literatur Schlesiens, Bd. III. München 1974, S. 252.

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  16. BArch R 55 20179, Bl. 291. 1922 erschien die erste Fassung des Stückes. 1935 bereitete Kaergel für den Theaterverlag Langen/Müller eine zweite Fassung vor, die auch damals erschien. Deshalb die Reaktion der polnischen Diplomatie erst im Jahr 1935.

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  17. Ebenda, Bl. 288.

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  18. Ebenda, Bl. 290.

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  19. Ebenda, Bl. 299.

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  20. Ebenda, Bl. 287. Brief der Abteilung IV des RMfVuP vom 4.12.1935 „an Dr. Schlösser mit der Bitte um weitere Veranlassung“.

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  21. Ebenda, Bl. 303.

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  22. Ebenda, Bl. 304.

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  23. Ebenda, Bl. 305.

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  24. BArch R 55 20225. Am 22. Mai 1939 schickte der Theaterverlag Langen-Müller ein Schreiben an Schlösser, ob es möglich sei, das Verbot für Volk ohne Heimat aufzuheben (Bl. 124). Die Angelegenheit wurde geprüft und offenbar keine Genehmigung erteilt. Am 7. November 1940 wandte sich der Verlag mit der wiederholten Bitte, da „Herr Direktor Faßnacht“ während seiner Tournee das Stück herausbringen möchte (Bl. 127). Über den weiteren Verlauf der Angelegenheit informiert ein Dienstvermerk von Frenzel: „Direktor Fassnacht plant für die Aufführung von Kaergels Stück. Obwohl gegen dieses Werk grundsätzliche Bedenken kaum erhoben werden können, und es auch ein Unrecht an Kaergel wäre, dieses antipolnische Werk auch jetzt noch zurückzuhalten, dürfte die Reichsdramaturgie einer Aufführung durch Faßnacht skeptisch gegenüberstehen müssen, da gewisse, von Kaergel nur nebenbei eingezeichnete Züge in einer Inszenierung Fassnacht’s ein Übergewicht erhalten können, die zu Widersprüchen in der Öffentlichkeit zu führen vermögen. Ich habe daher dem Verleger vorgeschlagen, Kaergel zu einer ohnehin aus gewissen Gründen nicht unangebrachten Überarbeitung des Buches anzuregen und die fällige Neuauflage auf so sichere Beine zu stellen, daß auch eine Inszenierung Fassnacht’s nicht auf Irrwege gerät. Dies schien mir ein notwendiger und gangbarer Weg, da eine glatte Ablehnung der Inszenierung durch Fassnacht eine kritische Vorwegnahme bedeutete, die nicht zu verantworten wäre.“ (Bl. 128).

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  25. Ebenda, Bl. 129.

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  26. Fritz W. Schade im Vorwort zu Kaergels Literaturgeschichte, S. 11.

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  27. BArch R 55 20225, Bl. 109. Schreiben der Abteilung VI. des RMfVuP vom 10. Dezember 1937 an das Auswärtige Amt. „In der alten Fassung fährt der Vater Hollmann zum Schluss mit dem desertierten Sohn in die Garnison zurück, während in der neuen Fassung der Sohn über die Grenze nach Deutschland geht und der Vater Selbstmord verübt.“ Die erste Fassung erschien im Leipziger Dietzmann-Verlag 1933 und wurde am 9. Februar 1933 an den Sächsischen Stadttheatern (Staatliches Schauspielhaus) Dresden uraufgeführt. Die zweite Fassung erschien 1937 bei Eugen Diederichs Jena und wurde als „Neufassung“ bezeichnet.

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  28. Ebenda, Bl. 108.

