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Biographie und Pathographie

Jakob Lenz’ Krankheitsgeschichte in den Erzählungen von Zeitzeugen, Dichtern und Wissenschaftlern

  • Chapter
Jahrbuch für Frauenforschung 2001
  • 84 Accesses

Zusammenfassung

Goethe hat den Deutschen demonstriert und in Dichtung und Wahrheit beschrieben, daß ein gesunder Lebenslauf einem Bildungsroman gleicht, in dem Außeres und Inneres, Leib und Seele, Ich und Gesellschaft zusammen wirken und zu einer unzertrennlichen Einheit verschmelzen. Alles Äußere soll darin seinen Außencharakter verlieren und symbolisch, also Ausdruck des selbstbestimmten Inneren werden, jedes biographische Detail soll sowohl Wert an sich als auch Teil eines Bedeutungszusammenhangs sein. Halten wir uns nicht bei der Frage auf, was an einem solchen Lebenslauf Dichtung, was Wahrheit ist, sondern stellen wir fest, daß diese Biographie ein positives Extrem in einem breiten Spektrum möglicher Lebensläufe bezeichnet. Am andern Ende dieses Spektrums oder doch in der Nähe davon steht der Lebenslauf des Jakob Michael Reinhold Lenz, von dem im folgenden die Rede sein soll. Die wiederum extreme Form, dieses verunglückte Leben zu beschreiben, ist die »Pathographie« oder der anamnetische Bericht, der lexikalisch definiert wird als »Gesamtbild der Feststellungen, die der Arzt durch sachgemäßes Befragen von Kranken oder ihrer Umgebung über frühere Krankheiten und die Vorgeschichte der zu behandelnden Erkrankungen sowie über die Persönlichkeit der Kranken und ihre Lage gewinnt«.1 Eine solche Pathographie hat für Lenz 1921 der Psychiater Rudolf Weichbrodt, Arzt an der psychiatrischen Klinik in Frankfurt/M., veröffentlicht,2 wobei er seine Absicht so beschrieb: »Wir wollen hier ein Bild von seiner Geisteskrankheit entwerfen und von dem gesunden Lenz nur das bringen, was zur Beurteilung des kranken Lenz dienen kann«.

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Anmerkungen

  1. Der große Brockhaus. 16. Aufl. Wiesbaden 1952, Bd. 1, S. 260.

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  2. Weichbrodt, R[udolf]: Der Dichter Lenz. Eine Pathographie. In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 62, 1921, S. 153–187.

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  9. Zit. nach Chronik und Dokumente, S. 155.

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  10. Noch deutlicher wird dies in Oberlins Ermahnung: »sachte ich ihm, er würde so dann wieder zu Ruhe Kommen u. schwerlich ehender, Gott wüßte Seinem worte ›Ehre Vater u. Mutten, Nachdruck zu geben.« (zit. nach Chronik und Dokumente, S. 150).

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  12. So Georg Wilhelm Petersen an Christoph Friedrich Nicolai am 9. März 1778: »Die Nachricht von Lenzens Verrückung ist höchst kanonisch. Vermuthlich wird Klinger noch das nämliche Schicksal haben.« — Ähnlich schon am 12. Januar 1778: »Nehmen wir nun Klingern dazu: — Kaufmann, Kayser, Kleuker, Klinger, — der Buchstabe K. im Alphabete ist an Narren vor andern reich.« (Zit. nach Chronik und Dokumente, S. 122).

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Dedner, B. (2001). Biographie und Pathographie. In: von der Lühe, I., Runge, A. (eds) Jahrbuch für Frauenforschung 2001. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02797-9_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02797-9_5

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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