Zusammenfassung
Der in Rumänien gebürtige Graphiker und Maler André François hat 1998 unter dem Titel Sirènades eine Serie von graphischen Arbeiten zusammengefaßt, die sich dem Thema Sirenen widmen: Zeichnungen und Gemälde, in verschiedenen Techniken ausgeführt, sowie Collagen, Fotos und plastische Objekte.1 Auf François’ Blättern tummeln sich skurrile Wesen, die oft aus heterogenen Elementen zusammengesetzt sind (Abb. 1 und 2): Nixen vom Allerfeinsten, die aus einigen prägnanten Federstrichen sowie fotografierten Juwelen oder edlen Dessous bestehen, Alltagsnixen, zusammengesetzt aus Kieselsteinen, Briefmarken, Geldscheinen, Türschloßbeschlägen, höchst unscheinbare Nixen, wie die aus dem Blech einer Keksdose geschnittene, die erst auf den zweiten Blick innerhalb eines collagierten Ensembles von Treibgut-Fundstücken sichtbar wird, erotische, pornographisch-obszöne und morbide Nixen, komische Strichfiguren (wie die einer Nixe, die, auf einem Zentauren reitend, einen Minotaurus in die Wüste schickt, fromme Nixen, collagiert aus Madonnendarstellungen — schließlich sogar unsichtbare Nixen: Denn vergeblich sucht der Betrachter einer aquarellierten Küstenlandschaft zunächst nach der Nixe, um die es diesmal gehen soll — da sind nur Felsen und Wasser —, bis sich das Aquarell als erstes Blatt einer vierteiligen Bildfolge erweist, deren weiterer Verlauf die Nixe buchstäblich auftauchen läßt.
I. Phantastische Sirenaden
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Notizen
André François: Sirènade. (1998)
Tzvetan Todorov: Einföhrung in die fantastische Literatur. Übers, v. K. Kerten, S. Metz u. C. Neubaur. München 1975. (Das frz. Original, Introduction à la littérature fantastique, erschien 1970 in Paris.) Der literaturwissenschaftliche Diskurs über Phantastik verdankt Todorov entscheidende Anstöße, trotz oder vielleicht wegen der Schwächen seines theoretischen Entwurfs.
Vgl. dazu meinen Aufsatz: Phantastische Literatur: Ein denkwürdiger Problemfall. In: Neohelicon XXII/2 (1995), S. 53–116.
Marianne Wünsch: Die fantastische Literatur der Frühen Moderne (1830–1930). Definition -Denkgeschichtlicher Kontext — Strukturen. München 1991, S. 17. Vgl. zu Wünsch meine Rezension in: Zeitschrift für Germanistik.N.F. 3 (1994), S. 696–699.
Bernhard Waidenfels: Experimente mit der Wirklichkeit. In: Sybille Krämer (Hrsg.): Medium Computer Realität. Veränderungen unserer Wirklichkeitsvorstellungen durch die Neuen Medien. Frankfurt a.M. 1998, zitiert nach dem Manuskript (S. 1).
Das Zitat stammt aus Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. In: Gesammelte Werke. Hrsg. v. Adolf Frisé. Frankfurt a.M. 1978. S. 289.
Bernhard Waidenfels: Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden I. Frankfurt a.M. 1997, S. 33.
In: Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden. Hrsg. v. Helmut Sembdner. Bd. III. München u. Wien 1982, S. 287–288.
Max Horkheimer u. Theodor W. Adorno: Die Dialektik der Aufklärung. Frankfurt a.M 1973, S. 33.
Jacques Cazotte: Le diable amoureux. Paris 1994.
Ludwig Tieck: Die Elfen. In: Der blonde Eckbert. Der Runenberg. Die Elfen. Stuttgart 1994.
Friedrich de la Motte Fouqué: Undine. Ein Märchen der Berliner Romantik. Frankfurt a.M. 1992.
E.T.A. Hoffmann: Der goldne Topf. Ein Märchen aus der neuen Zeit. Stuttgart 1989.
Joseph von Eichendorff: Das Marmorbild. Stuttgart 1987.
Hermann Hesse: Der Meermann. In: ders.: Legenden. Frankfurt a.M. 1975.
Jean Giraudoux: Ondine. Pièce en trois actes. D’après le conte de Frédéric de la Motte Fouqué. Paris 1974.
Ingeborg Bachmann: Undine geht. Stuttgart 1996.
Oscar Wilde: The Fisherman and his Soul and other fairy tales. London 1997.
Gerhart Hauptmann: Das Meerwunder. In: ders.: Die großen Erzählungen. Frankfurt a.M. 1967.
Hans R. Brittnacher: Ästhetik des Horrors. Frankfurt a.M. 1994.
Hans Jacob Christoffel von Grimmeishausen: Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Vollständige Ausgabe. Nach den ersten Drucken des »Simplicissimus Teutsch’ und der ‚Continuatio’ v. 1669 hrsg. u. mit Anmerkungen vers. v. Alfred Kelletat. München 1975.
Giuseppe Tomasi di Lampedusa: La sirena. In: Le sirène. Analisi semiotiche intorno a un racconto di Tomasi di Lampedusa. Bologna 1997.
Dieter Wellershoff: Die Sirene. Novelle. In: Werke 2. Köln 1996.
In: Dieter Wellershoff: Wahrnehmung und Phantasie. Essays zur Literatur. Köln 1987.
Maurice Blanchot: Der Gesang der Sirenen. Essays zur modernen Literatur. Übers, v. Karl August Horst. Frankfurt a.M. 1988.
Diese Bemerkungen stehen im Kontext von Reflexionen Wellershoffs über „Alfred Lorenzers These, daß Traumbilder und neurotische Symptome Elemente einer zerstörten Sprache sind.“ (Wahrnehmung und Phantasie, S. 134) Vgl. Alfred Lorenzer: Sprachzerstörung und Rekonstruktion. Vorarbeiten zu einer Metatheorie der Psychoanalyse. Frankfurt a.M. 1973.
Kobo Abe: Biographie einer Nixe. In: Die Erfindung des R 62. Erzählungen. Aus dem Japanischen v. Michael Noetzel. Frankfurt a.M. 1997.
Irmtraud Morgner: Amanda. Ein Hexenroman. Berlin (DDR) u. Weimar 1983.
Vgl. Irmtraud Morgner: Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura. Berlin (DDR) u. Weimar 1974.
Ilse Aichinger: Seegeister. In: Meine Sprache und Ich. Erzählungen. Frankfurt a.M. 1978/1981 (ursprünglich in: Nachrichten vom Tag. 1954), S. 64.
Vgl. Michel Butor: Die Wörter in der Malerei. Aus d. Frz. v. Helmut Scheffel. Frankfurt a.M. 21993. S. 9 f.
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Schmitz-Emans, M. (2003). Undines späte Schwester. Über Nixen und Wasserfrauen in der modernen Literatur und Kunst. In: Ivanović, C., Lehmann, J., May, M. (eds) Phantastik — Kult oder Kultur?. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02835-8_11
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