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  29. Ebenda, Bl. 110. Auswärtiges Amt. Pol. IV 6484 an das RMfVuP vom 13. Januar 1938: „Hinter dem richtig gesehenen Problem des Stücks — Kampf der Sudetendeutschen um Scholle und Existenz — steht eine scharfe Kritik der tschechischen Unterdrückungsmethoden (Vgl. die im Textbuch mit Rotstift kenntlich gemachten Stellen S. 7, 8, 11, 12, 23 und 63). Wenn solche Dinge auch oft genug in Zeitungsartikeln behandelt werden, so ist die Wirkung eines — etwa auf einer staatlichen Bühne aufgeführten Stücks mit dieser eindeutigen Tendenz natürlich größer und ernster zu beurteilen. Ob unter den augenblicklichen Verhältnissen es zweckmässig oder vertretbar erscheint, dieses Stück zur Aufführung zuzulassen, ist eine politische Frage, die sich je nach dem Stand der jeweiligen Beziehungen zwischen den beiden Staaten richtet. Es darf daher ergebenst anheim gestellt werden, zu prüfen, ob durch entsprechende Retouchen der fraglichen Stellen, die die Tendenz des Stücks gar nicht zu verhindern brauchen, sich über diese etwaigen Bedenken nicht hinwegkommen ließe“.

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  30. Ebenda, Bl. 111.

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  31. Ebenda, Bl. 112.

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  32. Vgl.: Rudolf Fitzek: Volk an der Grenze. Ein Drama deutscher Minderheit in drei Akten (=Hirt’s Deutsche Sammlung. Literarische Abteilung — Herausgeber Wolfgang Stammler und Georg Wolff. Gruppe VII: Dramen. Bd 28). Breslau 1933, S. 47.

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  33. BArch R 55 20178, Bl. 217.

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  34. Ebenda, Bl. 218.

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  35. Ebenda, Bl. 326.

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  36. Ebenda, Bl. 325.

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  37. Ebenda, Bl. 327.

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  38. Ebenda, Bl. 328.

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  39. Ebenda, Bl. 330. Abschrift eines Briefes von Walter Jantzen (Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht) vom 26. Juli 1937 an den Oberschulrat Fitzek in Breslau, Oberpräsidium: „Während eines Schulungslagers in Rankenheim fanden 60 deutsche Erzieher aus dem Reich, dem Baltikum, Westpreußen, Poen [Posen, Polen?], Pome- rellen, Ostoberschlesien, Galizien, Siebenbürgen, Ungarn und Österreich an Ihrem Drama Volk an der Grenze Stunden der Erhebung. Sie grüssen den Dichter in dankbarer Verbundenheit“.

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  40. Ebenda, Bl. 329.

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  41. Ebenda, Bl. 331.

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  42. Ebenda, Bl. 332.

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  43. Ebenda.

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  44. Ebenda, Bl. 334: „Der Chronos-Verlag Martin Mörike hat den Bühnenvertrieb des als Buchausgabe im Verlag Hirt in Breslau erschienenen Dramas von Rudolf Fitzek. Lange vor dem Ausbruch des deutsch-polnischen Krieges war an den Verfasser (nicht an den Verlag) von Seiten des Propaganda-Ministeriums eine Mitteilung ergangen, dass das Werk bis auf weiteres zurückgestellt werden müsste. Nachdem nunmehr die Angelegenheit Polen liquidiert ist, glaubt der Verfasser, dass nunmehr eine Entscheidung der Reichsdramaturgie in positivem Sinne gefällt werden könne und man dem Chronos-Verlag den Vertrieb des Werkes genehmigen wird“.

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  45. Ebenso in der Aussage, die die kulturpolitische Rolle Stehrs und eigene Augenzeugenschaft betont: „Im Hause Hermann Stehrs lernte ich zur selben Zeit einen ober- schlesischen Dichter lernen, der aus dem Schicksal um seine Heimat, aus dem Grenzkampf um die deutsche Erde in Oberschlesien, zum dramatischen Dichter wurde“ (152).

