Zusammenfassung
Kann man Aufklären verneinen? Oder kann man nur aufklärend verneinen? Formal und nicht eigentlich klärend mag der Bescheid sein, Aufklärung könne nicht verneint werden, weil Negativität als Medium der Verneinung, der Kritik, die einen Ausgang anzeigt und einen Ausgang nimmt, eben das Aufklären ausmache und Aufklärung stets auch Aufklärung über Aufklärung sei, Aufklärung, die sich nicht bei einer Vorstellung oder einem Begriff ihrer selbst beruhigt. Das Über der Reflexion, das sich noch auf die Reflexion richtet und sie in eine Reflexion der Reflexion, in zweite Reflexion oder in Selbstreflexion verwandelt, in Eingedenken oder Selbstbesinnung, die über das Reflektieren und Spekulieren aufklärt, statt sich von ihm leiten zu lassen, gehört konstitutiv zur Aufklärung, ist von ihr nicht ablösbar. In dem Maße, in dem Aufklärung eines anderen bedarf, unablösbar Aufklärung über etwas ist, das sie erhellt, bleibt sie an eine Voraussetzung gebunden, an eine dunkle oder wolkige Vergangenheit, verhält sie sich dem Neuen gegenüber gleichgültig oder feindlich und richtet sie Negativität gegen Negativität. In dem Maße aber, in dem das Über an keine bestimmte Voraussetzung gebunden sein darf und Aufklärung ihm so sehr untersteht wie es der Aufklärung, ist Aufklärung ein unablässiges und grundsätzlich offenes Entwerfen ihrer selbst, offen für und gar angewiesen auf das Neue, ohne das sie zu erstarren und sich in einen Selbstwiderspruch zu verwickeln droht. In dem Maße schließlich, in dem ihr das Neue wiederum zu einem Vorausgesetzten wird, das sie auflöst, ist Aufklärung nichts als ein Medium, eine Mitte, in der Kräfte aufeinandertreffen, die sich nie zu einem positiv Gesetzten verselbständigen.
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Literatur
Michel Foucault, »Qu’est-ce que les Lumières?«, in: Dits et Ecrits, Bd. 4, Paris 1994, S. 564 und S. 568. Foucault wehrt sich dagegen, die Aufklärung lediglich als geschichtliches Zeitalter zu definieren und spricht von ihr als einer »Art und Weise, sich zur Gegenwart zu verhalten«, als einem »Ethos«.
Immanuel Kant, »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«, in: Werke, Bd. 9.1, hg. von Wilhelm Weischedel, Wiesbaden 1964, S. 58.
Alexander García Düttmann, Uneins mit Aids. Wie über einen Virus nachgedacht und geredet wird, Frankfurt a. M. 1993, S. 111.
G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Theorie-Werkausgabe, Band 3, Frankfurt a. M. 1970, S. 404.
Theodor W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, in: Ges. Schriften, Bd. 4, Frankfurt a. M. 1980, S. 240.
Ernst Cassirer, Philosophie der Aufklärung, Tübingen 1932, S. 16. Cassirer schreibt, die Vernunft in der Aufkärung löse »alles bloß-Faktische, alles einfach-Gegebene, alles auf das Zeugnis der Offenbarung, der Tradition, der Autorität Geglaubte auf«. Sie ruhe nicht, »bis sie es in seine einfachen Bestandteile und bis in die letzten Motive des Glaubens und Für-Wahr-Haltens zerlegt« habe. Nach dieser »Arbeit der Auflösung« setze allerdings die »Arbeit des Aufbaus« von neuem ein.
Raimond Gaita, A Common Humanity. Thinking About Love And Truth And Justice, London 2000, S. 160.
Vgl. dazu: Alexander García Düttmann, Zwischen den Kulturen. Spannungen im Kampf um Anerkennung, Frankfurt a. M. 1997, S. 182f.
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Düttmann, A.G. (2003). Trust Me. In: Demirovic, A. (eds) Modelle kritischer Gesellschaftstheorie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02788-7_2
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