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  46. Es ist für das Bild der wahren Machtverhältnisse im kulturpolitischen Bereich wichtig, daß Fitzek für zwei seiner Bücher ein Gutachten beim Rosenbergschen Beauftragten des Führers einholte (darunter für Volk an der Grenze), was ihm überhaupt nicht helfen konnte. Hier der Text dieses positiven Gutachtens aus dem Jahr 1934: „Rudolf Fitzek: Volk an der Grenze. Ein Drama deutscher Minderheit in drei Akten. Ferdinand Hirt, Breslau Geh. — 40. Geb. — 85. Rudolf Fitzeks Drama schildert in fesselnd und knapp gestalteten, der Wirklichkeit mit scharfem Blick nachgestellten Scenen die Verfolgung und Entdeutschung der deutschen Minderheit in Ostoberschlesien. Es hat den Vorzug, sich frei von Gehässigkeiten und Übertreibungen zu halten. Eine Figur, die die des Polen Palinski, des Verfechters einer positiven Werbe- und Propagandaarbeit im Dienste des polnischen Vaterlandes, nötigt auch dem Gegner Achtung ab. — Gerecht verurteilt wird die Methode der Entdeutschungsversuche; eine ebenso scharfe Sprache aber redet der Verfasser auch gegen die Eigenen, namentlich gegen die Verständnislosigkeit im Reich unter der Regierung der Nachkriegsjahre. Für die Presse nur zur Vorbereitung einzelner Scenen in Zeitschriften geeignet (und vom Verlag gestattet bei Einholung der Genehmigung). Das Buch ist bei so niedrigem Preise vorzüglich zur Einführung als Schullektüre gedacht und übt da vor allem in den Oberklassen die beste Wirkung aus. Zur Verfilmung dürfte es sich gleichfalls eignen. Für Vortragszwecke kaum. Für die Einführung in Volksbüchereien empfiehlt es sich nach allem Gesagtem von selbst. Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums, Berlin — N 24, Oranienburgerstr. 79. Berlin, den 21. Februar 1934.“ (BArch Berlin-Lichterfelde. Personalakte Rudolf Fitzek).

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  47. BArch Personalakte Rudolf Fitzek. Fragebogen zur Bearbeitung des Aufnahmeantrages für die Reichsschrifttumskammer, Breslau, 9. Januar 1938.

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  48. H.Ch. Kaergel: Schlesische Dichtung der Gegenwart, S. 152.

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  49. Es war auch notwendig, weil die obersten Behörden unter keinen Umständen die Gründe ihrer Entscheidungen publik machen wollten.

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  50. Kaergel, ab 1938 Landesleiter der RSK für Schlesien, hatte ja Zugang zu den RSK- Akten einzelner Schriftsteller, auch zu der Akte Fitzek.

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  51. Diese väterliche Gütigkeit findet im Roman Des Heilands zweites Gesicht (Berlin 1919) ihren Ausdruck: „Wer weiß, fragte ich mich, ob ich in diesem verschriehenen Menschen nicht doch noch ein Licht finde, das sein Leben erleuchtet?“ (S. 9).

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  52. Hans Christoph Kaergel: Buch des 50. Jahres, Bl. 51. Eintragung vom 3. März 1939.

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  53. In diesem Absatz verzichte ich auf eine Analyse der von Kaergel tabuisierten Namen wie die Frauenrechtlerin und spätere Emigrantin Ilse Langer; die mit einem Juden verheiratete Ruth Hoffmann; die „innere Emigrantin“ Oda Lange (Ps. Oda Schäfer). Sie alle bleiben unerwähnt.

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  54. BArch Personalakte Kläre Höhne: „Zwölf Jahre lang — bis 1. Aug. 1938 — war ich Kreisfachbearbeiterin des hauswirtschaftlichen Lehrlingswesens, die letzten Jahre innerhalb des deutschen Frauenwerkes. Ich wurde hier in Hirschberg Begründerin und Leiterin der Heimatgruppe. Seit 1933 bin ich in der NS-Frauenschaft tätig, zuerst als Sachbearbeiterin für Hauswirtschaft, seit 28. Sept. 1937 als Ortsgruppenleiterin. Nach der Sperre trat ich als Anwärterin der NSDAP bei. Durch Heimatskizzen in der schlesischen Presse, auch durch Lyrik, wandte ich mich wieder der Schriftstellerei zu und veröffentlichte schließlich 1934 den ersten Band Erlebte Heimat, 1937 Die Jungfer Herzogin. HH! Heil Sudetenland 30.9.38 Kläre Höhne.“

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  55. BArch. Personalakte Ilse Reicke. Bericht des Chefs des Sicherheitshauptamtes i.A. Der Leiter der Zentralabteilung II 2 i.A. SS. Sturmbannführer und Stabsführer vom 8. Juni 1938 an den Präsidenten der Reichsschrifttumskammer: „Vieles von dem, was R. fordert, deckt sich mit den Bestrebungen des NS, bezw. ist von ihm bereits erfüllt. Zur näheren Charakterisierung der Schrift seien ein paar der darin aufgestellten Forderungen in gedrängter Form mitgeteilt: Statt Sklave der Mode zu sein lieber ein 3. Kind haben — gegen Spätehe bes. Der besseren Kreise — Verbreitung und Verbilligung edler Kunstfreuden — Erholung durch Organisationen und Fürsorge des Staates — gegen Landflucht, für Versöhnung von Stadt und Land — Stärkung des Heimatgefühls als Gegenpol des Parteipatriotismus — materielle Beteiligung und damit ideelle Interessiertheit der Arbeiter an ihren Unternehmungen — gegen die Darstellung materieller Lebensgenüsse in Literatur und Film — u.a.m. Daneben finden sich Ausführungen, die für ihre demokratische Einstellung sprechen. So plädiert sie für eine neue Ethik im Verhältnis der Menschen untereinander im Sinne der pazifistischen Bewegung und spricht sich aus gegen Krieg und Militarismus als dem Ausdruck einer kapitalistischen Weltordnung. Besondere Erwartungen setzt die Verfasserin in die pazifistisch geartete Dichtkunst eines Andreas Latzko, Henri Barbusse, Leonhard Frank, u.a.“

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  56. Zu diesem Roman hieß es im oben zitierten Gutachten: „Der Weg der Irma Carus. Roman einer Frauenärztin. Berlin: Safari-Verlag. 1931. 258 Seiten. Der gleiche Roman erschien bereits 1929 u.d. Titel Das Größere Erbarmen. Roman. Berlin: Eigenbrötler Verlag. 258 Seiten. Den zentralen Punkt des Romans bildet der § 218. In einem Vorwort weist die Verf. darauf hin, daß sie nicht eine Tendenz vertreten, sondern lediglich gelebtes Geschehen vermitteln wolle. Der Roman spielt im finstersten Milieu des Berliner Wedding und berichtet von teilweise unmenschlich grausamen Vorgängen. Statt des alten, mörderischen Paragraphen 218 wird das „grössere Erbarmen“ gefordert, das die im Mittelpunkt der Handlung stehende Frauenärztin in folgendem erblickt: Verhütungsaufklärung von Staatswegen. Mutterschutz, auch der unehelichen Mutter. Erlaubnis des Eingriffs, solange es Zeit ist und die Mutter es freiwillig verlangt. Über den § 218 findet sich folg. Bemerkung: ‚Ach, Männer haben Gesetze gemacht, zahlenlüsterne Männer, die Macht wollten, die Menschenmaterial wollten, Frauenhand schriebe andere Gesetze.‘ S. 165. Ferner wird dem Staat der Vorwurf gemacht, daß er sich des Mordes schuldig mache, weil er Arme zum Kurpfuscher hetze. In einer Massenversammlung gegen den § 218 auftretende Redner werden als ‚unfreiwillige Komiker‘ bezeichnet (S. 175). Mussolinis Maßnahmen zur Hebung der Geburten werden als ‚Gebärkommando‘ (S. 197) abgetan.“ (Ebenda, S. 5 des umfangreichen Berichtes).

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  57. Er wußte aber wohl auch, daß Ilse Reicke die Treuekundgebung deutscher Schriftsteller vom Ende Oktober 1933 mitunterzeichnete. Der Name Kaergel fehlte übrigens auf dieser Liste. Vgl.: G. Scholdt: Autoren über Hitler, S. 752.

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  58. Am widerlichsten wird diese Depotenzierung der katholischen Kircheninstitutionen und Wertevorstellungen in Kaergels Lustspiel Hockewanzel (1935) betrieben.

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  59. Hans Christoph Kargel: Buch des 50. Jahres, Bl. 183f.

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  60. Hans Christoph Kaergel: Der Volkskanzler. Das Leben des Führers Adolf Hitles für Jugend und Volk erzählt. Langensalza. Verlag von Julius Beltz, Berlin, Leipzig [1934], S. 10: „Nun unabänderlich stand es in dem Jungen fest, daß der Vater seinen Willen nicht erreichen würde“. Andere Belege: S. 5, 9, 13.

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  61. Ebenda, S. 14.

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  62. Ebenda, S. 57.

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  63. Ebenda, S. 54.

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  64. Ebenda, S. 56f. Hier darf ich wohl eine polemische Bemerkung fällen, der, eine Strophe des Führer-Gedichtes Kaergels zitierend, das Führerbild in der „Katechrese vom Blutkreislauf“ wahrnimmt. Gerade diese Strophe belegt, daß Hitler als der allmächtigste, weil ewig das Volk befruchtende Vater angesehen wird. Vgl.: Günter Scholdt: Autoren über Hitler. Deutschsprachige Schriftsteller 1919–1945 und ihr Bild vom „Führer“. Bonn 1993, S. 71. Ähnliche Vaterschafts-Strukturen sowohl im Bild des Führers als auch im Erzählgestus Kaergels werden in der Teilanalyse dieses Buches von J. Hillesheim und E. Michael wahrgenommen (Wie Anm. 2, S. 283).

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  65. Ich würde sie allerdings keineswegs ausschließlich als eine durch persönliche Schädigung (lies: den tyrannischen Vater) ausgelöste Komponente Kaergels deuten. Im Dritten Reich war nämlich der Mutter-Kult stark ausgeprägt und hatte verschiedene Funktionen, über die hier nicht die Rede sein kann. Einer der wichtigsten Exponenten dieses Kultus war gerade Kaergel sowie die mit ihm befreundeten Dichter. Dazu vgl. die von Walther G. Oschilewski zusammengestellte Anthologie Mutter-Angesicht. Jena 1940 (Deutsche Reihe Bd. 97). Von den schlesischen „Kameraden“ Kaergels sind hier mit ihren Gedichten Friedrich Bischoff und Helmut Bartuschek vertreten.

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  66. Freud charakterisierte in seinem TuT (S. 379) diese Hochschätzung und Absetzung des Vaters als eine grundlegende paranoide Reaktion auf eine tiefe Schädigung der Psyche in der Kindheit.

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  67. „25. Januar. Rückkehr vom Regierungsball. Der Vertreter des Staates gab ein Fest. Er lud dazu die Landräte und Kreisleiter, Bürgermeister und Ratsherren, Generäle und Arbeitsdienstführer, Regierungsräte und Herren der Wirtschaft, junge Assessoren und Offiziere ein. In blinkenden Uniformen, in neuen., tadellos geschnittenen Fracks, in sehr offenen, freien Damenkleidern mit herrlich zur Schau getragenen, nackten Rücken, Armen und Brustansätzen. Ein Fest unter strahlenden Lichtkronen hoher fürstlicher Räume. Und dennoch! Das Ganze war wie ein Spuk aus untergegangener Zeit. Anstelle des Fürsten empfing der Repräsentant des Staates mit denselben Verbeugungen und Handküssen und dem gleichen eingelernten Lächeln. — Und jenseits des Schlosses ging die Nacht über eine deutsche Stadt Adolf Hitlers. Sang eine heimkehrende SA-Kolonne im Gleichschritt. Der Staat aber feierte. Die Großgrundbesitzer und Fabrikdirektoren sahen befriedigt auf ihre Töchter, wenn sie sich mit den jungen Offizieren im Tanz wiegten. Die alte Zeit lebte noch. Der Staat braucht nun einmal den Unterschied. Der Staat — das ist das Ballpublikum. Das Volk hat sein Winterhilfswerkvergnügen, zu dem sich einmal ein Regierungsrat einfindet und Grüße des Staates bringt. Der Staat ist niemals das Volk. Es wird ewig Unterschiede geben. Oder wäre es denkbar gewesen, Handwerker und Fabrikarbeiter oder einen richtigen Bauern einzuladen? Das wäre nicht der Sinn des Dritten Reiches gewesen. Denn der Staat ändert sich nie, er ist stets die ‚führende Geistesschicht‘. ‚In welchem Jahre leben wir?‘ fragte mich mein Kreisleiter. ‚Ich glaube, wir haben bald Kaisers Geburtstag!‘“. Hans Christoph Kaergel: Buch des 50. Jahres. [Maschinenschrift 1939], Bl. 29–30. (Sächsische Landesbibliothek. Nachlaß Hans Christoph Kaergel. Y 3 4/1. Die Stadt, die Kaergel hier meint ist Liegnitz, der Kreisleiter ist der Schriftsteller Georg Thiel.)

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  68. Er reagierte auf die Annexion der Tschechoslowakei mit einem körperlichen Freudentaumel. Es schaltete sich zwar eine kritische Instanz ein: „Was aber wird mit den Tschechen?“, um im Laufe der nächsten Tage durch die verachtende Bemerkung ausgeschaltet zu werden: 25 März: „Dieter bestätigt mir in einem seiner Feldpostbriefe, was ich immer behauptete, daß dies Volk der Tschechen in der Gesamtheit doch zu den niederen Menschenarten gehört“. (Buch des 50. Jahres, ibidem, Bl. 75).

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  69. „So kommt der SA Dichter Gerhard Schumann, der Sachse aus Dresden, der im bayrischen Walde zum Dichter wurde, Johannes Linke — der Salzburger Springenschmidt in den Sudetengau, um als Repräsentanten der Dichtung aufzutreten, die irgendwie im Kampf um diese deutschen Lande wohl standen. In der Gauhauptstadt liest dazu der Dichter, der seinerzeit auf eine herzliche Bitte des alten NSDAP Führers Hans Krebs doch die Dichter im Sudetenraum auf den Entscheidungskampf der Deutschen einzustellen, gar nicht antwortete (?). Ich hatte mich leider nur mit meiner ganzen Seele, mit Wort und Tat in all den Jahren für diesen Kampf eingesetzt. Ich habe als Dichter bei dieser ersten Kulturwoche nichts zu suchen.“ Ebenda, Bl. 135.

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  70. Im Schreiben vom 10.9.1938 fragte der Minister für Volksaufklärung und Propaganda, ob dem Präsidenten der RSK „etwas über die Reise des Dichters Chr. Fr. Kaergel (Sic!) durch die Ostmark bekannt ist, die er vor kurzem unternahm. Mir wird mitgeteilt, Kaergel habe erklärt, diese Reise im Auftrag amtlicher Stellen zu unternehmen.“ Daraufhin wandte sich die RSK am 19.9.1938 an die Landesleitung Österreich der RSK, „ob vielleicht von einer amtlichen Stelle der Ostmark direkt Herrn Kaergel ein Auftrag erteilt wurde.“ Es wurde auch die Leitung der KdF zweimal vergeblich gefragt (Schreiben von Ihde vom 19. September 1938 an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda). Am 6.10.1938 kam die Antwort von der Landesleitung Oesterreich Gruppe Schriftsteller mit der Nachricht, daß Ch. F. Kaergel (Sic!) „von keiner amtlichen Stelle in der Ostmark einen Auftrag, durch Österreich eine Vortragsreise zu machen, erhalten hat. Auch im Reichspropagandahauptamt ist von einem solchen Auftrag nichts bekannt. Es könnte nur sein, daß er auf Grund einer Einladung von privater Seite diese Vortragsreise unternimmt. Wie mir aber erst gestern bekannt wurde, soll der Dichter Ch. Fr. Kaergel zur Zeit in München weilen“. Alle Angaben: BArch. Berlin-Lichterfelde. BDC-Personalakte Hans Christoph Kaergel.

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  71. „Die Konferenz ist seit Jahren die Erste, in der einmal die Front zu Worte kommt. Wir packen alle aus und nehmen kein Blatt vor den Mund. Es ist eine einzige Anklage, die er mit nach Berlin nimmt. Es ist kein Vertrauen zur Kammer da!“ Hans Christoph Kaergel: Buch des 50. Jahres, Bl. 144.

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  72. Ebenda, Bl. 189.

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  73. Ebenda, Bl. 190.

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  74. Goebbels, der dieses Tabu der selbständigen Tätigkeit auferlegte, wußte wohl genauso um die soziale Natur des Verbotes Bescheid wie Freud, der feststellte: „Beim Tabu hat die verbotene Berührung offenbar nicht nur sexuelle Bedeutung, sondern vielmehr die allgemeinere des Angreifens, der Bemächtigung, des Geltendmachens der eigenen Person“. (TuT, S. 406).

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  75. D.h. ohne die positiven, lebensaffirmativen Schlußvolgerungen aus seiner Mutter-Fixierung ziehen zu können. „Und wieder steht die Welt vor einem Brande, und wieder sind es Männer, die zerstören müssen, um aufzubauen. „[..] „Erst dann wird Gott auf Erden herrschen, wenn der Mann zum Throne Gottes findet. Der ist immer im Herzen einer wahrhaften Mutter errichtet“. Ebenda, Bl. 330.

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  76. Obwohl es an weiteren Versuchen nicht fehlte, die kleinführerische Rolle im Schrifttum zu spielen, was allerdings entweder von der RSK oder aber auch von den Interessierten selbst schroff, zum Teil auch höhnisch abgelehnt wurde. Friedrich Bischoff reagierte auf die Anbiederungsversuche Kaergels im Jahre 1943 mit Hohn: „Aber dafür haben wir es ja ansonsten herrlich weit gebracht, ich bin mir gänzlich klar darüber, wenn ich mir zum Beispiel den Dichter Kaerglich von hinten ansehe, wie er auf dem unbeschreiblich komischen Foto als löbliche, von Lebensrunen umwaberte Person prangt, ein Copulator wahrhaft germanischen Ausmasses. Thor steckt den Hammer weg und Frigga kriegt einen Lachkrampf. O Schlesien, hold in Wiesen — wohin ist es mit dir gekommen! Haben darum Jakob Böhme und Angelus Silesius gelitten und gelehrt, der Zinzendorff und der gottselige Herr Abraham von Frankenberg, dass nun einer mit unter dem Koppelschloß vorquellenden Spiesserbauch (es gibt auch erleuchtete Bäuche!) sich anmassen darf, arme thörichte schlesische Leute mit irgendeinem Gewäsch in die Ehe zu schicken.“ (F. Bischoff, Brief an Gerhart Pohl vom 3.6.1943. Nachlaß Gerhart Pohl. Staatsbibliothek Berlin — Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Handschriftenabteilung). Bischoff spielt hier auf die Rolle Kaergels als Bürgermeister in Giersdorf an und reagiert auf die Nachricht Pohls, daß Kaergel während einer Obernigker Holtei-Tagung ihn, Pohl und Arnold Ulitz als drei herausragendste Dichter Schlesiens bezeichnete.

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  77. Es ist ja kennzeichnend, daß Kaergel, der in den zahlreichen Kollegien der Literaturpreise saß, abgesehen vom Sächsischen Staatspreis für Literatur im Jahre 1934, lediglich vom „GF“ auf Vorschlag Hanns Johsts 1942 für seinen Kriegseinsatz das Verdienstkreuz II. Klasse (ohne Eichenlaub) erhielt.

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Kunicki, W. (2002). „Wer den Führer so liebt wie wir, der braucht vor keinem Wort Angst zu haben“. Zur Funktion des politischen Tabu in Hans Christoph Kaergels Schlesische Dichtung der Gegenwart. In: Eggert, H., Golec, J. (eds) Tabu und Tabubruch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02873-0_12

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